Jürgen Neumeyer

»Über legalen Zugang zu allen Drogen reden«

Jürgen Neumeyer ist Drogenreferent beim Bundesverband der Jusos. Er hat mehrere Bücher zu den Themen Cannabis, Ecstasy, Drogenpolitik und Innere Sicherheit herausgegeben.
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Die rot-grünen Koalitionsverhandlungen zum Thema Drogenpolitik endeten niederschmetternd. Die SPD-Fraktion im Bundestag hat nicht einmal ihre eigenen Beschlüsse aus der letzten Legislaturperiode umgesetzt. Wie konnte es dazu kommen?

Die Ergebnisse der Verhandlungen sind wirklich sehr enttäuschend. Am Anfang stand ein taktischer Fehler der Grünen, die das Thema im Zusammenhang mit Innen- und Rechtspolitik verhandeln wollten - vielleicht unter der Voraussetzung, daß Renate Künast Justizministerin wird. So kamen die Grünen in die Situation, mit Otto Schily und Herta Däubler-Gmelin verhandeln zu müssen. Das war für dieses Thema sehr unklug. Der Fehler der Grünen führte dazu, daß sich die inhaltliche Borniertheit von Otto Schily durchsetzen konnte.

Also sind's die Grünen schuld?

Nein, nein. Die inhaltliche Blockadehaltung kam eindeutig von der SPD. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Wo ist denn die Gesetzesinitiative der SPD aus der letzten Legislaturperiode geblieben, nach der es eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums geben sollte?

Die Reformvorschläge wurden als ausgearbeitetes Artikelgesetz sowohl in der 12. als auch in der nun zu Ende gehenden 13. Legislaturperiode von der SPD-Bundestagsfraktion eingebracht. Darin ging es neben Heroinverschreibung, der Streichung des Kronzeugenparagraphen, ausgeweiteten Methadonprogrammen auch um eine Straflosstellung des Drogenkonsums, also eine materiell-rechtliche Entkriminalisierung. Straflos sollte bleiben, wer zum Zwecke des Eigenkonsums Drogen besitzt, kauft, herstellt und so weiter. Das wäre ein Fortschritt gegenüber dem aktuell herrschenden Opportunitätsprinzip der Staatsanwaltschaften.

Es gibt nach wie vor den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, dies bundesweit zu vereinheitlichen, damit endlich Rechtssicherheit existiert. Selbst darauf konnte man sich in den Koalitionsverhandlungen nicht einigen. Der Auftrag des Verfassungsgerichts besteht aber weiterhin, da wird auf jeden Fall noch etwas getan werden müssen.

Waren den Verhandlungsführern die Standpunkte der Fraktion nicht bekannt, oder ist es normal, daß die SPD fortschrittliche Vorschläge nur macht, wenn sie keine Aussicht auf Umsetzung haben?

Sicherlich spielt der öffentliche Druck eine Rolle. Als die SPD zuletzt ihre Reformvorlage einbrachte, gab es Prügel für einen Absatz, nach welchem die Straflosstellung des Drogenbesitzes in Höhe eines Wochenvorrates gefordert wurde. Das war für die CDU ein gefundenes Fressen: Sie erklärte, die SPD wolle den Kleindrogenhandel freigeben. Es gab einigen Pressewirbel. Daraufhin zuckte unsere Parteispitze zurück und bestand darauf, dieses Detail zu ändern. Die Forderung nach Entkriminalisierung blieb. Damals hat sich auch Otto Schily gegen eine Legalisierung von Cannabis ausgesprochen - obwohl das gar nicht zur Debatte stand. Man spürt in der Führungsspitze meiner Partei die Angst vor einer sachlichen Auseinandersetzung in dieser Frage. Vielleicht hängt das mit der großen Ahnungslosigkeit bezüglich Drogen zusammen. Die SPD ist eine große Volkspartei, in der, genauso wie in der Bevölkerung, alle Meinungen und Mythen vertreten werden, die wir durch die Propaganda gegen Drogen in den vergangene Jahrzehnten glauben mußten. Dies ist ein weites Feld für eine neue Aufklärungsarbeit - nicht nur fürs Volk, sondern auch innerhalb der Regierung.

