Die EU bemüht sich um Iran, aber dort herrscht ein Machtkampf

Zündende Reformen

Nicht mehr "kritisch", sondern "fruchtbar"; und dazu noch "konstruktiv" - das sind die neuen Diplomatenvokabeln der Europäischen Union für Gespräche mit der Islamischen Republik Iran.

Der "fruchtbare und konstruktive Dialog" ist das Ergebnis eines EU-Delegationsbesuches in Teheran Anfang der vergangenen Woche. Diplomaten aus Österreich, Großbritannien und Deutschland zeigten sich nach einem Gespräch mit dem Außenminister Kharasi überzeugt von einer baldigen "Normalisierung" der gegenseitigen Beziehungen. Bei den Gesprächen sollen auch die Menschenrechte im Iran und Maßnahmen gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen thematisiert worden sein. Am Tag der Delegationsabreise testete die iranische Führung ihre neue Mittelstreckenrakete Shahab 3 mit einer Reichweite von 1 300 Kilometern. Am vergangenen Sonnabend bestätigte Teheran einen entsprechenden Bericht der New York Times über den Test. Der Flugkörper sei allerdings aus eigener Kraft und nicht, wie in der Zeitung behauptet, mit der Hilfe Nordkoreas gebaut worden.

Daß Iran mit Shahab 3 in der Lage wäre, Israel sowie US-Stellungen in Saudi-Arabien mit atomaren, biologischen oder chemischen Sprengköpfen anzugreifen, ist jedoch wenig überraschend. Bereits im Januar hatte CIA-Direktor George Tenet vor einem iranischen Raketentest gewarnt, und nach Aussage des israelischen Regierungssprechers Moshe Fogel hat auch Tel Aviv wiederholt auf eine potentielle Gefährdung durch die Islamische Republik hingewiesen.

Für die New York Times ist das Raketenprogramm im Kontext des internen Machtkampfes zwischen modernistischen und traditionalistischen Islamisten zu sehen, weil es die diplomatischen Anstrengungen von Präsident Mohammad Khatami unterminiere. Gleiches gelte für das Urteil gegen den Bürgermeister Teherans, Gholam Hussein Karbaschi. Wegen Veruntreuung und Bereicherung wurde er zu fünf Jahren Haft, einem Bußgeld von einer Milliarde Rial (umgerechnet etwa 600 000 Mark) und 60 Peitschenhieben verurteilt. Die körperliche Züchtigung wurde ihm gnädigerweise erlassen, allerdings darf Karbaschi, der als treuer Gefolgsmann Khatamis im vergangenen Jahr dessen Wahlkampf organisierte, in den nächsten 20 Jahren kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Offensichtlich ging es traditionell-islamistischen Kreisen mit der konstruierten Anklage gegen Karbaschi darum, Khatamis Reformeifer zu bremsen.

Gab es im April noch Demonstrationen gegen die Verhaftung Karbaschis, wurde in den Straßen Teherans nach Bekanntwerden des Urteils - erstmals ist in Iran ein Prozeß live im Fernsehen übertragen worden - die Hinrichtung des 45jährigen Bürgermeisters gefordert. Einen Tag vor der Verurteilung seines Wahlkampfleiters hatte sich Khatami im Parlament mit der Bestätigung für seinen neuen Innenminister Abdelwahed Mousavi-Lari durchgesetzt. Dessen Vorgänger, Abdallah Nuri, war auf Betreiben der traditionalistischen Fraktion seines Amtes enthoben worden.

Die iranischen Hardliner, die selbst eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen strikt ablehnen und denen bereits die seltene Präsenz von Mercedes, Marlboro und Levi's im Straßenbild Teherans zu weit geht, haben derzeit allerdings die besseren Karten. Ayatollah Ali Khamenei, der religiöse Führer des Landes, bestimmt nicht nur die hohen Richter, sondern kontrolliert auch Armee, Geheimdienst und das staatliche Rundfunksystem.

Wirtschaftlich hat Iran zu einer Zusammenarbeit mit dem Westen langfristig allerdings keine Alternative. Der fallende Ölpreis und die bereits seit 1984 bestehenden Sanktionsmaßnahmen der USA stellen Iran vor ernste ökonomische Probleme, und die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen führten in den vergangenen Monaten wiederholt zu Streiks und Unruhen. Nicht ohne Grund bemühte sich Khatami via CNN im Januar um einen Dialog mit dem "großen Satan". Doch der "fruchtbare und konstruktive Dialog" scheint wesentlich aussichtsreicher, denn europäische Staaten, so die Einschätzung des American Jewish Congress in New York, "trotzen den US-Bemühungen, die Verbreitung von Massenvernichtungs- und Raketentechnologie einzuschränken".