Bau auf, bau auf!

Gefährliche Orte XXXIII: Ein Gespenst geht um in Berlin-Mitte. Das Stadtschloß soll neu errichtet werden

"Berlin ist unsere Heimatstadt, / wir sehen uns an ihr nicht satt. / Noch dominiert der Kränewald, / Neues erfreut bald jung und alt." Der nach bester Berliner Paech-Brot-Tradititon gedichtete Spruch war noch im letzten Sommer auf dem Schloßplatz in Berlin-Mitte zu bestaunen. Am ödesten Platz der Ost-City stand ein riesiges Pyramidenzelt, das "Das größte Gästebuch der Welt" beherbergen sollte: drei Tonnen schwer, 4,36 mal 3,76 Meter groß, schon nach wenigen Wochen pleite. Ausdruck der Ratlosigkeit, wie mit diesem Stückchen Stadt mitten in Berlin in Zukunft verfahren werden sollte.

Inzwischen scheinen sich endlich alle einig zu sein. Die CDU-Clique um den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und seinen Generalsekretär Volker Liepelt kämpft sowieso schon seit Jahren für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Jetzt hat sich für die Sozis auch der zukünftige Kultur-Staatsminister Michael Naumann für ein neues Schloß in der City-Baulücke ausgesprochen. Er macht ästhetische Gründe für einen Wiederaufbau geltend, außerdem rühre die Psychologie der Schloß-Gegnerschaft allein "aus dem fabelhaften Vokabular der Kritischen Theorie her, das die Herrschaftsaspekte der Kunst betont". Im Interview mit der Berliner Zeitung hat der Verleger sehr viel pragmatischere Aspekte parat: Schließlich brauche die neue Hauptstadt angemessene Räume für große Regierungsempfänge.

Damit wurde der Diskussion um die wohl umstrittenste Immobilie Berlins eine weitere Variante hinzugefügt. Die bisherigen Nutzungskonzepte der Stadtschloß-Wiederaufbauer wie der Palast-der-Republik-Erhalter liefen zumeist auf große Kongreßzentren, ambitionierte Ausstellungshallen, öffentliche Bibliotheken, schicke Hotels, gute Restaurants, coole Cafés, gutgehende Geschäfte, ein paar Mietwohnungen und natürlich Büroräume oder gar eine Art Berliner Centre Pompidou hinaus, um dem Publikum den jeweils eigenen Vorschlag schmackhaft zu machen. Naumann ist da sehr viel mutiger und verweist auf die historische Funktion des Schlosses.

"Warum sprengst du Schloß? Wir haben Kreml auch nicht gesprengt nach Revolution", sagte ein sowjetischer Offizier nach dem Beginn der Demontage des Stadtschlosses zu Arnold Munter, der damals als Baustadtrat verantwortlich für die Durchführung der Sprengarbeiten war. Der Vergleich des Rotarmisten hinkte natürlich, schließlich gab es hier ja gar keine Revolution.

Zwar wohnten seit Karl Liebknechts Balkonfrühstück von 1918 keine Aristokraten mehr in dem Haus, es stand der DDR-Führung aber dennoch im Wege: Walter Ulbricht war 1950 der Meinung, daß "der Lustgarten und das Gebiet des jetzigen Stadtschlosses zu einem großen Demonstrationsplatz werden" müßten. Gesagt, getan. Die Pyro-Experten der DDR hatten jedoch lange an der Beseitigung der Hohenzollern-Residenz zu beißen. Nachdem der Ministerrat am 23. August 1950 den Schloß-Abriß beschlossen hatte, wurden insgesamt 13 Tonnen Sprengstoff in die alten Gemäuer gesteckt: Bis zum 30. Dezember wurde damit an den fünf Meter dicken Grundmauern geknabbert, bis nichts mehr von dem Prunkbau zu sehen war. Kein Wunder, denn schon seit 1443 wurde an dem Gebäude gebastelt. Hier ein Umbau, dort eine Ergänzung, Ende des 17. Jahrhunderts legte Andreas Schlüter letzte Hand an die Ausgestaltung des Renaissance-Schlosses, das es bis zum Ende blieb. Nach einem Bombenangriff im Februar 1945 war davon aber nicht mehr allzuviel übrig. Danach wurden in den Ruinen noch einige Ausstellungen veranstaltet, bis das Gelände 1948 baupolizeilich geschlossen wurde.

