Kippt Kabila über Kindu?

In der Demokratischen Republik Kongo sind wieder die Rebellen auf dem Vormarsch

Immer wieder Kongo und immer wieder ganz anders: Durch die Einnahme der Stadt Kindu am Dienstag vergangener Woche haben nun wieder die Rebellen die Initiative in dem seit mehr als zwei Monaten andauernden Bürgerkrieg übernommen.

Kindu, eine Stadt mit 165 000 Einwohnern rund 300 Kilometer von der Ostgrenze des Kongo entfernt, war bislang für die Regierung von strategischer Bedeutung, weil die Stadt in die von den Rebellen kontrollierten Gebiete ragte und die Regierungsarmee von der dortigen Flugpiste ihren Nachschub hätte organisieren können.

Die Schlacht um Kindu hat erneut die Verhältnisse im kongolesischen Krieg verdeutlicht. Zwar gibt es widersprüchliche Berichte, ob angolanische Soldaten auf Kabilas Seite kämpften, klar ist aber, daß Kabila keine große Unterstützung seiner gut ausgerüsteten Freunde für den Krieg im Osten erwarten kann. Die angolanische Motivation sich im Kongo einzumischen, scheint ohnehin stark gesunken zu sein. Der Einsatz sudanesischer Regierungssoldaten auf der Seite Kabilas ist für die USA ein rotes Tuch, und eben auch für Angola, da Washington nicht verprellt werden soll. Ein weiterer Kabila-Verbündeter, Zimbabwe, hat sich mit der Kongo-Intervention einfach finanziell übernommen.

Die Rebellen haben erneut angekündigt, Kabilas rohstoffreiche Herkunfts-provinz Katanga im Südosten des Landes, angreifen zu wollen. Zwar ist davon auszugehen, daß sich die Armee dort loyal verhalten wird - die Katanger sind wegen ihre Stammesbande wahrscheinlich die einzigen, auf die sich Kabila wirklich verlassen kann -, aber unklar bleibt, wo eigentlich Kabilas Armee ist. Der kongolesische Staatschef hatte angekündigt, die Streitkräfte auf 250 000 Mann aufzustocken, hatte Ausbildungsabkommen mit zahlreichen Ländern geschlossen und Zehntausende ehemaliger Mobutu-Soldaten nach einer Umerziehungskampagne in sein Heer eingegliedert. Doch das Gros der propagierten regulären Armee, die vielgerühmten Kadogos - die Kleinen, so genannt, weil vor allem Jugendliche und Kinder im Osten des Landes rekrutiert wurden - wurde bislang nicht gesehen.

Möglich ist, daß Angola, wenn die Rebellen die an der Grenze zu Angola gelegene Provinz Katanga bedrohen, wieder in die Kämpfe eingreifen wird. Sicher ist es jedoch nicht, denn die unterstellte Allianz der Rebellen mit der Unita, entscheidendes Argument für die angolanische Intervention, hat sich nicht bestätigt. Auch die anderen Freunde Kabilas konnten nicht viel reißen: Der Tschad sandte 2 000 Soldaten - die Mehrzahl wohl nach Kindu - und ließ Libyen für ihren Transport bezahlen.

Der lybische Staatschef Muammar

al-Gaddafi, der in Kabila einen Gesinnungsbruder im Kampf gegen den Westen sieht, hat im Tschad inzwischen - zum Ärger Frankreichs - die Rolle des Schutzpatrons übernommen. Andere frankophone zentralafrikanische Staaten haben Kabila auf einem Gipel vor drei Wochen hingegen die kalte Schulter gezeigt. Der Doyen der Staatschefs der Region, der gabunische Präsident Omar Bongo, legte Kabila, wie Jeune Afrique berichtete, eine Konferenz mit allen politischen Akteuren im Kongo nahe - eingeschlossen den Mobutisten auf seiten der Rebellen.

Aus Tripolis kam Anfang des Monats ebenfalls ein Friedensplan, der nicht ohne Interesse blieb, weil Gaddafi einen guten Freund auch auf der anderen Seite hat: Ugandas Staatschef Yoweri Museveni. Gaddafi hatte Museveni während dessen Gurillakrieg Waffen vermacht, und noch heute kündet das "Kulturzentrum der großen Jamarihja" in Kampala von den herzlichen Beziehungen. Inhalt seines Plans: Die ugandischen und ruandischen Soldaten im Osten des Kongo sollen durch eine afrikanische Friedenstruppe ersetzt werden. Wer sich daran mit Geld oder Soldaten beteiligen soll, blieb offen.

Die Friedensbemühungen der South African Development Community (SADC) laufen auch nicht viel besser. Hochrangige Vertreter der Rebellen trafen sich jüngst mit dem tansanischen und dem sambischen Präsidenten, denen die SADC die Friedensinitiative übertragen hat. Daß die beiden Kabila überzeugen können, mit den Rebellen zu verhandeln, scheint unwahrscheinlich. Denn Kabila wird sich eher in Katanga verschanzen und versuchen, dort einen unabhängigen Staat auszurufen, als zu verhandeln.

Über die Bevölkerung in den eroberten Gebieten im Osten des Kongo wurde bisher nur wenig berichtet. In den Kivu-Regionen, wo das Ressentiment gegen Tutsi stark ist, ist die große Mehrheit gegen die Rebellion. Aus der jetzt eroberten Stadt Kindu wurden allerdings Bilder von jubelnden Menschen gezeigt. Und in einem AFP-Bericht wird ein Bauer zitiert: "Kabilas Soldaten sagten uns, die Rebellen würden unsere Kehlen durchschneiden. Aber nun sehen wir, daß sie uns belogen haben. Die Rebellensoldaten sind besser als die von Kabila, die unsere Frauen, Hühner und Schweine gestohlen haben."

Die Bevölkerung im Kivu besteht fast zur Hälfte aus Menschen ruandischer Herkunft - mehrheitlich, wie in Ruanda und Burundi, Hutu. Die Hutu-Milizen konnten also mit Unterstützung rechnen und mußten im Gegenzug die Repression der Banyamulenge-Tutsi und der ruandischen Armee in Kauf nehmen. Aus Katanga sind inzwischen 10 000 Banymulenge vertrieben worden, die nach Angaben der Rebellen weiter nördlich angesiedelt werden sollen. Auffällig ist, daß die mehr als 30 000 kongolesischen Tutsi, die seit 1995 aus dem Kivu verjagt wurden, sich nach wie vor in Flüchtlingslagern in Ruanda aufhalten. Ihnen wurde von der Regierung abgeraten, in den Kongo zurückzukehren - aus Sicherheitsgründen, wie es hieß.

Nicht erst seit Kindu ist klar, daß Uganda, Ruanda und die Banyamulenge den Osten des Kongo kontrollieren. Rebellen-Chef Ernest Wamba di Wamba kündigte Anfang Oktober an, die Verwaltung in den kontrollierten Gebieten umstrukturieren zu wollen, um das "ethnische Gleichgewicht" besser zu achten. Auch Ruanda will sich für dieses neue Gleichgewicht einsetzen: Außenminister Anastase Gasana forderte vor dem UN-Sicherheitsrat Anfang Oktober, daß der Kongo den Banyamulenge die Staatsbürgerschaft geben und die Angriffe der Hutu-Milizen stoppen müsse. Damit kann Ruanda jedoch nicht zufrieden sein. Denn diese Möglichkeit hatte Kabila schon seit fast eineinhalb Jahren. Genutzt hat er sie nicht.