Helmut Zilk

»Wir haben über alles gesprochen«

Seit einer Woche wird Österreich von einem skurrilen Geheimdienst-Skandal heimgesucht: Der tschechische Senator Vaclav Benda wirft dem ehemaligen Wiener Oberbürgermeister Helmut Zilk vor, in den sechziger Jahren als Journalist des Österreichischen Rundfunks für den Geheimdienst der Tschechoslowakei spioniert zu haben. Eine geplante Ordensverleihung durch Tschechiens Präsident Vaclav Havel mußte deshalb kurzfristig abgesagt werden. Doch nun befindet sich der tschechische Präsident in einer peinlichen Lage: Abgesehen davon, daß die Vorwürfe gegen Zilk aus der Luft gegriffen zu sein scheinen, ist der Verdächtige in Österreich nicht ganz ohne Einfluß. Zilk hat nicht nur jahrelang die österreichische Hauptstadt regiert, sondern er ist auch ehemaliger Direktor des staatlichen Fernsehens ORF, ehemaliger Wiener Stadtrat, Ex-Unterrichts- und Kulturminister und graue Eminenz der regierenden Sozialdemokraten. Österreichs Bundeskanzler Viktor Klima gehört zu seinen engsten Freunden. Ebenso Bundespräsident Thomas Klestil, dem er noch im Frühling dieses Jahres zur Wiederwahl verholfen hat. Im Dezember 1993 verlor der populäre Zilk durch einen Briefbomben-Anschlag der rechtsextremen Bajuwarischen Befreiungsarmee mehrere Finger der linken Hand.

Sie stehen seit einer Woche unter Verdacht, für den tschechoslowakischen Geheimdienst spioniert zu haben. Wie erklären Sie sich, daß Sie plötzlich vom Anwärter für einen hohen tschechischen Orden zum Agenten wurden?

Ich war in den sechziger Jahren freier Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks. Als ich versucht habe, eine Fernsehsendung namens "Stadtgespräche" zu organisieren, mußte ich auch mit vielen Leuten in der damaligen Tschechoslowakei reden. Damit wir die Sendung direkt aus Prag ausstrahlen konnten, habe ich sicherlich 20 bis 30 Gespräche mit wichtigen Leuten führen müssen. Und wir haben über alles gesprochen. Über das eigene Leben, über die Familie, über das eigene und das Nachbarland. Aber Staatsgeheimnisse gab es damals für mich nicht. Ich war ja beim ORF. Ich hätte denen erzählen können, wie das ORF-Programm aussieht, aber mehr nicht. Damals war ich weder Minister noch in einer anderen wichtigen Funktion.

Natürlich habe ich auch eigenartige Fragen gestellt bekommen. Einmal hat mich jemand gefragt, ob es stimme, daß der damalige Vizekanzler Österreichs strebenskrank sei. Ich habe nur geantwortet, daß ich glaube, er sei bei bester Gesundheit.

Wie genau haben Sie darauf geachtet, daß Sie nicht "abgeschöpft" wurden? Haben Sie Informationen gefiltert?

Ich muß immer wieder darüber lachen, wie sehr jüngere Menschen sich im Jargon eines James Bond unterhalten. Was heißt denn "abschöpfen"? Natürlich wußte ich, daß jeder Diplomat, jeder auch nur halbwegs bedeutende Journalist und beinahe jeder Künstler irgend etwas mit dem Geheimdienst zu tun hatte.

Mir war aber das Ziel wichtiger. Natürlich konnte ich nicht wissen, was die aus unseren Gesprächen gemacht haben. Vielleicht wollten sich einige bei ihren Vorgesetzten profilieren. Das soll es ja auch bei anderen Geheimdiensten geben. Manche Agenten schreiben auch von Zeitungen ab und melden das dann verschlüsselt an ihre Zentrale. Bei Geheimdiensten ist alles möglich. Deshalb würde ich mich auch nicht darüber wundern, wenn man mich als Kontaktperson führte.

Der österreichische Staat hat sich bisher nicht in Ihren Fall eingemischt, obwohl Sie nicht gerade unbekannt sind. Wo sehen Sie die Gründe für diese Zurückhaltung?

