Endstation Zeltplatz

In den Niederlanden wird mit gutem liberalen Gewissen die Flüchtlingspolitik an andere Schengen-Staaten angeglichen

Wer neu kommt, soll warten. Mit dieser knappen Begründung umschrieb vergangene Woche Job Cohen, Staatssekretär im niederländischen Innenministerium, die am Montag beschlossene Änderung der bisherigen Unterbringungspraxis von Immigranten.

Cohen hat durchgesetzt, daß Flüchtlinge nach ihrer Einreise in die Niederlande für unbestimmte Zeit in Zeltlagern untergebracht werden, um die überlaufenen Anmeldezentren in Rijsbergen und Zevenaar zu entlasten. Daß mit dieser scheinbar technischen Notwendigkeit Immigranten abgeschreckt werden sollen, bestreitet der Staatssekretär nicht: Andernfalls müsse man 1999 mit 60 000 Flüchtlingen rechnen.

Die Aufnahmestelle Rijsbergen in der Provinz Brabant besteht seit vier Jahren. Eigentlich sollen neuankommende Flüchtlinge hier maximal 24 Stunden warten, bevor sie in ein sogenanntes Auffangzentrum kommen, um dort ein erstes Gespräch über ihre Asylgründe zu führen. Tatsächlich müssen sie mehrere Tage warten. Wer hier sitzt, hat dennoch Glück. Denn er wurde nicht sofort als "chancenlos" oder "Zweitbewerber" eingestuft und zum Amsterdamer Flughafen Schiphol gebracht.

So werden seit dem 13. Oktober täglich etwa 30 Menschen in Busse gesetzt und in eines der von der Armee eilends errichteten Zeltlager bei Leiden, Ermelo und Nijmegen gebracht. In drei Monaten werden dort vermutlich mehr als 3 000 Menschen leben.

Die jetzt getroffenen Maßnahmen zeigen, wie ungenügend die Niederlande auf die Flüchtlingszahlen vorbereitet sind. Aus taktischen Gründen waren vor den Parlamentswahlen im April die Flüchtlingszahlen auf 32 500 heruntergerechnet und die Finanzmittel für den Immigrations- und Naturalisierungsdienst (IND) entsprechend gekürzt worden. Von Januar bis Ende September haben jedoch bereits 31 466 Menschen Asyl in den Niederlanden beantragt. Die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge wird um das Jahresende bei 48 000 liegen. Bei einer Orientierung an den ursprünglichen Schätzungen - noch vergangenes Jahr wurde für 1998 mit 45 000 Menschen gerechnet - hätten ausreichende Kapazitäten bereitgestellt werden können.

Für Hilfsorganisationen wie das landesweite Flüchtlingswerk in Amsterdam bedeuten die Zeltlager jedoch einen Fortschritt. Sie unterstützen deshalb die Regierungsmaßnahmen. Auf die Frage, ob das Aufstellen von Zeltlagern kurz vor Wintereinbruch nicht auch als Abschreckungsmaßnahme gedacht sein könnte, weicht die Sprecherin der Organisation gegenüber Jungle World aus: "Als unmittelbare Hilfe begrüßen wir die neue Regelung; sie ändert aber nichts an den strukturellen Ursachen, die Menschen zur Flucht veranlassen."

Die innenpolitische Debatte über die Immigration nutzen Populisten wie der Parlamentsneuling Henk Kamp von der rechtsliberalen Regierungspartei VVD. Ihm gehen die Maßnahmen nicht weit genug, deshalb fordert er "eine Eindämmung des Asylstroms". Im Jahr 2010 würden die Niederlande, so Henk, nicht mehr so aussehen, "wie wir das wollen". Die linksliberalen D 66, Koalitionspartner der VVD, wirft Kamp vor, die Situation für rechte Propaganda auszunutzen und einen "suggestiven Ton" zu verwenden.

Schuld an den menschenunwürdigen Lebensumständen der Flüchtlinge ist aber nicht nur die auf Abschreckung ausgerichtete Planung der Regierung Kok, sondern auch die strikte Abschiebepolitik der deutschen Bundesregierung.

Denn nachdem die BRD begonnen hatte, die Durchsetzung des Schengen-Abkommens in den europäischen Partnerländern zu forcieren, sind zunehmend Menschen in die Niederlande weitergeflüchtet, weil dort bessere Aussichten auf Asyl bestanden. Vor allem jene Flüchtlinge, die nach dem Schengen-Vertrag in das Ersteinreise-Land zurückgeschoben werden müssen, werden jetzt in den Zeltlagern untergebracht.

"Die Niederlande sehen sich gerne als Europas liberalstes Land. Trotzdem wird für die Flüchtlinge nicht ausreichend gesorgt", meinte ein Sprecher der Stiftung Pharos, die sich für medizinische Unterstützung der Flüchtlinge einsetzt. Viele müßten vier oder fünf Jahre in Auffangzentren zubringen, bevor sie überhaupt zu einem Gespräch zugelassen würden.