Meck-Pommes, rosa-rot

Endlich darf die PDS richtig mitregieren: Im Schweriner Schloß teilen sich nun Sozialdemokraten und Sozialdemokraten die Ministerposten

So recht wollte man Helmut Holter nicht abnehmen, was er da gerade gesagt hatte. Steif, ja sogar leicht unbeholfen stand der frühere Betonbauingenieur vor den über hundert nach Parchim gereisten Delegierten. Holter, einst erfolgreicher Absolvent der Moskauer Parteihochschule, heute PDS-Landeschef, spricht - ganz der angehende Minister - von "Regierungsverantwortung" und "Politikwechsel in Mecklenburg-Vorpommern". Und dann: "Wir standen täglich, manchmal stündlich davor, aus diesen Verhandlungen auszusteigen."

Das klang dramatisch. So, als sei es richtig hoch hergegangen bei den Gesprächen, die SPD und PDS in den letzten Wochen über die Bildung einer gemeinsamen Regierung im Nordosten geführt haben. Dabei weckt nicht nur Holter selbst, dessen Auftreten eher an den Charme der SED-Parteizentrale Wolgast-Süd erinnert, an dieser Darstellung erhebliche Zweifel. Auch das Sieben-Punkte-Programm, mit dem seine Partei Mitte Oktober zu den Verhandlungen angetreten war, ging nur deshalb als "links" durch, weil der Begriff "sozialdemokratisch" in Zeiten Gerhard Schröders von der "neuen Mitte" besetzt wird. Forderungen wie der Einstieg in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, mehr finanzieller Spielraum für die Kommunen und die Einführung einer sechsjährigen Grundschule finden sich freilich in jedem SPD-Programm. Zu Recht gelten Holter und viele seiner Partei beim SPD-Ministerpräsident Harald Ringstorff schon lange als "lupenreine Sozialdemokraten".

Nein, schon die Angriffe aus der sozialdemokratischen Bonner Baracke waren den Genossen und Genossinnen beider Parteien hier fremd. In Mecklenburg-Vorpommern ist man sich einig. Da hält zusammen, was zusammengehört. Zum Beispiel, wenn die Bundesregierung Standortentscheidungen gegen die Interessen des Landes fällt. Oder wenn Unionspfarrer Hintze mal wieder das Bündnis von Grotewohls Sozis und Ulbrichts Stalinisten herbeizitiert. Ob hier einer das Parteibuch der Sozialdemokraten oder das der Sozialisten in der Jacke trägt, interessiert wenig. Pragmatismus ist Trumpf. Und "Ostkompetenz".

Kaum verwunderlich also, daß sich die beiden Parteien nach zweiwöchigen Verhandlungen mit verhältnismäßig geringem Aufsehen auf den Koalitionsvertrag geeinigt haben. Spätestens mit der deutlichen Zustimmung, die dieses Abkommen am vergangenen Samstag auf den Parteitagen der Koalitionäre gefunden hat, steht die erste rosarote Regierung. Künftig werden Helmut Holter (Arbeit und Bau), Wolfgang Methling (Umwelt, Natur und Energie) und Martina Bunge (Soziales, Jugend, Familie und Gesundheit) auf den Ministersesseln im Schweriner Schloß neben fünf Sozialdemokraten Platz nehmen.

Nur sechs von über hundert PDS-Delegierten sprachen sich in Parchim gegen das Regierungsbündnis aus, bei der SPD in Güstrow waren es immerhin noch 22 von 91 Abgesandten, die gegen eine gemeinsame Landesführung mit den Rotsocken stimmten. Die verärgerten Sozialdemokraten vom "Güstrower Kreis", die sich eine Woche zuvor getroffen hatten, um gegen die rosarote Liaison Front zu machen, gingen schlichtweg unter. Daß deren Sprecher Bruno Schuckmann vorab "eine Menge SPD-Mitglieder" entdeckt haben wollte, "die zu DDR-Zeiten eine oppositionelle Haltung hatten" und jetzt brüskiert würden, half offenbar wenig. Nur außerhalb des Landes kam die Botschaft an: Kaum war der Vertrag unter Dach und Fach, forderten vier namhafte Sozialdemokraten - unter ihnen Erhard Eppler, einst Chef der SPD-Grundwertekommission - in einem Memorandum mehr Distanz zu den Rotsocken.

In Schwerin hat man indes andere Sorgen. Dort steht jetzt rosa-rotes Mangelmanagement auf dem Programm. Enge finanzielle Spielräume spielten auch in der Verhandlungskommission eine zentrale Rolle. Von den 200 Millionen Mark zusätzlicher jährlicher Schulden, mit denen nach dem Willen der Sozialisten die Kommunen unterstützt werden sollten, sind gerade einmal 50 Millionen übrig geblieben. Das wird

vor Ort, wo zahlreiche PDS-Leute in Gemeindeverwaltungen, Bürgermeisterämtern und sozialen Einrichtungen tätig sind, auf wenig Gegenliebe stoßen. Allein in Rostock fehlen jetzt schon 30 Millionen, beklagt der Rostocker Agrarökologe Methling.

