Platt ist nicht platt genug

Die AAB hat eine hübsche Broschüre herausgegeben: "Das Konzept Antifa" als inhaltsfreie Pop-Kultur

Man braucht nicht unbedingt eine Theorie, um vernünftige linke Politik zu machen. Das ist schon irgendwie richtig. Manchmal kommt einem der Zufall zu Hilfe. Oder das Herz am rechten Fleck. Ein Konzept aber könnte nicht schaden! Und angesichts der sich ständig ändernden gesellschaftlichen Umstände könnt's auch hin und wieder mal ein neues sein.

Hätte man in den Reihen der AA/BO, in Szenekreisen B-Null genannt, solche Konzepte vor ein paar Jahren noch aus Göttingen erwartet, so kann heute keine Hoffnung mehr dahin gelenkt werden. Die "Mutter" der AA/BO, die Göttinger Autonome Antifa (M), kurz "M", schwächelt gnadenlos. Längst hat die Berliner B-Null-Gruppe Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) die Führungsrolle in der AA/BO eingenommen. Wie um das zu dokumentieren, hat sie jetzt eine über 70 Seiten starke Broschüre mit dem vielversprechenden Titel "Das Konzept Antifa" herausgebracht. Außen bunt und innen wirklich schön layoutet, werden hier für sieben Mark angeblich "Grundsatztexte und Konkretes" feilgeboten.

Doch das Heft ist leider kein Dokument neuer grundsätzlicher Gedanken zu einem neuen Antifa-Konzept. Es ist schlicht - wie nicht anders zu erwarten war - eine Werbebroschüre der AAB. Hintendrauf eine Stuyvesant-Werbung, und man hätte das Ding umsonst in Hausbriefkästen stecken oder bei WOM in einen Ständer stellen können. Das ist aber kein Versagen der AutorInnen, das ist BO-Politik: "Die inhaltlichen Grundlagen bleiben auf die grobe Orientierung begrenzt, die sich aus der Wahl des Themenfeldes ergibt", postuliert da die AAB. Das sei "die zeitgemäßeste Form linker Politik". Zeitgemäß, sicher: Come together!

Dabei ist der Ansatz der AA/BO, Leute über Aktion und Organisation zu politisieren und nicht über "Kapital"-Lesezirkel, völlig o.k. Zusammen eine Saalbestuhlung auseinanderzunehmen, verbindet mehr als die gemeinsame Erkenntnis, Marxist oder wahlweise Anarchist oder auch Antinationaler zu sein. Es fördert auch eher die antiautoritäre Rebellion und die latente Konfrontationsbereitschaft.

Die Frage ist, wo und wann die Politisierung dann stattfindet. Das würde nämlich voraussetzen, daß irgendwo jemand ist, der eine Vorstellung davon hat, wer wen in welche Richtung politisieren könnte. Ja, man bräuchte glatt so etwas wie einen politischen Standpunkt. Doch wer sich festlegt, spaltet! Und das kann keine Volkspartei wollen. In diesem Dilemma stecken die BO-Strategen und versuchen, es irgendwie allen recht zu machen.

Wer aber das macht, macht meist alles falsch. Und so fängt die Broschüre auch schon an: "Wir sind nichts, was wir wollen, ist alles!" heißt es da groß als Geleitwort gleich auf den ersten Seiten. So ein Quatsch! Mit diesem flotten Sprüchlein soll nur entschuldigt werden, daß man sich den eigenen Widersprüchlichkeiten nicht stellen möchte und alle Ansprüche an die eigene Person auf die Zeit nach der Revolution delegiert. Das ist eben die Voraussetzung für den Aufbau einer Massenorganisation. Und wenn man, wie die AAB, gar nicht weiß, was man will, ergibt der Satz sowieso keinen Sinn.

Die AutorInnen sehen das natürlich anders. Sie wissen angeblich genau, wo es langgeht. Erfolg messe sich schließlich am Ziel, sagen sie. Ihres ist der "revolutionäre Antifaschismus". Das beinhalte eine "Ausrichtung auf grundsätzliche, fundamentale Umwälzung der bestehenden Lebensverhältnisse". Das ist gut so. Aber wie machen? Eine nur grobe Orientierung soll das Fundament sein, daß sich möglichst viele Leute sammeln können. Irgendwie an Marx orientiert, gegen den Kapitalismus, kritisch natürlich und international und gegen das Patriarchat. Könnte es bitte noch ein wenig gröber sein?! Dann könnten sich noch mehr sammeln. Als ob bei McDonald's, da wo die längste Schlange steht, die leckersten Häppchen zu holen seien.

Die Orientierung erfolgt, aus Mangel an inhaltlichen Positionen, an historischen Leitbildern. In den Worten der AAB: "Den Überblick behält nur, wer politische Standpunkte aus dem rotem Faden der Geschichte historisch ableitet." Dabei möchte man niemandem auf den Schlips treten. Den Bolschewisten nicht und den Trotzkisten und den Anarchisten auch nicht. Man könnte ja jemanden vergrätzen!

