Grüne, Rassismus und ein Innenminister

Ende einer Bürgerrechtspartei

Was waren das noch für Zeiten, als nach Verschärfungen des Ausländerrechts ein Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch für seine mitregierende FDP die Koalition anmahnte, sie möge auf die Menschenrechte achten. Oder als Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit Tränen in den Augen ihren Job quittierte, weil sie den Großen Lauschangriff nicht mit liberalen Grundsätzen vereinbaren konnte.

Ganz anders heute: Wer sich erhofft hatte, nach den harschen Tönen des Innenministers Otto Schily in Sachen "Ausländerpolitik" und "Kriminalitätsbekämpfung" müsse der Kanther-Nachfolger mit einem Sturm der Entrüstung vom grünen Regierungspartner rechnen, sah sich getäuscht. Im Gegenteil: Da darf der Sozialdemokrat in Republikaner-Manier von vermeintlichen Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung fabulieren und erhält vom Grünen-Abgeordneten Cem Özdemir auch noch Zustimmung: "Wir wollen keine Einladung an die ganze Welt." Innenpolitiker und Bonner Fraktionschef Rezzo Schlauch bescheinigte Schily: "Eine Debatte zur Unzeit, mit unangemessenen Begriffen" - als gäbe es für diese von Ausgrenzungs-Metaphern besetzte Debatte einen richtigen Zeitpunkt. Gegen solche öko-weichgespülten Kanthereien der Grünalternativen sind die Worte des Yuppie-Liberalen Guido Westerwelle, der Schily vorwarf, er führe Schröders "Kriminelle-Ausländer-raus"-Kampagne als roter Hilfssheriff fort, geradezu Seelenbalsam.

Dabei hatte alles anders begonnen. Betrachtete man den grünen Einsatz für die von der konservativ-liberalen Regierung einst durchgesetzten Rentensenkung oder die von den Ökos enthusiastisch vertretene Senkung des Spitzensteuersatzes, so bestand zunächst kein Zweifel: Die Grünen waren den Freidemokraten ein ebenbürtiger Nachfolger. Das stand fest, lange bevor Joseph Fischer und Jürgen Trittin erstmals mit den Sozis über bundesdeutsche Regierungspolitik verhandelten.

Doch die Ereignisse der letzten Woche machen nun skeptisch. Wenn es in der FDP um das zweite Standbein liberalen Politikverständnisses - dem Bestehen auf Menschen- und Bürgerrechte - ging, konnten sich Unkenrufer vom Stil Hirschs oder Leutheusser-Schnarrenbergers trotz radikalem Wirtschaftsliberalismus gegen innerparteiliche Widersacher im öffentlichen Diskurs behaupten. Das grüne Pendant hingegen verharrte vergangene Woche beinahe in Schweigen. Nur vorsichtig erhob die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck das Wort für eine "stringente Integrationspolitik". Radikale Kritik fehlte ganz.

Dabei haben sich die Bündnisgrünen mit entsprechenden Postulaten vorab wesentlich weiter aus dem Fenster gelehnt, als es die Freidemokraten jemals gewagt hätten. Nicht nur für Flüchtlinge und Doppelte Staatsbürgerschaft. Auch gegen mediale Inszenierungen, die Schily mit seinen semantischen Arrangements von ausländischer Mafia, Organisierter Kriminalität (OK), Flucht und Einwanderung ausgelöst hat. So kritisierten die Ökos im vergangenen Jahr im alternativen Sicherheitskonzept, die "inflationäre Verwendung" des gesetzlich nicht definierten Begriffs OK werde benutzt, "um Ängste zu schüren, Vorurteile gegenüber Ausländern zu verstärken und den Abbau von Bürgerrechten zu rechtfertigen".

Daß die durchschnittsdeutsche Kriminalitätsfurcht vor allem eine konstruierte ist und mit dem tatsächlichen Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden, nur wenig zu tun hat, wissen die grünen Politkader folglich genau. Ebenso, daß mit dem Begriff "Ausländerkriminalität" eine rassistisch konnotierte Verbindung zwischen Migration und Delinquenz hergestellt wird. Wer trotzdem, wie Frontmann Fischer, als mitregierender Partner nur wachsweich von einer "falschen Debatte" spricht, anstatt grundsätzliche Fragen der Koalitionsfähigkeit aufzuwerfen, affirmiert einen Ausgrenzungsdiskurs, dessen handfeste Umsetzung anschaulich in den National Befreiten Zonen Ostdeutschlands nachvollzogen wird.

Natürlich hätte man von Fischer nicht unbedingt anderes erwartet. Die Zurückhaltung, die parteilinke Kritiker und Kritikerinnen vergangene Woche an den Tag gelegt haben, spricht jedoch für die innerparteiliche Akzeptanz eines grünen Kurses, der sich den traditionellen Werten des Liberalismus zunehmend entledigt.

Damit hat man in gerade in Deutschland viele Erfahrungen gesammelt. Zuletzt, als Frau Leutheusser-Schnarrenberger zurücktrat. Damals war vom Ende einer Bürgerrechtspartei zugunsten der Wirtschaftliberalen die Rede. Davon will heute bei den Grünen noch niemand sprechen. Wie lange sich aber die letzten grünen Bürgerrechtler noch lange halten können, ist nicht ausgemacht. Die Halbwertszeit ihrer Gesinnungsgenossen in der FDP dürfte in einer abschließenden Bilanz jedenfalls erheblich länger ausfallen.