Entspannt am Nazitreff

Weniger Hunde, weniger Polizei, mehr AA/BO. Die siebte Silvio-Meier-Demo war die größte und disziplinierteste

Sie waren auf dem Weg zu einer Disko in Berlin-Mitte, der Hausbesetzer und Antifa Silvio Meier und ein paar Freunde. Im U-Bahnhof Samariterstraße trafen sie auf acht offensichtlich rechte Jugendliche, einer rempelte einen Freund von Silvio an. Dabei sahen die Antifas, daß er einen Aufnäher "Ich bin stolz, Deutscher zu sein" auf der Jacke trug. Der 27jährige Silvio riß ihm kurzerhand den Aufnäher ab. Die Linken liefen zur U-Bahn, die war aber schon abgefahren. Als sie die Treppen wieder hochstiegen, standen dort die Nazis mit gezückten Messern. Silvio Meier starb noch in der Unterführung. Zwei seiner Genossen kamen mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus, überlebten aber.

Das war am 21. November 1992. Seitdem findet jedes Jahr in Berlin-Friedrichshain eine Gedenkdemonstration statt. Die Teilnehmerzahl wurde mit den Jahren jedoch nicht geringer. Im Gegenteil. Seit 1995 steigerte sich die TeilnehmerInnenzahl jährlich, am vergangen Samstag versammelten sich 2 500 Menschen am U-Bahnhof Samariterstraße, um an ihren ermordeten Genossen zu erinnern. Grund für den großen Zulauf war sicher auch, daß sich die Demo diesmal auch gegen den gar nicht weit entfernten Nazitreffpunkt Café Germania richtete, der Ende 1997 in der Normannenstraße 5a eröffnet worden war (Jungle World, Nr. 15 und 36/98). Die Kneipe wurde zum beliebtesten Treffpunkt der Berliner Naziszene. Prominente Kader wie Oliver Schweigert und Andreas Voigt gehen hier ein und aus. Voigt ist inzwischen sogar der Betreiber des Cafés. In dem Nazi-Blatt Berlin-Brandenburger Zeitung war vehement für das "kleine deutsche Lokal" geworben worden. Von der Kneipe gingen auch zahlreiche Übergriffe auf Linke und AusländerInnen aus. Die Betreiber sehen ihr Café als erstes "Projekt" einer bundesweiten Infrastruktur "nationaler Gastronomie- und Freizeitobjekte" an. Antifas besuchten wiederholt die Nazi-Schenke und zerdepperten die Scheiben.

Für den vergangenen Samstag hatten die Nazis dazu aufgerufen, ihre Kneipe angesichts der direkt daran vorbeiführenden Antifa-Demo zu beschützen. Eine Kundgebung der Rechten vor dem Café Germania verbot die Polizei. Rund hundert Nazis verschanzten sich, gut beschirmt von Polizisten, im Germania, weitere 60 im gegenüberliegenden Lokal Normannenhütte. Von dort aus wurden vereinzelt Flaschen auf die DemonstrantInnen geworfen, einige Linke sollen dabei leicht verletzt worden sein. Natürlich flogen auch diverse Flaschen, Steine und Knallkörper gegen die Fassade des Café Germanias, insgesamt aber blieb die Stimmung vor dem Nazitreff erstaunlich entspannt, obwohl der Demozug dort für mehr als 20 Minuten verweilte.

Die Polizei hielt sich weitgehend zurück. Keine Vorkontrollen, kein Spalier, nicht eine Festnahme - für Berliner Verhältnisse geradezu ein Deeskalationsprogramm. Nur rund um das Café Germania hatten sich die Uniformierten massiv zusammengezogen, bei einer Rangelei knüppelte ein einzelner Polizist völlig motivlos wie wild in die Menge - der einzige Polizeiübergriff.

In der Vergangenheit war es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen, die 1992 die Mörder von Silvio Meier als "unpolitische Einzeltäter" bezeichnet und wochenlang jeden politischen Zusammenhang der Tat geleugnet hatte. Nach dem Mord richteten Jugendliche am U-Bahnhof Samariterstraße eine Mahnwache ein, die zum Treffpunkt Friedrichshainer Punks wurde. Auch die Demos waren zunächst von größtenteils reichlich angetrunkenen Punks und ihren Hunden dominiert. Seit 1996 lag die TeilnehmerInnenzahl jedoch plötzlich über 1 000 und die Demos, weitgehend von jugendlichen Antifas aus dem Kiez getragen, verliefen friedlich.

Die zunehmende Disziplinierung der Demos dürfte vor allem dem Eingreifen der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) und ihrer Jugendantifas zu verdanken sein, die seit 1995 zu der Silvio-Meier-Demo mobilisieren. Das überduchschnittlich junge, noch rekrutierbare Publikum animierte die AAB offenbar, auf diesen Zug aufzuspringen. In ihrer jüngsten Broschüre "Das Konzept Antifa" (Jungle World, Nr. 46/98) wird die Silvio-Meier-Demo von der AAB als Teil ihrer Jugendarbeit vorgestellt. Der Demo hat das Engagement der Pop-Antifa jedenfalls nicht geschadet. Für Friedrichshainer Verhältnisse bestens organisiert, mit viel Power, aber wenigen Punkerhunden, zogen die Antifas zum Nazitreff in die Normannenstraße.

Unter den vornehmlich jungen AktivistInnen waren auch mehrere ältere BürgerInnen und PDS-FunktionärInnen auszumachen. Zu den AufruferInnen gehörten diesmal über zwei Dutzend Antifa-Gruppen, hauptsächlich aus dem AA/BO-Spektrum, aber auch unabhängige Gruppen, die Lichtenberger Ausländerbeauftragte und so obskure Vereinigungen wie die KPD und die stalinistische Rote Antifaschistische Initiative (RAI). Letztere, organisiert in der AA/BO, durfte sogar einen Redebeitrag halten, um den Klassenkampf hochleben zu lassen - zu dem es dann aber doch noch nicht kam. Vielleicht nächstes Mal ...