Immerhin: Waren anfangs noch höchstens 1 000 staatlich finanzierte Arbeitsstellen im Gespräch, steht nun die Zahl 3 000 in den Koalitionsabmachungen - davon 1 000 Jugend- und Sozialarbeiter sowie 1 500 im Bereich kommunaler Infrastrukturmaßnahmen. 5 000 solcher subventionierter Jobs hatte die PDS gefordert. Allerdings spricht trotz der Zugeständnisse nur der erste Blick tatsächlich für den "Einstieg in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor", auch ÖBS genannt, den sich die Sozialisten als wichtigstes Ziel gesetzt hatten.

Denn sieht man einmal ab von einem kurzfristigen, gemeinwohlorientierten Projekt auf Probe, in dem 500 Menschen beschäftigt werden sollen, ergeht sich das Vertragswerk in den üblichen Floskeln. Da wird schwammig "angestrebt" und "hat Priorität", was "mittelfristiges Ziel" ist. Voraussetzung: Die Fördergelder aus Bonn und dem Nürnberger Arbeitsamt müssen fließen. Und das ist bisher noch nicht ausgemacht. Mit der Rückkehr zur Planwirtschaft, die Hansheinrich Liesberg, Präsident der Schweriner Industrie- und Handelskammer (IHK), vergangene Woche in den Koalitionsvereinbarungen erkennen wollte, wird es jedenfalls nichts.

Trotzdem könnte Mecklenburg-Vorpommern, wo mit 150 000 Menschen rund 20 Prozent offiziell erwerbslos sind, beim Dritten Arbeitsmarkt eine Vorreiterrolle spielen. Denn generell hat auch die SPD Interesse am ÖBS. Schließlich paßt das Programm in den Katalog arbeitspolitischer Maßnahmen, den sich auch die Bonner Sozis auf ihre Fahne geschrieben haben: Soziokulturelle Dienstleistungen und ökologisch notwendige Arbeiten, die für die Privatwirtschaft unattraktiv sind, sollen vom Staat via Steuergelder finanziert werden.

Vermeintlich auf freiwilliger Basis angebotene Beschäftigung kann so freilich unter dem Deckmantel "öko-sozialer Dienste" schnell zu einer Art Zwangsarbeit werden. Nicht zufällig korrespondiert das ÖBS-Projekt mit den neuen Vorschlägen von Finanzminister Oskar Lafontaine, Arbeitslosengeld aus Steuerkassen und nur noch nach Bedürftigkeit zu zahlen. Lassen sich doch Bedürftigkeitsgrenzen je nach Opportunität verschieben.

Bislang bleibt der Einstieg in den ÖBS aber eher symbolischer Art. In den nächsten zwei Jahren werden unter der rosa-roten Regierung ganz zum Unwillen der PDS sogar 2 000 Stellen im Öffentlichen Dienst gestrichen. Dafür soll in Zukunft- wie auch immer - jedem Schulabgänger eine Lehrstelle garantiert werden. Studiengebühren bleiben verboten, die Grundschulzeit wird auf sechs Jahre erhöht. Bei den Kommunalwahlen kann im Nordosten bald jeder Deutsche seine Stimme abgeben, der das 16. Lebensalter überschritten hat. Und in Sachen Stasi wird es nur noch bei begründetem Verdacht Überprüfungen im Öffentlichen Dienst geben.

Für Aufregung in den Reihen der Wirtschaft sorgte die Absage der Koalitionäre an den Transrapid. Von einer "Katastrophe" sprach Hans-Günther Trepte von der Vereinigung der Unternehmensverbände für Mecklenburg-Vorpommern, schließlich habe die Magnetbahn 5 000 bis 10 000 Arbeitsplätze geschaffen. Zumindest in der Bauphase. Gebaut wird dennoch: Für die von den Sozialisten abgelehnte Ostseeautobahn A 20 wartet man nun nur noch auf die Gelder aus Bonn.

Betonbau-Ingenieur Holter ist trotzdem zufrieden. Selbst Caterina Muth, einst Verfechterin eines Tolerierungsmodells, stimmte in Parchim für den Vertrag. Und das mit einer bestechend einfachen Begründung: Auch wenn vieles nicht durchgesetzt wurde, meint die Schweriner Fraktionschefin, müsse man doch einbeziehen, "was an falscher Politik verhindert" worden sei.

PDS-Politikerin Sabine Jünger hingegen kann mit dem Ausgehandelten nichts anfangen. Noch vor wenigen Wochen habe man über die Grünen gelacht, weil diese in Koalitionsverhandlungen wichtige Punkte aufgeben hätten. Und nun? Nicht einmal eine Ausländerbeauftragte hätte die PDS durchsetzen können. Ihre Folgerung: "Nur mit Druck von der Straße wird es möglich sein, überhaupt Bewegung in dieses festgefahrene System zu bringen." Jünger selbst bewegt sich zunächst nach Bonn. Dort zieht sie als Abgeordnete in den Bundestag ein.