Endlich: Bomben auf Ankara

Eskalation in Anatolien

Wo der deutsche Außenminister Recht hat, hat er Recht: "Mesut Yilmaz reagiert leider nur auf militärischen Druck." Und der müsse aufrechterhalten werden, bis ein "wasserdichter internationaler Beschluß" zur Umsetzung der Vereinbarungen mit dem türkischen Premier Yilmaz erreicht sei.

Deutschland stehe fest an der Seite der Verbündeten, betonte auch der künftige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Es sei klar, "daß wir als Europäer eine solche systematische Verletzung von Menschenrechten, ein solches Ausmaß der Gewalt nicht hinnehmen dürfen". Auch Schröder warf Ministerpräsident Yilmaz vor, für das Drama in Kurdistan verantwortlich zu sein.

Tatsächlich ist der moralische Zeitpunkt für ein Einschreiten des westlichen Bündnisses längst überschritten: Wo war der Westen, wo die Bundeswehr, als die Berichte über die Massaker in kurdischen Dörfern, begangen von Truppen des Yilmaz-Regimes und Dorfschützern, die eng mit der Polizei des von "ethnischen Türken" dominierten Zentralstaates kooperieren, weltweit Empörung hervorriefen? Der herannahende Winter sollte nun klarmachen: Dem Flüchtlingselend muß ein Ende gesetzt werden, notfalls mit militärischen Mitteln und notfalls auch ohne Mandat des zaudernden Gremiums im fernen New York. Das erfordert die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft vor den Frauen und Kindern, den Alten und Kranken, die, wenn sie Glück haben, im kurdischen Hochland unter Plastikplanen und dünnen Zweigen Schutz vor den Unbilden des rauhen Hochlandklimas und vor den Angriffen der türkischen Truppen gefunden haben. Eine humanitäre Katastrophe historischen Ausmaßes bahnt sich an.

Sicherlich hat der internationale Druck den türkischen Premier an der einen oder anderen Stelle zum Einlenken gebracht. Doch die Opfer stehen der Pendeldiplomatie zwischen Bonn, Washington und Ankara mehr als skeptisch gegenüber: "Hölbrük" nennen sie den Unterhändler Richard Holbrooke verächtlich. Was, so fragen sie zu Recht, sollen 2 000 Beobachter der OSZE, solange die windelweiche Verhandlungsdiplomatie der internationalen Organisationen die ständige Anwesenheit türkischer Polizisten und "Dorfschützern" als gegeben hinnimmt? Erst der Aufbau einer zunächst gemischten Polizeitruppe, die später ganz in kurdische Verantwortlichkeit übergehen müßte, brächte eine Lösung. Doch das dauert. Was die Menschen in Kurdistan jetzt brauchen, sind greifbare Verbesserungen innerhalb weniger Tage. Wenn in den nächsten Tagen nicht substantielle Erfolge erzielt werden, dann hat die internationale Gemeinschaft verspielt im Hochland von Diyarbakir. Das zu verhindern, ist der Einsatz der Bundesluftwaffe wahrlich ein geringer Preis.

Doch Yilmaz' Truppenaufmarsch an der Grenze zu Syrien, dem sicheren Hinterland der Kämpfer von der Kurdistan-Befreiungsarmee PKK, zeigt, welches Spiel der Muskelmann in Ankara in Wahrheit mit der internationalen Gemeinschaft treibt. Auf jedes Einlenken am Verhandlungstisch folgt eine neue Eskalation auf dem Schlachtfeld. Aber nichts wäre falscher, als jetzt das Drohszenario der Nato wieder abzubauen. Ein Gewaltmensch wie Yilmaz reagiert nur auf Gewalt. Das sollten gerade die Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt haben.