"Die Linke" habe eine als "Gesamheit" zu verstehende Geschichte. Irgendwo außerhalb davon findet offenbar die Geschichte der Bourgeoisie statt, oder so. Der 1. Mai etwa sei der "weltweite Kampf- und Solidaritätstag der Arbeiterklasse". Und "genau in diesem Sinne" verkörpere er "alles, wofür die Linke steht". Na also. Bloß keine Selbstzerfleischung. Wo's kritisch wird, war das mit dem historischen Bezug dann doch nicht so ernst gemeint: "Alle Gedanken, die sich negativ an linke Geschichte knüpfen, lassen sich auch völlig ohne Erwähnung der Geschichte diskutieren, da sie längst ins Alltagsbewußtsein gedrungen sind - Fragen nach innerer Demokratie, Erziehungsdiktatur, Wahl der eigenen Mittel usw." Es sei im Zusammenhang mit Geschichte "völlig perspektivlos zu verneinen - es geht darum, die richtigen Ergänzungen hinzuzufügen". Ersatzweise tut's dann auch ein hübsches Ölgemälde von der M.

Den Vorwurf, inhaltlich nichts in der Tasche zu haben, hören die B-Nuller häufig. Klar. Wie aber begegnen sie ihm, wenn sie nicht ernsthaft widersprechen können? Vorwärts-Verteidigung, heißt die Devise. "Platt ist noch nicht platt genug", lautet eine Zwischenüberschrift im Kapitel "Revolutionäre Perspektiven". Dabei handelt es sich jedoch nicht um Ironie. Das ist ernst gemeint! "Wenn schon inhaltlich die 'neue Unübersichtlichkeit' herrscht, ist es verkehrt, diese Unübersichtlichkeit noch zu erhöhen oder selber zu übernehmen", dozieren da die AutorInnen munter drauflos. Ein Plädoyer für möglichst plumpe Vereinfachungen folgt. Da wird auch nicht mit Beispielen aus dem Soziologie-Erstsemesterseminar gespart: Eine Landkarte 1:1 sei zwar genau, aber für den Gebrauch völlig nutzlos. Das stimmt. Aber auch eine bunte Ansichtskarte aus Wien ist als Landkarte für Österreich völlig nutzlos. Wenigstens kann man sich die Postkarte an die Wand hängen. Und darauf scheint es bei der AAB anzukommen.

Mit ihrem inhaltsfreien Agit-Pop-Ansatz ist die AAB absolut zeitgeistgemäß. Aber sie wäre doch so gerne unheimlich radikal. Schließlich ist das ja auch die Pop-Fassade, mit der man Mitglieder gewinnen möchte. Radikal bleibt schließlich eine äußere oder an den Mitteln orientierte Zuschreibung. Inhaltlich wird nur der Populismus mit Radikalität betrieben. In ihrer Beliebigkeit ist den B-Nullern nichts heilig. Da plazieren sie in ihrer Broschüre doch glatt die Anzeige der Jungle World neben die der jungen Welt. Kein Wunder.

Von dem Stalinoblatt ließen sie jüngst sogar eine Fete sponsern. Aber warum sollte sich eine Gruppe auch von Nationalbolschewisten abgrenzen, wenn sie in ihrer Bundesweiten Organisation sogar eine offen stalinistische Gruppe wie die RAI mit durchziehen? Abgrenzen ist ihre Sache eben nicht. Wer die Buchstaben A, N, T, I, F, A aufs Blatt pinseln kann, ist Freund.

Kein Wunder, daß sich die BO schon wieder auf die von KPF-Stasis, DKP, TKP/ML, FDJ und ähnlichen abgedrehten ML-Sekten organisierte Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demo freut. "Eine alle linke Strömungen sammelnde Großveranstaltung mit breiter Beteiligung der Bevölkerung" sei das - und deshalb schön. In der Masse fühlen sich die AABler eben irgendwie gut. Auch wenn es eine Masse von Idioten ist.

"Wer auf alles einhackt, damit nur das Richtige übrigbleibt, bleibt zum Schluß allein übrig", heißt es in der AAB-Broschüre. Richtig. Doch kann die Schlußfolgerung davon sein, immer dahin zu gehen, wo noch 100 000 andere sind? Sowas endet schließlich in der Loveparade oder auf dem Münchner Oktoberfest. Linke Politik ist damit nicht zu machen. "Nicht am Eingeständnis falsch beantworteter Fragen ist die Linke zusammengebrochen", behauptet die AAB, "sondern am nagenden Bewußtsein völliger Wirkungslosigkeit." Ist die Frage erlaubt, ob die Wirkungslosigkeit linker Politik vielleicht irgend etwas mit falsch beantworteten Fragen zu tun haben könnte?

Daß die B-Nuller unkritisch wären, darf man jedoch nicht behaupten, denn dagegen haben sie eine schlagende Philosophie entwickelt: "Wer denkt, ist immer kritisch", heißt es da, und "Denken ist prinzipiell antiautoritär und sperrt sich gegen vorgefaßte Denkmuster." Drängt sich die Frage auf, ob mit dieser Broschüre die Ausnahme als Bestätigung dieser Regel vorexerziert werden soll, oder ob die AutorInnen bei deren Zusammenstellung nicht gedacht haben.

Aber genug der Häme! Der praxisorientierte Ansatz der AAB ist ja richtig. Er reicht, um eine Widerstandskraft zu entwickeln gegen Nazis und staatliche Repression. Das ist gar nicht wenig, und es ist notwendig. Mit einer revolutionären Perspektive und konstruktiver linker Politik hat das allerdings nichts zu tun. Man sollte daher das Maul nicht so weit aufreißen, nicht so viele Funken versprühen, und sich statt dessen auf die Arbeit konzentrieren, die getan werden muß.