Aushungern statt Abschieben

Weil ihr Status nicht definiert ist, werden Kosovo-Flüchtlinge in Berlin von Behörden kujoniert

Knapp zwei Monate nach der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes schlagen Flüchtlingshilfeorganisationen in Berlin Alarm: "Vor allem Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo und staatenlose Palästinenser aus dem Libanon werden von den Bezirksämtern unter den Rand des Existenzminimums gedrängt", sagt Elisabeth Reese von der Asylberatungsstelle der Heilig-Kreuz-Gemeinde im grün-schwarz-rot regierten Bezirk Kreuzberg.

Die rund 30 000 Flüchtlinge, die in Berlin unter das Gesetz fallen - in der Mehrzahl "geduldete" Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, deren Ausreise oder Abschiebung aufgrund der Situation in ihren Heimatländern nicht möglich ist -, erhalten von den Bezirksämtern neben einem Heimplatz eine um 25 Prozent gekürzte Sozialhilfe. In den meisten Bezirken wird sie nur noch in Form von Wertgutscheinen ausgehändigt. An Bargeld bleibt ein monatliches Taschengeld von 80 Mark für Erwachsene und 40 Mark für Kinder und Jugendliche. Seit dem 1. September sieht das Gesetz vor, daß auch diese Leistungen noch gestrichen werden, wenn die Behörden der Ansicht sind, daß ein Flüchtling nur zum Bezug von Sozialhilfe nach Deutschland eingereist ist oder daß er seine Ausreise - z.B. durch das Vernichten von Identitätsdokumenten - "aktiv behindert".

Schon bei der Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes hatten sich der Berliner Senat und insbesondere Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) bundesweit als Scharfmacher profiliert. Nun schwenken auch die Sozialämter der Bezirke auf die harte Linie ein. Flüchtlingsberater kritisieren, daß immer mehr Bezirksämter "pauschal davon ausgehen, daß die Leute nur hierher kommen, um Sozialhilfe zu kassieren. Dabei wird ihre individuelle Situation überhaupt nicht mehr berücksichtigt", so Georg Classen von der Passionskirchen-Gemeinde.

Rund 50 Fälle, darunter eine Reihe von albanischen Familien aus dem Kosovo mit mehreren Kindern, hat Classen dokumentiert, die entweder gar keine staatliche Hilfe mehr erhalten oder nur noch einen Heimplatz zugewiesen bekommen, aber kein Taschengeld und auch keine Verpflegung mehr erhalten. "Die derzeitige Politik gegenüber den Betroffenen läßt sich am ehesten so zusammenfassen: aushungern, obdachlos machen und illegalisieren", so Classen. In seiner Beratungsstelle häufen sich die Bescheide aus den Bezirksämtern, in denen Flüchtlingen sämtliche Leistungen entzogen werden - "weil ihre Identität ungeklärt ist" - oder weil behauptet wird, sie hätten "die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise".

Schon die Streichung des Taschengeldes stellt Flüchtlinge meist vor fast unlösbare Probleme. Auf ihren Wegen zwischen Wohnheim, Sozialamt, Ausländerbehörde und Botschaft müssen sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Ohne Bargeld bleibt nur Schwarzfahren - und damit die Gefahr, nach mehrmaligem Erwischtwerden auch noch als "kriminell" abgestempelt zu werden.

Ein von den serbischen Behörden ausgestellter Personalausweis reicht den deutschen Ämtern wegen "zu leichter Fälschbarkeit" nicht aus. Um ihre Identität zufriedenstellend nachzuweisen, versuchen daher fast alle Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo, bei der jugoslawischen Botschaft Pässe zu beantragen. Doch dort werden sie abgewiesen, weil die Botschaft die Kopien der Personalausweise - die Originale werden von der Ausländerbehörde eingezogen - nicht als Nachweis für die Staatsangehörigkeit ausreichen. Ohne Bargeld ist hier ohnehin jeder Versuch, Papiere zu erhalten, zum Scheitern verurteilt.

Bei der Umsetzung der neuen Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes gehen die für die Versorgung der Flüchtlinge zuständigen Berliner Bezirksämter unterschiedlich vor. Während im Bezirk Wedding bis Ende November alle Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, nach den Gründen für ihren Aufenthalt in Berlin, nach ihrer Fluchtroute und nach ihren Rückreisemöglichkeiten befragt werden sollen, geht Kreuzberg den umgekehrten Weg. Dort verzichtet man auf eine derartige Befragung; statt dessen trägt die Ausländerbehörde die Beweislast, warum jemand keine Leistungen mehr erhalten soll.

Die Unterschiede in der Behandlung der Flüchtlinge ziehen sich auch quer durch die Parteien: Im Bezirk Mitte, wo der Sozialstadtrat ebenso wie in Kreuzberg SPD-Mitglied ist, häufen sich die Fälle, in denen kosovo-albanische Flüchtlinge keinerlei Unterstützung mehr erhalten.

Im Bezirk Marzahn erhielten zahlreiche jugoslawische Flüchtlinge von Sozialstadträtin Cornelia Reinauer (PDS) einen Formbrief, in dem es hieß: "Aus von Ihnen zu vertretenden Gründen können aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden. Aus diesem Grunde erhalten Sie heute letztmalig Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Paragraph 3." Erst nach einer Intervention des Flüchtlingsrats versprach Reinauer, den Brief künftig nicht mehr zu verwenden. Auch die Sozialämter in Neukölln, Tiergarten und Hohenschönhausen meinen offenbar, daß es Hauptaufgabe des Asylbewerberleistungsgesetzes sei, "die Leute zur Ausreise zu bringen, indem die Leistungen gestrichen werden", wie die Leiterin des Sozialamtes Wedding ihr Ziel formulierte.

Übersehen oder bewußt ignoriert wird dabei, daß es für Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo de facto einen Abschiebestopp gibt. Vor dem Berliner Verwaltungsgericht hatten mehrere Flüchtlinge Erfolg, die mit Klageandrohungen und Klagen eine Duldung als Kriegsflüchtlinge und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beantragt hatten. Dazu kommen objektive Abschiebehindernisse: Die EU hat gegen die Bundesrepublik Jugoslawien einen Flugboykott verhängt; schon vor zwei Jahren hat Jugoslawien das Rückübernahme-Abkommen mit Deutschland gekündigt. Doch solange die Innenministerkonferenz nicht den Abschiebestopp für Kosovo-Albaner beschließt, können die Sozialämter die Grauzone weiter ausnutzen.