Komplott und Kokain-Kartell

Kolumbiens Militärs geraten durch Enthüllungen unter Druck

Schon mehr als ein Dutzend Mal hat ihn die kolumbianische Armee totgesagt, doch er lebt: Manuel Marulanda alias Tirofijo ("Blattschuß") gilt als dienstältester Guerillero der Welt. Seit 50 Jahren schon zieht er mit Machete und Gewehr bewaffnet durch die Berge Kolumbiens.

Zunächst in verschiedenen liberalen Rebellengruppen. 1964 gründete er mit mehreren Companeros die kommunistisch ausgerichteten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc). Heute hat die Farc rund 8 000 Männer und Frauen unter Waffen. Sie kontrollieren weite Teile des Landes. Und der heute 68jährige Manuel Marulanda ist ihr Chef. Denn ihr Erzfeind, seit Jahrzehnten einer der meistgesuchten Männer des Landes, hat sich nicht nur publikumswirksam mit Präsident Andrés Pastrana an einen Tisch im Urwaldcamp gesetzt, sondern er diktiert dem Staat auch die Bedingungen für Friedensverhandlungen.

Die erste ist fast erfüllt: In fünf Großgemeinden der Departements Meta und Caquet‡ im Südosten des Landes patrouillieren seit dem 7. November keine Soldaten und Polizisten mehr. Für vorerst drei Monate ist die Zone ganz in den Händen der Guerilla. Das 42 000 Quadratkilometer umfassende "Friedenslabor", so groß wie die Schweiz, soll der Schauplatz sein für Friedensverhandlungen. Nur zähneknirschend ließen sich die Militärs auf den Abzug ein. Noch sind in einer Kaserne 120 Soldaten - nach Angaben der Regierung unbewaffnet und nur mit Verwaltungsaufgaben beauftragt.

Nicht nur der Streit um die verbliebenen Soldaten verzögert bislang den Beginn der Gespräche. Die Farc will vor dem Friedensdialog ein anderes Thema verhandeln: den Austausch von 450 inhaftierten Guerilleros gegen 300 Soldaten und Polizisten, die sich in der Gewalt der Guerilla befinden. Präsident Pastrana lehnt diese Vorbedingung ab. Ein Austausch vor dem Beginn des Dialogs komme nicht in Frage, wiederholt der Regierungschef gebetsmühlenartig.

Doch Pastrana steht unter Druck: Sollten die Gespräche nicht in Gang kommen oder gar scheitern, dann wird es nur unter Blutvergießen möglich sein, die Kontrolle über die Abzugszone wiederzugewinnen. Die Guerilla hingegen spielt auf Zeit. Die Rebellen haben angekündigt, daß sie trotz möglicher Friedensverhandlungen weiterkämpfen werden - und sie machen die Drohung wahr: Anfang November, nur wenige Tage vor dem Abzug des Militärs aus dem "Friedenslabor", griff die Farc die Ortschaft Mitœ an, die Hauptstadt der Provinz Vaupés. Die großangelegte Offensive galt vor allem dem Polizeihauptquartier mit 120 Soldaten und Polizisten. Die Zahl der Opfer ist noch nicht endgültig geklärt. Vorläufige Zahlen der Armee sprechen von 40 Toten auf seiten der Staatsmacht und mehr als 250 auf seiten der Guerilla.

Militärische Stärke demonstriert die Farc auch in anderen Teilen Kolumbiens. Vor allem im Norden, in den Provinzen Urab‡ und Bol'var, versuchen die Rebellen, gegenüber den immer stärker werdenden paramilitärischen Gruppen Terrain zu gewinnen. Beim Angriff auf eine Stellung der "Paras" in Pavarand- sollen in der vergangenen Woche mindestens 19 Mitglieder der rechtsextremen paramilitärischen Organisation Accu (Autodefensas Campesinas de C-rdoba y Urab‡) ums Leben gekommen sein.

In den nördlichen Provinzen geht es in dem erbitterten Stellungskrieg zwischen Guerilla, Paramilitärs und Armee vor allem um den Zugriff auf wirtschaftlich interessante Gebiete. So konzentrieren sich die Kämpfe vor allem auf Regionen, in denen Erdöl gefördert wird oder durch die Pipelines verlaufen. Die Provinzen Urab‡ und Choc- sind für die kriegführenden Parteien zum einen deshalb interessant, weil von hier die Grenze zu Panama erreicht werden kann - wichtig für den Schmuggel von Drogen und Waffen; zum anderen, weil die Regierung an Plänen arbeitet, eine Eisenbahntrasse zwischen Karibik und Pazifik zu legen, was der Region eine zentrale Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes verschaffen würde.

Im Süden des Landes jedoch geht es um andere Geschäfte - den Koka-Anbau und die Kokainproduktion. Beides gehört auch zum Alltag vieler Campesinos in der Zone des Truppenabzugs. Das ruft natürlich sofort die US-Regierung auf den Plan, die sich als zentrales Ziel ihrer Lateinamerika-Politik die Bekämpfung des Drogengeschäfts auf die Fahnen geschrieben hat. William Clintons Lateinamerika-Berater Peter Romero hat in einem Interview mit der Tageszeitung El Tiempo angekündigt, daß die USA per Flugzeug oder Satellit beobachten werden, ob sich im Abzugsgebiet Hinweise auf Drogenproduktion und -schmuggel ergeben.

