Alternative Lebensformen

Maximo Lido

"New York ist ja schon ziemlich gut, aber Stockholm ist auch nicht übel. Oder Kopenhagen. Aber wahrscheinlich gehe ich doch wieder nach London. Hat einfach den besten Groove." Wer gerne den Erfahrungen von Zweitsemestern lauschen möchte, geht am besten ins "Schwarz-Saur". In der Kastanienallee, mitten in Prenzlauer Berg, neben Volksbühnen-Prater und Ex-Schlingensief-Büro. Meistens ist das "Schwarz-Saur" rappelvoll. Die Neo-Exi-Szene geht dort mit grünen Stehkragen-Hemden ein und aus, die Post-H & M-Generation schlürft Espresso und liest den Tagesspiegel.

Tagsüber kann man einen Milchkaffee bei den kleinen Schwestern von Sabine Christiansen ordern, die gelangweilt hinter der Theke lehnen und dort schon mal vergessen, den Kaffeesatz in der Espresso-Maschine auszuwechseln. Manchmal werden auch plötzlich mehrere 1 000-Watt-Scheinwerfer aufgebaut, um einen Unbekannten mit Til-Schweiger-Anzug ins rechte Licht zu rücken. Fatalerweise sitzt der dann genau mit dem Rücken vor dem eigenen Tisch, so daß man nun statt in die Zeitung direkt in die Kamera blickt.

Wenn man also einfach nur in Ruhe einen Kaffee trinken will, geht man lieber gleich in den "Torpedokäfer". Wer die Schenke in der Dunckerstraße schließlich unter meterdicken Abdeckplanen entdeckt hat, findet sofort Abstand vom Zeitgeist. "Ich, Wolfgang Engler, bin für den sofortige Untergang der Welt", steht direkt neben dem Eingang groß und sympathisch auf einem Plakat geschrieben, das offensichtlich von einigen Dutzend Gästen spontan mit unterzeichnet wurde. Die Bedienung nimmt souverän die Bestellung entgegen, auch der Kaffee geht voll in Ordnung. Das Zeitungssortiment umfaßt neben taz und ND die Sklaven-Ausgaben der letzten Jahre. An der Theke läßt eine Strickjacken-Trägerin ein kleines Pils anschreiben, weil sie "den frischen Zweihunderter noch nicht anreißen will", der anschließend zum Beweis im ganzen Lokal herumgereicht wird.

Soweit ist alles prima, wäre da nicht das permanente Dämmerlicht, das jeden sonnigen Tag sofort in einen düsteren Novemberabend verwandelt. Aber vielleicht muß das auch so sein.

Wer auf Nummer sicher gehen will, geht daher ins "Lido" am Kollwitzplatz. Die Neo-Exi-Szene meidet den Platz, weil er als Zeitgeist-Treff verrufen ist, und für die Käfer-Fraktion ist es hier viel zu hell. Daher ist das "Lido" meistens leer. Im Zeitungsständer gibt's neben Max auch Gala. Außerdem wird der ausgezeichnete Espresso sofort auf einem Silbertablett zusammen mit einem Kännchen Milch und einem Glas Wasser serviert. Und was will man mehr, wenn man nur in Ruhe einen Kaffee trinken möchte?