Gartenzwerge des Kapitals

"Baustop.randstadt,-": In einer Ausstellung der NGBK werden alle Themen der Innenstadtaktionstage der letzten Jahre angesprochen. Doch ist die Entwicklung nicht inzwischen weiter?

"Wenn Ausstellungen etwas verändern würden, wären ..." Diese Warnung steht auf einer Wand am Eingang zur Ausstellung "Baustop.randstadt,-" in den Räumen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin-Kreuzberg. Der Schriftzug ist Teil eines Wandgemäldes, das ein im stern veröffentlichtes 360-Grad-Panoramabild des geplanten Umbaus des Alexanderplatzes verfremdet.

Transparente mit der Aufschrift "Besetzt" hängen jetzt zwischen den Hochhaustürmen. So kann man von besseren Tagen träumen und sich fragen, ob dies die Antwort auf die Fragen sind, die in Berlin zur Zeit gestellt werden.

Die Ausstellung präsentiert ein Durcheinander von Videos, Installationen, Zeitungsausschnitten und Schautafeln. Ein gelungener Einfall war es, einige Texttafeln in polnischer oder vietnamesischer Sprache zu verfassen; die deutsche Übersetzung ist als Kopie am Eingang zu bekommen. Ebenso vielfältig und ohne erkennbares Konzept aufgereiht wie die Formen sind die behandelten Themen: Flucht über die Mauer 1988 bzw. über die Oder 1998, Aktionen von Arbeitslosen-Initiativen, Reihenhaussiedlungen am Rande Berlins, Containersiedlungen für die Bauarbeiter am Potsdamer Platz, Ehrung der promovierten Putzfrau Maria B. durch den Polnischen Sozialrat als "Heldin der Arbeit".

Alle Tagesordungspunkte der Innenstadtaktionstage wie Sicherheit, Privatisierung des Öffentlichen Raums, neue Einkaufsmeilen, Vertreibung der Obdachlosen aus Innenstadt und Bahnhöfen sind vertreten. Erinnert wird auch an Christiane F. und den Häuserkampf 1980/81.

Man wird das Gefühl nicht los, daß sich die Ausstellung an den Oberflächenphänomenen einer kapitalistischen Großstadt abarbeitet. Daß Bilder eine Materialität in der Wahrnehmung der eigenen Stadt produzieren können, ist nicht falsch. Z.B. das Bild des Kriminellen: Die exzessive Berichterstattung von Überfällen in der S-Bahn schafft ein Gefühl der Verunsicherung und Angst. Aber sind das alles nur "Bilder", die die Medien erzeugen? Steigert nicht der soziale Existenzdruck die Aggressivität untereinander? Gibt es nicht real genügend BewohnerInnen dieser Stadt, die ihr Überleben nur durch Überfälle und Diebstahl sichern können?

Es gelingt der Ausstellung, einige Ansichten der Stadt zu zeigen, die eine auf Repräsentation bedachte Hauptstadt gerne unterschlägt. - z.B. in der Dokumentation der Arbeit einer Putzkolonne, die nachts den Dreck wegschafft. Die Ausstellung beschränkt sich darauf, die Ränder der Stadt sichtbar zu machen.

Nur einmal gelingt eine Annäherung an die materiellen Grundlagen städtischer Organisation. So wird thematisiert, wie über das Steuerrecht und die Ordnung des Privateigentums die Menschen in Kleinfamilien und ihre eigene Parzelle als "ökonomisch sinnvollste" Organisationsform des Alltags gedrängt werden. Alternative Existenzformen sind nicht vorgesehen: Für Haus- und Wohngemeinschaften gibt es deshalb keine Eigenheimzulage, keine 25-Prozent-Rabatte auf senatseigenes Bauland und keine zinsgünstigen Kredite. Der Senator für Stadtentwicklung Peter Strieder wird zitiert, der durch die Schaffung eines Besitzbürgertums die Mentalitäten der Berliner "Eingeborenen" verändern will.

Allerdings stellt sich die Frage, ob die Ausstellung mit ihrer Kritik nicht drei Jahre der Entwicklung hinterherhinkt, arbeitet sie sich doch immer noch an der längst - sowohl kapitalistisch wie städtebaulich - gescheiterten Friedrichstraße ab. Dabei hat z.B. Daimler-Benz in seinen Potsdamer-Platz-Arkaden, vor Jahren geplant als exklusives Shopping-Center, längst Aldi eingeplant. Die Armut rückt ins Zentrum vor.

Einer Analyse des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) zufolge ist Berlin "für das internationale, investierende Kapital relativ uninteressant". Selbst in Bremen seien die Investitionen höher. Nur zehn Großunternehmen hätten sich entschieden, zentrale Funktionen in Berlin anzusiedeln. Dagegen haben sich in Hamburg rund 60, in Frankfurt/Main sogar etwa 70 Firmen-Hauptquartiere niedergelassen. Genausowenig wie das Berliner Großbürgertum hat die Linke in der Stadt auf diesen aktuellen Zustand eine Antwort. Mit Innenstadtkonferenzen versucht der Senat auszuloten, was es heißt, wenn sich in der Mitte der Stadt Inseln des Reichtums bilden, umgeben von Viertel, in denen die Erwerbslosenquoten zwischen 20 und 30 Prozent liegen während das tragende Element des bürgerlichen Staates, der steuerzahlende Mittelstand, draußen im Brandenburger Speckgürtel ins Reihenhäuschen zieht.

Einen Ort, der von der Neuorganisation Berlins bisher nicht erfaßt wurde, stellt der Film "Was man so sein eigen nennt - der Mauergarten und andere Grenzfälle" vor, der anläßlich der Ausstellungseröffnung Premiere hatte. Kiezromantik 1998: Ein winziger Garten mit "Hochhaus" im ehemaligen Unterbaugebiet der Mauer am Nordende des Mariannenplatzes, liegt so günstig zwischen den Bezirken Mitte und Kreuzberg, daß die beiden türkischen Familien ihr Gewohnheitsrecht, dort Zwiebeln, Kohl und Bohnen anzubauen, auch neun Jahre nach dem Mauerfall gegen alle Neuverortungen des Eigentums behaupten konnten.

In der filmischen Erkundung einer Idylle fragen die Autoren Imma Harms und Thomas Winkelkotte: Wem gehört der Garten? Dem, der ihn nutzt? Oder dem Bezirksamt, der die Gestaltung dieses Platzes dem Stadtplaner anheimstellt? Und - noch komplizierter: Darf die eine türkische Familie, wenn die andere "ihr" Grundstück nicht mehr nutzt, "ihren" Gartenzaun um einige Meter versetzen?

Die Ausstellung "Baustop.randstadt,- - aggressives, nicht akkumulatives, städtisches Handeln" in den Räumen der NGBK, Oranienstr. 25, ist täglich von 12 bis 18.30 Uhr bis zum 11. Oktober geöffnet.

Die Videothèque in der Markthalle Berlin-Carré am Alexanderplatz wird am Samstag, den 12. September um 18 Uhr eröffnet und hat dann donnerstags bis sonntags von 16 bis 20 Uhr geöffnet.

Eine Filmreihe zum Thema läuft im FSK-Kino. Der Video-Film "Was man so sein eigen nennt" ist zu beziehen über Autofocus, Tel.: 6188002, Fax: 6111583