Übrigens hat die Partei noch viel weitergehende Beschlüsse als die Fraktion. Da heißt es etwa, daß für den legalen Zugang zu Cannabisprodukten zum Eigengebrauch Bedingungen des kontrollierten Verkaufs geschaffen werden müssen. Es war auch von der Förderung eines eigenverantwortlichen Umgangs mit Drogen die Rede - natürlich ohne Strafrecht. Das wurde auf dem Bundesparteitag der SPD 1993 in Wiesbaden beschlossen; vieles davon wurde auf dem Jugendparteitag 1994 in Köln nochmals bestätigt.

Klar, daß ich also bei den Koalitionsverhandlungen mehr erwartet habe als das, was jetzt herausgekommen ist. Ich glaube aber, daß die Bundestagsfraktion inhaltlich noch hinter ihrem Antrag steht. Jetzt wird man schauen müssen, ob der Gesetzesentwurf nicht doch irgendwie einfließen kann, ich sag' mal, ganz leise vielleicht.

Als Juso ist man vermutlich an Enttäuschungen gewöhnt, wahrscheinlich gehören sie geradezu zum Lebenszweck eines Jungsozialisten. Sie haben aber immer noch Hoffnungen?

Klar habe ich Hoffnung, daß sich immer mehr die Vernunft durchsetzen wird. Jetzt rücken immer mehr junge Menschen in politisch wichtige Positionen nach, die aus ihrem engsten Umkreis oder aus eigenener Betroffenheit heraus sehen, daß die repressive Drogenpolitik auf ganzer Linie gescheitert ist. Ich weiß von etlichen jungen Abgeordneten aus der SPD, daß sie im Bereich der Drogenpolitik Initiativen aufnehmen werden. Mit einigen Grünen ist in dieser Frage auch schon gesprochen worden. Wir verstehen den Koalitionsvertrag so, daß darin steht, welche Gesetzesinitiativen die Bundesregierung einbringen wird. Unbenommen davon können einzelne Mitglieder der Fraktion oder die ganze Fraktion Anträge stellen. Auch parteiübergreifende Gruppenanträge sind denkbar.

Nicht einmal im Bereich Cannabis gab es Fortschritte Richtung Entkriminalisierung. Und das, wo es in der künftigen Bundesregierung von ehemaligen Kiffern nur so wimmelt.

Offenbar soll es beim Start von Rot-Grün möglichst ruhig zugehen. Eine Diskussion, wie künftig mit Cannabis umzugehen ist, muß und wird es auf jeden Fall geben. Dafür werden schon bestimmte Bundesländer, die übrigens auch rot-grün regiert werden, sorgen. Das Strafrecht muß raus aus der Drogenpolitik. Es ist völlig absurd, daß Leute wegen ihres Cannabiskonsums mit der Polizei zu tun bekommen.

Außerdem müssen wir uns in Zukunft über einen legalen Zugang zu allen Drogen unterhalten. Wer Drogenkonsumenten schützen will, darf sie nicht einem unkontrollierbaren Schwarzmarkt überlassen. Es geht also gar nicht um eine unkontrollierte Freigabe. Wir müssen den Mut haben, sauberer mit den Begriffen Entkriminalisierung, Legalisierung und Freigabe umzugehen.

Gibt es denn Ihrer Meinung nach irgendwelche Fortschritte in der neuen Drogenpolitik?

Wenn man wohlwollend hingehört hat, gibt es zwei Ansatzpunkte: Zum einen hat Herta Däubler-Gmelin gesagt, daß die Beschaffungskriminalität drastisch reduziert werden soll. Das kann nur Entkriminalisierung bedeuten. Das sehen auch Führungskreise der Polizei so. Der andere Bereich ist Aufklärung und Prävention. Hier wird sicher deutlich Abstand genommen werden von so unsinnigen Kampagnen wie "Keine Macht den Drogen!" Es wird in Richtung einer angstfreien Aufklärung gehen. Der Ansatz des Safer Use wird gefördert, vielleicht kommen wir sogar zum Drug-Checking in Diskotheken.

