O soli mio!

Entfesselte Kräfte

Geschichte wiederholt sich doch als Farce: Linke Gruppen mobilisieren gegen Weltwirtschaftsgipfel und EU-Treffen nach Köln

 

Im Juni nächsten Jahres treffen sich die Bösewichte dieser Welt: Die Regierungschefs und Finanzminister der wichtigsten Industrieländer wollen zum EU- und Weltwirtschaftsgipfel nach Köln kommen. Rund 1 500 Regierungsdelegierte, begleitet von 5 000 Presseleuten, werden vom 5. bis zum 6. Juni über die politische und wirtschaftliche Weichenstellung innerhalb der Europäischen Union beraten. Vierzehn Tage später treffen sich die Vertreter der G 7-Staaten. Auch sie werden in der Rhein-Metropole über die Zukunft der Weltwirtschaft diskutieren.

Für den Mega-Treff macht derzeit nicht nur die Stadt Köln mobil, die sich schon jetzt in großflächigen Anzeigen zum Nabel der Welt erklärt. Auch ein breites Bündnis von Gegnern des Gipfels organisiert sich. Kirchliche Initiativen, Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), Euromarsch-Gruppen, Umweltaktivisten und Parteien planen eine Großdemonstration. Zudem rufen linksradikale und autonome Gruppen auf Einladung der Ökologischen Linken zu einem Gegenkongreß und einem Sternmarsch auf.

Die Vorbereitungen laufen bereits auf vollen Touren. So fand vergangenes Wochenende in Köln ein Vorbereitungstreffen statt. Mitte November wird sich ein mehrtägiges Seminar in Berlin mit den Gipfeln beschäftigen.

Die inhaltlichen und organisatorischen Unterschiede der verschiedenen Bündnisse sind beträchtlich; dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit: den Protest gegen die Folgen neoliberaler Wirtschaftspolitik. Differenzen gibt es vor allem bei den Forderungen. So verlangen die NGOs einen Schuldenerlaß für die ärmsten Länder; ein Anliegen, das bei den radikalen Gegnern auf wenig Sympathie stößt: Die "moderne Version des biblischen Erlaßjahres" zeige schließlich, daß es den Kirchen und NGOs "nicht um Protest, sondern um ein erbärmliches Betteln für eine beschleunigte Durchführung der IWF-Plänen" gehe, wie Dieter Asselhoven vom Linksradikalen Anti-EU-/WWG-Plenum Köln in seinem Aufruf schreibt. (Siehe Seite 18)

Die Linksradikalen haben das Elend der Weltwirtschaft wieder als Aktionsfeld für sich entdeckt. Das Internationale Investitionsabkommen (MAI) ist schon seit einiger Zeit bevorzugtes Feindbild; das vorläufige Scheitern des MAI auf dem OECD-Treffen Anfang Oktober in Paris wurde entsprechend gefeiert. Wie bei kaum einem anderen Thema lassen sich hier sämtliche Übel dieser Welt fokussieren. Der Weltwirtschaftsgipfel repräsentiere "Öko-Imperialismus" und "rassistische Selektion", "Patriarchat und bevölkerungspolitische Maßnahmen", "Gen- und Atomtechnik" oder einfach die "kapitalistische Ausbeutung" schlechthin, heißt es dazu in einem "Diskussionspapier vom linksradikalen Anti-WWG-/EU Gipfelplenum Köln".

Auch die Schützenlinien auf dem globalen Schlachtfeld sind bereits skizziert. Die "Banken und Konzerne sowie ein Teil der Bevölkerung in den kapitalistischen Zentren Westeuropas, Nordamerikas und Japans profitieren von diesen Verhältnissen", ist in dem Papier weiter zu lesen. Dieser "Club der Reichen" bildet "eine Front gegen die Menschen im Trikont, die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas und gegen revolutionäre Bewegungen". Doch auch hier nehme "Erwerbslosigkeit, Verelendung und mangelnde Ernährung zu, wachsen Ghettos, Slums und Obachlosensiedlung". Soweit der Stand der Analyse.

Besonders erstaunlich an diesen Thesen ist, daß an ihnen sowohl die Geschichte wie auch eine selbstkritische linke Debatte wirkungslos vorbeigezogen ist. Ungeachtet der Gefahr, die sich hinter solchen Bildern versteckt, werden die Übel kapitalistischer Vergesellschaftung an der Boshaftigkeit einzelner Personen und Organisationen festgemacht: "Imperialistische Charaktermasken", "Herren der Welt".

Bereits vor zehn Jahren machte ein breites Bündnis unter dem Motto "IWF - Mördertreff" gegen die Konferenz des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Berlin mobil. Die Kampagne bildete einen Höhepunkt der internationalistischen Bewegung. Bis zu 80 000 Demonstranten gingen in Berlin auf die Straße - eine Mobilisierung, die seitdem nicht mehr erreicht wurde. Der Weltwirtschaftgipfel 1992 in München und der Anti-EU-Gipfel 1995 in Essen mußte mit wesentlich geringeren Teilnehmerzahlen und publizistischem Echo auskommen.

Die aktuelle Mobilisierung wäre daher vermutlich nur für Nostalgiker interessant, hätte sich nicht der politische Hintergrund rapide verändert. Nach dem Kollaps des Realsozialismus schien in der ersten Hälfte der Neunziger der Siegeszug des Radikal-Kapitalismus kaum zu stoppen. Das "Ende der Geschichte" machte die Gegner kapitalistischer Verhältnisse scheinbar zu Relikten einer vergangenen Epoche. Doch spätestens mit Beginn der Asienkrise werden wieder Zweifel laut. Nach dem offensichtlichen Desaster in Indonesien und Südkorea, in Rußland und Lateinamerika reicht die neue Skepsis mittlerweile bis in bürgerliche Medien. "Spekulanten sollen bluten" titelte vor kurzem die Zeit - die Sorge, die entfesselten Kräfte des freien Marktes könnten geradewegs in eine Weltwirtschaftskrise führen, beschäftigt jetzt selbst seine Apologeten.

Die G 7-Staaten suchen nach Lösungen und beschließen, wie beispielsweise vergangene Woche in Form eines Notfallfonds, neuen Regulations- und Kontrollmechanismen. Der IWF steht selbst bei Konservativen unter heftigem Beschuß. Kaum jemand glaubt noch an die Selbstregulierung des Marktes, Linksradikale wittern hingegen wieder neue Chancen: Der Anti-Weltwirtschaftsgipfel in Köln könnte zu einer Wiederbelebung der internationalistischen Bewegung führen.

Also Morgenluft für Revolutionäre? Vermutlich kaum, wenn in Köln nur, wie der bisherige Stand der Bewegung befürchten läßt, die Fehler von gestern und die Konzepte von vorgestern recycelt werden.