Das wäre schon geschehen. Am Dienstag hat mir Bundeskanzler Viktor Klima angeboten, in der Sache tätig zu werden. Ich habe aber ausdrücklich darauf bestanden, daß dies nicht geschieht. Man soll meinen Fall nicht so hochspielen.

Warum diese Bescheidenheit?

Das soll doch nicht zu einem zwischenstaatlichen Problem für Österreich und Tschechien werden. Ich habe mein Leben lang für die Demokratisierung unserer Nachbarländer gearbeitet. Und das soll nicht wegen eines Gerüchtes aus der Giftküche zerstört werden.

Manchmal werde ich ja belächelt, wenn ich sage, daß ich Sozialdemokrat und republikanischer Monarchist bin. Ich glaube an die Staatsidee des Habsburger Reiches. Deshalb habe ich mich in den sechziger Jahren dafür eingesetzt, daß Prag und Wien eine gemeinsame Fernsehsendung bekommen. Das hätte ich mir auch ersparen können, wenn ich gesagt hätte: "Mir ist das alles wurscht." Aber ich wußte, wir müssen den Leuten hinter dem Eisernen Vorhang zeigen, daß wir sie nicht vergessen haben. Und jetzt plädiere ich für eine rasche EU-Osterweiterung, auch wenn das in Österreich nicht so populär ist.

Schon damals haben wir mit der Sendung "Stadtgespräche" viel erreicht. Das waren wichtige Sendungen. Wir konnten live senden, es wurde simultan übersetzt und keiner hat zensiert. Ich erinnere mich an die Sendung vom 24. November 1964. Da wurde erstmals im tschechischen Fernsehen über Stacheldraht und Verfolgung gesprochen. Und über den Zusammenbruch der Wirtschaft.

Könnte es sein, daß die Vorwürfe gegen Sie auch eine Retourkutsche aus jener Zeit sind, als Sie Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs waren?

Ich war 1945 Mitglied. Und ich bin stolz darauf, nicht zu jenen gehört zu haben, die noch an den Endsieg glaubten. Aber ich bin bald nach dem Einmarsch der Russen in Wien zum Entsetzen meiner Mutter ausgetreten. Ich habe damals gemerkt, daß das alles zu einer neuen Konfrontation führt - und da wollte ich nicht dabei sein. Das war nicht meine Zukunft.

Gibt es eine Erklärung dafür, daß Sie ausgerechnet jetzt als vermeintlicher Spion enttarnt wurden?

Es hätte sicher bessere Gelegenheiten gegeben. Als ich Stadtrat wurde oder Minister oder Bürgermeister von Wien. Aber in den siebziger und achtziger Jahren haben mir diese Seifensieder von drüben nichts vorgeworfen.

Ist es nicht eigenartig, daß der ehemalige Innenminister Österreichs, Franz Soronics, gerade jetzt bei sich zu Hause eine geheime Akte der Staatspolizei findet, in der steht, Sie hätten nichts Verbotenes getan?

Ich weiß es nicht, bin aber froh darüber. Soweit ich weiß, hat sich Soronics schon vor Wochen Material über den Prager Frühling bei den Behörden besorgt und da war eben zufällig auch eine Akte der österreichischen Staatspolizei über mich dabei. Es ist gut, daß diese Akte nicht vernichtet wurde, denn sonst wäre garantiert etwas an mir hängengeblieben.

Glauben Sie, daß Sie ein Bauernopfer einer Palastintrige gegen den den tschechischen Präsidenten Vaclav Havel werden sollten?

Ich verstehe, daß der Präsident unter Druck kam. Deshalb verstehe ich auch die Absage der Ordensverleihung. Allerdings sind Havel und ich gute Freunde. Und von einem guten Freund hätte ich mir gewünscht, daß er mit mir redet, bevor er an die Öffentlichkeit geht. Ich bin darüber nicht böse, aber traurig.

In Prag wird man sich wohl früher oder später dafür entschuldigen. Werden Sie den Orden dann annehmen?

Das glaube ich nicht. Ein Sprichwort sagt, daß man nicht zweimal im gleichen Fluß baden soll.