Last mit Derrick

"Derrick" ist gegangen. Gut, daß er weg ist.

"Was Blut und Schmerzen sind, das macht mich glücklich", schrieb der Junge Welt-Schriftleiter Herbert Reinecker 1944; 1953 erhielt er den ersten seiner deutschen Fernsehpreise und sorgte, nachdem das Hitler Jugend-Organ von den Alliierten geschlossen worden war, fortan für die Drehbücher zum "Kommissar" und zu "Derrick".

Ermittelt wurde, was das Zeug hielt. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen installierte sich dazu Figuren, mit denen der deutsche Durchschnittszuschauer seine Affekte gründlich reinigen konnte. Was im Vorabendprogramm die Waschmittelwerbung leistete - weißer als weiß -, besorgten die Odes und ihre Untergebenen am Abend, wenn sie unser schönes Land von den Verrückten befreiten. Freitag "Derrick", Sonnabend Badetag - so konnte die Familie frisch gereinigt den Sonntag zelebrieren.

Die Polizei im deutschen Fernsehen, noch besser als die auf den Straßen: Das war und ist im großen Ganzen eine fortwährende Exkursion in die Bilderwelt Marke Ordnung und Soziales. "Derrick" ist letzte Woche abgetreten, Reinecker wurde ausgiebig mit Gottschalk-Gala, Video-Cassetten und Sektempfang geehrt, wie es sich für Größen wie ihn gehört. Darsteller Tappert attestierte sich selbst noch schnell angelsächsischen Humor. Fand, für deutsche Mimen standesgemäß, die letzten Skripte seines Autoren schlecht. Stimmt schon, Derrick muß mindestens so komisch wie John Stead und Emma Peel ("Mit Schirm, Charme und Melone") gewesen sein, das war nur manchen entgangen.

Derlei Komik faßte der für "Derrick" zuständige ZDF-Redakteur Claus Legal einst in der Mitteilung zusammen, daß die von ihm betreute Sendung im Dienst der Kriminalpolizei stehe. Die andere war "Aktenzeichen XY". Sie standen nicht etwa für die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder gar im Dienst der Zuschauer. Oder vielleicht doch? Sicher war "Derrick" eine Sendung für das TV-Volk, das sich ganz gern in den Dienst genommen sah. So wie der Inspektor Sowieso und sein kleiner Freund Harry, ein Musterbeispiel vorauseilenden Gehorsams. "Soll ich schon mal die Fresse halten, Stephan?" Und waren die zwei wirklich so verschieden von den Zimmermann-Typen in "Aktenzeichen XY"? Komik hätten die Zuschauer aufbringen müssen: den Reality-Moderatoren Eduard Zimmermann als Irren rezipieren. Doch es war andersherum: Reale Fahndung und TV-Krimis wurden gleichermaßen als Aufforderung ans eigene Gewissen verstanden. Wäre es jemals vorstellbar gewesen, sich dieses Helden auf breiter Front zu entledigen? Und anschließend dem ZDF in Mainz den Saft abzudrehen für seine protofaschistischen Sozial-Studien? Da war dann die Rundfunkgebühr davor, und was man bezahlt hat, will man auch haben.

Dabei beschlich einen vor allem bei der Festnahme immer ein ungemütliches Gefühl: Irgendwann hatte das undynamische Duo Derrick/Klein den Verbrecher am Boden festgenagelt. Waffen wurden da selten benutzt, was umso schrecklicher wirkte: Der kriminelle Unrat wurde zupackend überwältigt. Und wenn ihn dann die kriminalen Laufburschen ins Fahrzeug zwängten, ahnte man, daß der Täter nun in die Hände hemmungsloser, emotional aber völlig unbeteiligter Folterer gefallen war. Lebenslang. Wahnsinn, hatte Reinecker einmal definiert, sei überstarkes Wahrnehmungsvermögen. Und wer zuviel wahrnehme, müsse verückt oder, das war auch schon der Fall, geistig behindert und also der Mörder sein. Ausnahmen möglich, siehe Folge Nummer eins. Hin und wieder mußte erinnert werden, daß jeder verdächtig ist.

Das Ambiente: die Welt der Halbreichen in den Vororten Münchens. Die Lehre: Wer über sich hinausstrebt, gern Schampus säuft und dabei den lieben Gott einen guten Mann sein läßt, ist verdächtig. Reineckers Gedanke: "Unruhezeiten. Aufbruch- und Umbruchzeiten, irgendeine gewaltige Denkunruhe ist unterwegs. Ruhige Plätze, Zuhauseplätze, sind selten geworden." Parlamentarisches Gebrabbel ist seine Sache nicht. Der Fall wird mit unseren Mitteln gelöst. In der letzten Folge läßt er "Derrick" eine Rede halten: "Wir leben in einer Welt, in der sich die Lebensgesetze verändert haben - und mit ihnen auch die Wertvorstellungen, die wie ein Gehäuse waren, in dem sich der Mensch verhältnismäßig sicher bewegen konnte."

Und nun? Droht das Chaos. Was aber sollen "Lebensgesetze" sein, die "Wertvorstellungen" generieren? Wer auf die Unveränderbarkeit der ewigen Wertvorstellungen beharrt, muß sich natürlich umstellen, wenn er aus dem Programm fliegt. Und gerät aus der Fassung, wenn der eigenen Behaustheit mal das Hintertürchen offensteht. Das ist der Ausdruck der Kultur, die auch gern Sätze wie "Die Sprache ist das Haus des Seins und der Mensch wohnt darin" (Heidegger) hervorbringt. Gefangenschaft zufügen gilt eben dort als Tugend, wo man selbst noch der Sprache bedarf, um sich lebend einzumauern.

"Derrick" war die letzte echte Schwarz-Weiß-Sendung in Deutschland. So richtig bunt wird es dennoch nicht zugehen, genügend Drehbuch-Autoren dürften ihr Talent am Schaffen Reineckers geschult haben. Der Generalanspruch auf letale TV-Welten und ihre todbringende Langeweile bleibt, es gibt Bedarf. Wir lassen uns weiterhin festnehmen von "Ziska", den "SK-Babies", dem kompletten "Großstadtrevier", "Kommissar Rex" oder sind - besonders erschreckend - ein "Fall für Quandt". Auch ohne "Derrick" bleibt sichergestellt, daß die Welt ein Gefängnis sei.