Künstliche Ostgrenze

Ein Bonner Ministerialdirigent erklärt in rechtsextremen Zeitschriften seinen "Vaterlandsbegriff"

Die Ankündigung wirkte geradezu zurückhaltend: Mit Hans Merkel, so ließ das österreichische Magazin Aula wissen, melde sich in der neuesten Ausgabe des rechten Blattes ein "hoher Beamter" aus Bonn zu Wort. Tatsächlich ist Merkel Ministerialdirigent im Verwaltungsapparat des deutschen Bundestages. Und damit unter anderem für die Betreuung des Polizei- und Sicherheitsdienstes und die Entschädigung der Abgeordneten zuständig.

In seinem Aula-Beitrag beschäftigt sich Merkel jedoch mit Größerem: "NATO - Geschenk oder Last?", so der Titel seines Artikels, in dem der Bonner Beamte bemängelt, daß sich die Bundesrepublik "immer noch außen- und sicherheitspolitisch im Kindergartenalter" befinde. Die deutsche Politik habe sich "immer noch nicht getraut", an ihren "ureigenen Interessen ausgerichtete Sonderkonditionen zu verschaffen". Der Ministerialdirigent hat sich mit Aula ein geeignetes Organ für seine Botschaft gesucht: Nach Angaben des vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes herausgegebenen Handbuchs über den österreichischen Rechtsextremismus erfüllt das Blatt eine "zentrale Brückenfunktion zwischen Rechtsextremismus und Rechtskonservatismus".

Doch damit nicht genug. Hans Merkel ist auch Burschenschafter in einem Mitgliedsbund der rechtsextremen Deutschen Burschenschaft (DB), in der Arminia-Rhenania München. Im DB-eigenen Organ Burschenschaftliche Blätter veröffentlichte er Ende letzten Jahres einen Vortrag zum Thema "Burschenschaft heute - Anachronismus oder lebendige Gegenwart?" Besonders aufschlußreich erläutert Merkel hier sein vom DB-Wahlspruch "Ehre, Freiheit, Vaterland" ausgehenden "Vaterlandsbegriff".

Das "Vaterland Deutschland", doziert der Ministerialdirigent, dürfe für die Burschenschafter "größer sein als die heutige Bundesrepublik". Es umfasse "Österreich, dessen Volk deutsch ist in Abstammung, Kultur und Sprache" und "Südtirol", dessen "mehrheitlich deutsche Bevölkerung" in einen "fremdvölkischen Staat hineingezwungen" sei. Ferner gehöre zum "Vaterland" noch "Elsaß, der östliche Teil Lothringens sowie das belgische Gebiet um Eupen und St. Vith". Und natürlich das "alte Ostdeutschland sowie das Sudetenland", die von "ethnisch deutschen Menschen geprägt" seien. Ein "derart weitgefaßter Vaterlandsbegriff", fährt Merkel fort, bedeute nicht, daß damit "einer Anschlußpolitik das Wort geredet werden soll". Schließlich müsse man loyal sein gegenüber "unserem Staat Bundesrepublik", der in einer politischen Sternstunde die Wiedervereinigung mit "Mitteldeutschland" erreicht habe, ohne "sein ihn schützendes Bündnis, die NATO", verlassen zu müssen.

Wie es ohne "Anschlußpolitik" weitergehen soll, verrät Merkel im WitikoBrief, dem Organ des Witikobundes, der als "nationale sudetendeutsche Gesinnungsgemeinschaft" die Politik der Sudetendeutschen Landsmannschaft dominiert. Die "heutige deutsche Ostgrenze" habe demnach "in ihrer Künstlichkeit" kaum Aussicht, die Grenze einer "wirklich guten Nachbarschaft" zu werden. Die "Vertriebenen" sollen sich allzeit für die "Interessen unserer in den Oder-Neiße-Gebieten und im Sudetenland verbliebenen Landsleute" einsetzen. Dabei sollten sie insbesondere ein Volksgruppenrecht fordern, das "Autonomieregelungen für solche Gebiete vorsieht", in denen Deutsche einen "wesentlich mitbestimmenden Faktor darstellen", wie "etwa in Oberschlesien". Die "Vertriebenen" sollten dabei trotz "aller Hoffnungslosigkeit im Augenblick" die "europäische Karte" im Auge behalten: "Je stärker sich Europa in Zukunft politisch integriert, desto stärker werden als Ausgleich zum zentralen Regiment die Regionalisierungstendenzen."

Schließlich sollten die "Vertriebenen" ergänzend auch noch das "Bewußtsein des Unrechts fördern", das ihnen und "damit der gesamten Nation mit der Vertreibung" angetan worden sei: "Bauen sie daher für alle Vertreibungsgebiete eine oder mehrere Mahn- und Gedenkstätten nach Art des Yad Vaschem in Jerusalem." Der Beitrag Merkels erschien bereits Ende 1992 im WitikoBrief. In Bayern diskutiert man derzeit noch, an welchem Ort ein "zentrales Denkmal für Flucht und Vertreibung" errichtet werden soll. Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber stellte hierfür 800 000 Mark aus dem Programm "Offensive Zukunft Bayern" zur Verfügung.