Das Layout einer Ära

Weiter so, aber flotter

In der letzten Woche erschienen alle linksliberalen Tages- und Wochenzeitungen mit groß aufgemachten Psychogrammen der beiden Kanzlerkandidaten. Die Porträts standen jeweils im Innenteil, die Titelseiten ließen eindeutige Präferenzen erkennen: "Zeit für den Wechsel" hieß die Schlagzeile der Zeit, Woche-Chefredakteur Manfred Bissinger schrieb über seinen Aufmachertext: "Was Schröder tun muß. Zehn Forderungen für eine neue Politik." Eine der Forderungen: "Sie müssen die sozialdemokratischen Tabus vergessen. Auch den angepeilten Spitzensteuersatz von 49 Prozent; 45 Prozent sind die absolute Obergrenze. Jeder Punkt mehr ist ein Signal rückwärts." Der schneidige Imperativ steht für die neue Zeit, nicht der Inhalt.

Mit Kohl, das rekapitulieren die linksliberalen Medien einstimmig, war seinerzeit "eine bestimmte Form des Mittelmaßes an die Macht gekommen" (Woche). Bemängelt wird der "bockige und arrogante Stil vieler Auftritte" (Süddeutsche Zeitung). Die Kritik am Habitus ging nur teilweise ins Politische: Er habe - etwa durch die Ehrung der SS-Soldaten in Bitburg und sein Schweigen zum Historikerstreit - geholfen, die deutsche Geschichte in den Status der Normalität zu befördern. Er sei nicht in der Lage gewesen, die von Schäuble entworfene Reformpolitik der vergangenen beiden Jahre glaubwürdig zu repräsentieren.

Wo die rückblickende Kritik grundsätzlich wird, kommt immer dasselbe heraus: "Kohls System konzentriert das Machtspiel nicht nur allein auf seine Person, sondern zieht es hinter die Kulissen, um dort mit Hilfe informeller Kumpanei, Duzbrüderschaften und servilen Abhängigkeiten in kleiner Runde die Beschlüsse vorzuprägen und abzusprechen, die nachher in der Koalition, selbst im Kabinett und erst recht von der Mehrheit im Bundestag nur noch abgesegnet werden" (SZ). Ähnliches ist der Zeit aufgefallen: "Das allmähliche Verschwinden von Politik aus den Institutionen, auch aus Parteien und Parlament, gehört zur Erbschaft dieser Jahre." Deshalb ist Die Woche sicher: "Politik wieder als einen Ort für Argumente, für den Streit um die bessere Idee zu etablieren, das wird eine der größten Herausforderungen für Kohls Nachfolger sein."

Klingt richtig edel - und paßt ganz und gar nicht zu den Attributen, mit denen Kohls Nachfolger im gleichen Atemzug geadelt wurde: Daß er ein Mann einsamer und manchmal überraschender Entschlüsse ist, ein Macher, der seine Entscheidungen in Distanz zu seiner Partei fällt, ein Zocker gar. Daß dies und jenes nicht zusammenpaßt, bestätigt wiederum, daß der Politikwechsel sich vor allem im Layout des Regierens niederschlagen wird: Schluß mit der Zauderei, jetzt wird gehandelt. Im Gegensatz zu allen Kohlregierungen ist Schröders Mannschaft eine Formation, die Fähigkeit zum Zupacken auch ästhetisch signalisiert. Riester, Naumann, Stollmann: Typen, die es aus eigener Kraft zu etwas gebracht haben und auch in Interviews mit Viva-Moderatoren eine gute Figur machen. Ein kleines bißchen Pop zum Flüchtlinge abschieben, Blauhelme entsenden, Sozialstaat verschlanken, Spitzensteuer senken - das ist der Abschluß einer Phase, die niemand so schön hätte beschreiben können wie ein taz-Journalist am vergangenen Montag: "Unspektakulär geht eine Ära zu Ende, deren Zähigkeit Sozialdemokraten wie Intellektuelle, Autoren wie Journalisten zum Verzweifeln brachte."