Dem Palast der Republik, mit dessen Bau dann 1973 auf einem Teil des alten Stadtschloß-Grundrisses begonnen wurde, sagte man ein ähnliches Schicksal voraus. Bei seiner Einweihung 1976 hieß es: "Der Bau an dir wird nie zu Ende sein." Gar nicht so falsch, nur geht es derzeit vor allem um den Rückbau von Asbest und den vollständigen Abbau des ganzen Komplexes. Damit wäre der Status quo von 1950 wiederhergestellt. Das reicht aber noch nicht, jetzt soll das Stadtschloß wieder her. Das Problem ist nur, daß es bei all den kreativen Nutzungskonzepten von Naumann, Liepelt und anderen einfach am Geld mangelt. Klar, das Land Berlin ist pleite, wie immer sind private Investoren gefragt. Seit letzter Woche sind auch die 1,5 Milliarden Mark wieder im Spiel, die Ex-Bauminster Klaus Töpfer bei den Planungen zum Hauptstadtumzug einsparen konnte. Die Regierung soll sich ihre Residenz gefälligst selber bauen.

Die ganze Debatte ist nicht so richtig neu. Nachdem im Frühjahr 1993 der Abriß des Palastes der Republik zum ersten Mal beschlossen wurde, kam der Hamburger Landmaschinenhersteller Wilhelm von Boddien, Vorsitzender des Fördervereins Stadtschloß, auf die Idee, eine riesige Attrappe der alten Hohenzollern-Villa zu errichten. Dafür reichten ein paar Stahlgerüste und etliche mit einem Faksimile der Schloßfassade bedruckte Quadratmeter Plastikplane. Eine völlig unkritische Reproduktion, die dem Konzept der "kritischen Rekonstruktion" den Weg ebnen sollte. Wie für den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche hatte man auch in Berlin schon angefangen, für ein neues Stadtschloß zu sammeln.

Einige Monate stand das Ungetüm dann dem mindestens ebenso häßlichen Berliner Dom gegenüber, ohne irgendwen ernstlich zu beeindrucken. Die quadratische Klobigkeit des alten Schlosses wirkte angesichts der ohnehin recht einfallslosen Architektur des Neuen Berlin nur um so bedrückender.

Seither versuchte von Boddien "hinter den Kulissen", wie er immer wieder gern betont, für sein Schloß zu werben. Nicht ohne Erfolg. 1996 faßte der Gemeinsame Ausschuß von Bundestag und Berliner Senat den Beschluß, auf dem Schloßplatz wieder ein repräsentatives Gebäude zu errichten, das das "Schloßviertel" strukturieren sollte. Mit dem Unternehmen Hanseatica war auch schon ein privater Investor zur Hand: Bauzeit zehn Jahre, Kosten etwa eine Millarde Mark - allein 100 Millionen für die Rekonstruktion der Schlüter-Fassade. "Jetzt muß nur noch ein Nutzungskonzept erarbeitet werden", freute sich Volker Liepelt schon damals.

Seitdem liegt aber immer noch keins vor. Bibliothek, Hotel, Kongreßzentrum, Geschäfte, Bundes-Kunsthalle, Büros, Bibliothek, Hotel, Kongreßzentrum - immer die gleiche Leier. Beim ersten Entwurf für den Schloß-Neubau wurde sogar vergessen, daß drei bis fünf Meter unter dem Gelände noch die von den Kommunisten verschonten Fundamente und Grundmauern des Schlosses lagern - eine Tiefgarage wurde eingeplant. Der Landeskonservator war ganz schön sauer, weil die Trümmer noch gar nicht unter Denkmalschutz standen. Zugegeben: Wenn nach dem Abriß des ehemaligen DDR-Außenministeriums nun auch noch der Palast der Republik fällt, ist die Lücke auf der Spreeinsel ziemlich groß. Platz genug für ein neues Atomkraftwerk oder zwei Fußballstadien. Daß die Nutzungskonzepte immer wieder mit derselben Beliebigkeit referiert werden, verwundert kaum, schließlich geht es hier um symbolische Größe, nicht um eine pragmatische Nutzung von Bauland. Das hat Michael Naumann schnell begriffen. Und weil der Masterplan des Planwerks Innenstadt nicht viel Repräsentatives zu bieten hat, bricht sich der Wunsch nach der Rückbesinnung auf eine imaginäre alte Größe im Traum von einem neuen Hohenzollern-Schloß Bahn. Nur soll es diesmal nicht üppig und verschwenderisch sein, sondern effizient, privat finanziert - und vor allem groß.

Die Baugrube wäre bestimmt eine prima Attraktion für das nächste Programm von Volker Hassemers Schaustelle Berlin. Denn Architektur ist nur groß, wenn sie groß ist.