Tatsächlich werden in der Zone Koka und Mohn angebaut. Die Farc profitiert von dem Geschäft, indem sie Steuern auf jedes Kilo Kokain und Heroin erhebt, für den Schutz von Laboratorien und geheimen Landepisten kassiert. Für die regelmäßigen Anschuldigungen aus den Reihen des kolumbianischen Militärs, die Farc sei eigentlich ein Drogenkartell, gibt es jedoch keine Belege.

Ausgerechnet dieser Vorwurf fällt nun auf die Militärs: Am 9. November wurden in Ford Lauderdale (Florida) in einer Maschine der kolumbianischen Luftwaffe 415 Kilo Kokain und sechs Kilo Heroin gefunden. Die Drogen waren versteckt in Paletten, auf die die Kolumbianer Ersatzteile für ihre marode Flotte laden wollten. Ein Hinweisgeber aus den kolumbianischen Streitkräften hatte die US-Behörden informiert. Die sechs Besatzungsmitglieder wurden festgenommen und verhört.

In den USA und vor allem in Kolumbien sorgte diese Entdeckung für Entsetzen. Der Kommandeur der Luftstreitkräfte, General José Manuel Sandoval, trat zurück und übernahm damit die Verantwortung für das Desaster, obwohl ihm keine Verbindung mit dem Drogenschmuggel nachgewiesen wurde. Der Fund rief Erinnerungen wach an einen anderen Drogenfund in einer Luftwaffenmaschine: Im September 1996 wollte der damalige Präsident Ernesto Samper in New York vor der UN-Vollversammlung für seinen Kampf gegen den Drogenhandel um internationale Unterstützung werben. Doch kurz vor dem Abflug in Bogot‡ entdeckte die Polizei 3,7 Kilo Heroin im Präsidentenflugzeug.

Die offiziellen Stellungnahmen des Militärs zu dem Fall sind kleinlaut: Natürlich könne es schon mal passieren, daß Mitglieder der Luftwaffe sich vom großen Drogengeld kaufen lassen - aber das seien lediglich Einzelfälle. Doch das sind nicht die einzigen Negativ-Schlagzeilen, mit denen sich die Armee zur Zeit konfrontiert sieht: Die Staatsanwaltschaft spielt der Presse Puzzleteile einer großangelegten Ermittlung zu, die - zusammengefügt - ein schlechtes Bild der Streitkräfte zeichnen. Hochrangige Militärs waren demnach in ein Komplott verwickelt, das 1995 Präsident Samper stürzen wollte, der sich seine Wahlkampagne mit sechs Millionen Dollar vom Cali-Kartell sponsern ließ. An den geheimen Treffen nahm unter anderen der US-Botschafter Myles Frechette teil, der die Verschwörung schließlich an die Presse brachte und damit platzen ließ.

Zwei der Verschwörer wurden ermordet: im November 1995 der erzkonservative Politiker und Journalist Alvaro G-mez Hurtado, vor einem halben Jahr der pensionierte General Fernando Landaz‡bal Reyes. Für beide Morde wurde zunächst die Guerilla verantwortlich gemacht.

Die Zeitung Voz der Kommunistischen Partei stellte die damals kühn erscheinende Behauptung auf, daß ein "Netz der ultrarechten Konspiration" Alvaro G-mez umgebracht habe. Nun, im Lichte weitergehender Ermittlungen, ergibt sich, daß diese These einiges für sich hat. Der ehemalige Chef der wegen Menschenrechtsverletzungen berüchtigten (und deswegen inzwischen aufgelösten) Geheimdienstbrigade 20 wird wegen des Mordes an G-mez gesucht. Auch die Ermittlungen zum Mord an General Landaz‡bal bergen möglicherweise ähnlich Überraschungen für die Streitkräfte.

In einem Akt der Selbstgeißelung versucht die Armeespitze jetzt, das Vertrauen der Regierung und der Bevölkerung zurückzugewinnen. Die Kommandeure haben einen Ehrenpakt unterzeichnet, in dem sie die schweren Rückschläge im Kampf gegen die Guerilla zugeben und sich dem Ziel einer "Professionalisierung" der Armee verschreiben. Alle drei Monate sollen die Fortschritte geprüft werden - wer nicht besteht, ist zum Rücktritt verpflichtet.

In den kommenden vier Jahren soll die Ausbildung der 120 000 Soldaten systematisch verbessert und ihr Sold erhöht werden. Die Wehrpflicht soll abgeschafft werden - die meisten Opfer bei Angriffen der Guerilla sind schlecht ausgebildete Wehrpflichtige. Ob die Reformen rechtzeitig greifen, um der Armee im Friedensprozeß ein paar Trümpfe in die Hand zu geben, ist zweifelhaft.

Sicher ist jedoch, daß die Armee alles versuchen wird, um der Guerilla als starker Gegenpart zu begegnen. Denn sonst droht ihr womöglich das, was Pastrana in seiner Wahlkampagne angekündigt hat: Am Ende eines Friedensprozesses könnten Guerilleros in die Armee integriert werden. Strammstehen vor "Tirofijo"? Undenkbar für kolumbianische Militärs.