Alle kennen Rezzo

Die Fischer-Nachfolge in der grünen Bundestagsfraktion übernimmt ein schwäbisches Schwergewicht

Joseph Fischer ist der Grünen-Star. Er geht ins Außenamt - und gibt den Sessel des Fraktionsvorsitzenden frei. Stuttgarts Beinahe-OB Rezzo Schlauch (51) will ihn besetzen - und bekommt wohl Ende Oktober die Unterstützung seiner Fraktion.

Rezzo Schlauch hatte vorab angekündigt, auf der Abschlußveranstaltung des grünen Wahlkampfes in der Stuttgarter Liederhalle tüchtig reinzulangen: "Kennt ihr den Unterschied zwischen Clinton und Kohl? Kohl wird von uns weggepustet." Der Witz, zugegeben nicht der beste, endet als Rohrkrepierer. Daß Clinton "weggeblasen" wird, traut er sich vor laufenden Kameras dann doch nicht zu äußern.

Auch aus Rezzo Schlauch ist ein gestandener Profi-Politiker geworden. Er liebt es, auch im Bierzelt in der Provinz seine krachenden Statements zum besten zu geben. Nicht nur in seiner Heimat Hohenlohe tritt er auf solchen Volksfesten immer häufiger als Hauptredner auf - und beim Landpublikum kommt er mittlerweile besser an als die Konservativen. Seine ausladende Statur und seine unfiligrane Rhetorik verleihen ihm Glaubwürdigkeit.

Auch in der Stadt ist Schlauch ein ausgewachsener Polit-Promi - spätestens seit er vor zwei Jahren vom Stuttgarter Volk fast gewählt worden und erster grüner Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt geworden wäre. Aber eben nur fast. Damals plakatierte er: "Niemand kennt den Roten. Niemand kennt den Schwarzen. Alle kennen Rezzo." Und tatsächlich: eine Welle grüner Euphorie hob ihn vor zwei Jahren auf knapp 40 Prozent der Wählerstimmen. Sein Kontrahent von der CDU, Wolfgang Schuster, gewann mit drei Prozent Vorsprung, denn die SPD verhinderte durch ihr Festhalten am eigenen Kandidaten erfolgreich den Grünen-OB. Sein Verhältnis zu den Sozis, insbesondere zu denen aus Baden-Württemberg, ist seitdem problematisch. Es kostet ihn einiges an Überwindung, am Bonner Wahlabend SPD-Landeschef Uli Maurer die Hand zu reichen.

Die knappe Niederlage 1996 wurmt Schlauch, aber allzu unglücklich ist er nicht, schnell war sie zum Sieg umdeklariert. Plötzlich kannte ihn die ganze Republik - "das politische Schwergewicht". Angenehme Nebenerscheinung für ihn: Er mußte sich im Rathaus dann doch nicht am Beamtenapparat abarbeiten und gegen eine CDU-Gemeinderatsmehrheit regieren - die kommunalpolitische Knochenmühle blieb ihm erspart.

Schlauch gibt sich - anders als in letzter Zeit Freund und Fraktionsvorsitz-Vorgänger Joseph Fischer - gerne den "schönen" Seiten des Lebens hin. Sein Terrain verlagert er auch mal in die Stuttgarter Szene, egal ob ins einstmals autonome "Casino", in die gleichermaßen unbürgerliche Kneipe "Schlesinger" oder in den Salsa-Club "Zapata". Für das bunte Nachtleben hat er sich immer interessiert - und sein Gewicht mitunter in die Waagschale geworfen, wenn es um eine Genehmigung für einen Club hier oder um eine Schirmherrschaft im Jugendhaus da ging. Das wird jetzt anders, denn jetzt heißt es für den ausgewiesenen Realpolitiker arbeiten. Und das in einer heterogenen Fraktion, die bisher bloß die bequemen Oppositionsbänke drücken mußte, jetzt aber auf Regierungskurs getrimmt werden muß.

Schlauchs ursprüngliche Heimat ist die Provinz. Bächlingen liegt eine Autostunde nördlich von Stuttgart, dort ist die Welt noch übersichtlich. Er stammt aus einer Pfarrersfamilie. "Geschafft", wie der Schwabe sagt, hat er in der Landwirtschaft, im Straßenbau. Schließlich studierte er Jura in Freiburg und Heidelberg, ließ sich als Anwalt in Stuttgart nieder und baute seine eigene Kanzlei auf.

Als Grüner war die ausladende Gestalt in Baden-Württemberg schnell bekannt, im Landtagkonnte er sich seit 1984 in der Opposition an Späth und Teufel reiben - und Profil gewinnen. 1994 wurde er in den Bundestag gewählt: Den Abschied aus dem Stuttgarter Landtag zelebrierten er und seine Freunde. Beim großen Fest gaben sich auch SPD-, FDP- und CDU-Honoratioren die Ehre. Mit Schlauch schmückt sich auch der politische Gegner gerne.

Zunächst beklagte er in Bonn das "zu enge Korsett", in das er sich eingezwängt fühle. Sorgfältiges Aktenstudium und langwierige Fachdiskussion gehören nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Schlauchs Arbeitsweise ist anders: Er greift bevorzugt auf verläßliche Berater zurück, von denen er sich briefen läßt. Und das funktioniert soweit. In der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner kann er sich behaupten, auch wenn an manchen Stellen die Unkenntnis durchlugt. Mit Vehemenz macht er dieses Defizit wieder wett.

Beim Bundestagswahlkampf hatte er sich Chancen auf ein Direktmandat ausgerechnet, doch schmeckte ihm sein Gegner aus der SPD gar nicht: Dem introvertiert auftretenden ausgewiesenen Öko-Fachmann Ernst Ulrich von Weizsäcker war mit Poltern nicht beizukommen. Schlauch mußte sich umstellen, Kraft und Lautstärke zurücknehmen. Aber die Rechnung ging nicht auf. Schließlich gewann sogar der CDU-Mann Wolfgang Henke den Wahlkreis. Wie vor zwei Jahren bei der OB-Wahl nahmen sich SPD und Grüne gegenseitig die Stimmen weg, diesmal wurde Schlauch mit 20 Prozent sogar nur Dritter.

Aber das ficht ihn nicht an. Im Ländle ist Schlauch ein Politstar - und die Grünen haben ihr bestes Ergebnis in einem Flächenland erreicht. Grund genug für Schlauch, voller Selbstvertrauen den Fraktionsvorsitz für sich zu beanspruchen. Da kann er im Bundestag wieder herrlich gegen den politischen Gegner poltern. Doch parteiintern muß er erst noch beweisen, ob er den grünen Haufen auf Regierungskurs bringen kann.