Asiate, Neger oder Zigeuner

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma legt Verfassungsbeschwerde gegen die Sondererfassung im Freistaat Bayern ein

In Bayern legt man Wert auf Tradition, und das gilt nicht nur für den alpenländischen Schuhplattler. Bis in die achtziger Jahre hinein gedachte man in der Nachrichtensendung des Bayerischen Rundfunks der guten alten Zeit: Auf der Deutschlandkarte im Hintergrund waren die Grenzen von 1937 dick eingetragen. Bei der bayerischen Polizei gelten die Gebiete östlich der Oder/Neiße-Grenze bis heute als deutsch: Wenn es um die Beschreibung der Mundart eines Tatverdächtigen geht, darf sich der bearbeitende Beamte auf dem polizeilichen Erfassungsbogen zur Personenbeschreibung KP 8 unter anderem für folgende Kategorien entscheiden: "mitteldeutsch" (berlinerisch, sächsisch, thüringisch) und "ostdeutsch" (ostpreußisch, westpreußisch, pommerisch und schlesisch). Auf demselben Erfassungsbogen huldigt die bayerische Bürokratie einer weiteren Tradition - der rassistischen Einteilung. So kann der Polizist unter Punkt L 23 auswählen, ob ihm sein Gegenüber eher "asiatisch", "slawisch", "negroid" oder doch "europäisch/nordländisch" vorkommt. Derartige Kategorien bei der Personenbeschreibung sind freilich auch in anderen Bundesländern üblich. Auf bayerischen Erfassungsbögen wird allerdings bis heute ein weiterer "Personentyp" gesondert erfaßt: Die Sinti und Roma. Deshalb hat der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma jetzt Verfassungsklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben. Bayern verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie gegen internationale Minderheitenschutzabkommen und greife stigmatisierende Klischees auf, die dem Rassen- und Völkerhaß Nahrung geben könnten, erklärte der Vorsitzende des Zentralrates, Romani Rose, in der vergangenen Woche.

Auch diese Erfassung der Sinti und Roma hat im Freistaat Tradition: Bereits 1899 wurde in München die zentrale "Zigeunerpolizeistelle" ins Leben gerufen. Die Behörde leistete wichtige Vorarbeiten für die 1938 gegründete Berliner "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens", deren erklärtes Ziel es war, die "Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen". Mit deutscher Gründlichkeit und in Zusammenarbeit mit den im ganzen Reich gebildeten "Dienststellen für Zigeunerfragen" erledigte die Reichszentrale die ihr gestellte Aufgabe: Die Sinti und Roma wurden in KZ und Vernichtungslager deportiert, 500 000 fielen dem Völkermord zum Opfer. Nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands wurde München bald wieder Zentrum der Erfassung von Sinti und Roma in Deutschland: Die gleich nach dem Krieg gegründete "Bayerische Landfahrerzentrale" erhielt 1953 faktisch Bundeszuständigkeit.

Daß dabei auch die personelle Kontinuität zum Dritten Reich gewahrt wurde, haben Karola Fings und Franz Sparing in konkret, Nr. 11/93, ausführlich dokumentiert: So durfte etwa der Kriminalamtmann Hans Eller, der an den Zigeuner-Deportationen aus Bayern beteiligt gewesen war, nach 1945 die Sondererfassung der Sinti und Roma in München neu organisieren. Eller ist nicht der einzige, der auch nach dem Krieg in München Karriere machte. Sein Kollege, Kriminalkommissar Karl Wilhelm Supp, stieg gar zum Abteilungsleiter der Fahndungsabteilung auf und war damit weiterhin auch Chef der "Landfahrerstelle". Als Mitte der sechziger Jahre gegen Supp Ermittlungen wegen der Beteiligung am Völkermord gegen die Sinti und Roma eingeleitet wurden, beeilten sich seine Kollegen, belastendes Material zu vernichten. Darunter vor allem jene Personenakten, auf denen die Sinti und Roma während der NS-Zeit erfaßt worden waren.

Denn was einst nur für die Erfaßten schreckliche Folgen hatte, konnte plötzlich auch den damals beteiligten Beamten gefährlich werden. Schließlich hatten sie auf den Akten mit ihrer Unterschrift die Deportation oder Einlieferung ins KZ angeordnet. Und bayerische Polizisten erfassen zwar gerne und heben auch gerne möglichst viele Daten auf, aber natürlich nur solche, die sich nicht plötzlich gegen sie selbst wenden könnten.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. So veröffentlicht das Bayerische Innenministerium oft und gerne Statistiken über die "Ausländerkriminalität" im Freistaat. Daten über Übergriffe von Polizisten gegen Ausländer werden dagegen nicht gesammelt. Auf eine entsprechende Anfrage der grünen Landtagsabgeordneten Irene-Maria Sturm antworte Innenminister Günter Beckstein jüngst: "Eine gesonderte Dienststelle zur Ermittlung bzw. Aufklärung von Vorwürfen wegen 'Vergehen im Amt' gegen Ausländerinnen oder Ausländer gibt es in Bayern nicht. Dies ist nicht erforderlich, da bei der Bayerischen Polizei grundsätzlich nicht unterschieden wird, ob ein eventueller Geschädigter oder Betroffener Ausländer oder Deutscher ist." Aber man wird doch wohl noch ankreuzen dürfen, ob der "Betroffene" Zigeuner oder Neger ist. "Die erkennungsdienstliche Erfassung von Personen unter der Personentypbezeichnung 'Sinti/Roma' durch die bayerische Polizei ist weder rechtsstaatswidrig noch rassistisch", findet jedenfalls Becksteins rechte Hand, Innenstaatssekretär Hermann Regensburger. In Bayern würden Sinti und Roma auch in Zukunft gesondert erfaßt, kündigte Regensburger an, und zwar "rein aus polizeifachlichen Gründen". Für eine effektive Polizeiarbeit seien "möglichst exakte Personentypenbeschreibungen" unerläßlich. Mit einer präzisen Personenbeschreibung habe die bayerische Praxis nichts zu tun, betont dagegen Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Statt dessen werde die Betonung auf "sachfremde Vorurteile" über Zigeuner gelegt. Daß die Verfassungsklage des Zentralrates, der sich auch die beiden Auschwitz-Überlebenden Franz Rosenbach und Hugo Höllenreiner angeschlossen haben, Aussicht auf Erfolg haben wird, darf indes bezweifelt werden - die Mehrheit der Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes wird von der CSU-Mehrheit im Landtag bestimmt.