Ist kontrollierte Heroinabgabe ein Fortschritt?

Schon. Aber die Bereitschaft zu solchen Modellversuchen gab es auch schon beim vorherigen Gesundheitsminister Horst Seehofer. Das ist nichts revolutionäres. Auch Gesundheitsräume existieren bereits. Es ist nur folgerichtig, daß es jetzt eine rechtliche Klarstellung geben wird.

Also keine Wende in der Drogenpolitik?

Eine richtige Wende sehe ich derzeit noch nicht, auch wenn die Situation von Konsumenten am Ende der kommenden Legislaturperiode vielleicht besser ist als jetzt. Die größten Probleme in unserer Gesellschaft haben wir beim Konsum von Alkohol, Medikamenten und Tabak, und nicht so sehr bei den illegalen Drogen. Es muß sich mehr um den problematischen Konsum gekümmert werden und nicht um den unproblematischen, auch wenn es sich dabei um illegale Drogen handelt. In diese Richtung wird es gehen, glaube ich.

Es hieß, man wolle Drogengebraucher nicht länger als Kriminelle stigmatisieren, sondern Sucht als Krankheit anerkennen. Das nun Vereinbarte ist doch nur eine andere Stigmatisierung.

Wenn man Drogengebrauch mit Sucht gleichsetzt, stimmt das. Das ist eine weitere, oft benutzte und wirklich gefährliche Begriffsverwirrung. Es gibt ja keine seriöse Definition von Sucht. Nicht einmal die Weltgesundheitsorganisation hat eine wissenschaftlich haltbare Definition gefunden - und ist deswegen auch wieder weg von diesem Begriff. Ein Teil der Drogenkonsumenten - hauptsächlich in den sogenannten offenen Szenen - hat tatsächlich Probleme mit dem Drogenkonsum und lebt darüber hinaus in sozialem Elend. Da kann man durchaus von Krankheit sprechen, und wir sollten diesen Menschen auch Hilfsangebote machen. Es ist aber zum Beispiel besser, zwischen hartem und weichem Konsum zu unterscheiden als zwischen harten und weichen Drogen. Ob Drogenkonsum problematisch oder unproblematisch ist, hat nicht nur mit dem Stoff zu tun, sondern auch mit kultureller Einbindung, individuellen Voraussetzungen, Eigenverantwortung, mit den Rahmenbedingungen des Konsums und so weiter.

Mit der kontrollierten Heroinabgabe und der Legalisierung von Fixerräumen wird das Abstinenzdogma gebrochen. Andererseits ist das reine Ordnungspolitik. Die Repression wird nicht geringer, sondern nur weniger ideologisch.

Ja und nein. Die kritische Debatte über Gesundheitsräume als diffizilere Form sozialer Kontrolle wird leider nur in ganz kleinen Zirkeln der Wissenschaft und Drogenhilfe geführt. Man muß aber auch zur Kenntnis nehmen, daß die Mythen, die über Jahrzehnte gegenüber Drogen aufgebaut wurden, nicht von heute auf morgen zu kippen sind. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist es sehr recht, Heroinkonsum nicht mehr vor ihren Augen zu haben, die Städte also zu säubern. Man kann nicht bestreiten, daß das ordnungspolitische Fragen sind. Ich weiß, daß es durchaus ernstzunehmende Leute gibt, die weiter wollen, die dies nur als Hebel benutzen, um in der Drogenpolitik etwas zu ändern. Andere aber wollen nur Ordnungspolitik machen. Das lehne ich natürlich ab. Es muß deutlich gemacht werden, wo Drogen- und Ordnungspolitik unzulässig verquickt werden. Schließlich geht es hier um Menschen, und wir müssen eine humane Drogenpolitik erreichen.