Aufmerksamkeit für die Opfer

Interview mit Kay Wendel, Mitarbeiter der Beratungsstelle für Opfer rassistischer und neofaschistischer Gewalt in Brandenburg

Seit wann gibt es die Opferberatungsstelle ?

Wir arbeiten seit März ehrenamtlich. Inzwischen läuft die Finanzierung über Lottomittel aus dem Land Brandenburg, so daß wir jetzt mit der Arbeit richtig beginnen können. In einer Zeit, in der die Medien, Politiker und Sozialwissenschaftler ihr Augenmerk nur auf die Täter richten, richtet sich unser Angebot an alle Leute, die Opfer rechtsextremer Gewalt geworden sind oder davon bedroht sind. Das sind besonders MigrantInnen, alternative Jugendliche, Lesben, Schwule, Behinderte, Obdachlose.

Könnt Ihr den Leuten konkret helfen?

Wir machen eine rechtliche Beratung, wir geben Informationen über Nebenklagemöglichkeiten, in welchen Fällen sich Anzeigen lohnen etc. Außerdem machen wir Prozeßbegleitungen. Ein zweiter Punkt ist, daß wir mit dem Freundeskreis und dem sozialen Umfeld der Opfer zusammenarbeiten. Viele Opfer sind durch die Angriffe traumatisiert, und wir versuchen daher, psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten zu vermitteln.

Darüber hinaus gibt es den Präventionsbereich: Wie kann man die Situation vor Ort so verbessern, daß mehr Solidarität mit den Opfern entsteht oder daß schon präventiv die Sicherheit verbessert wird? Ein weiterer Bereich unserer Arbeit ist, daß wir Gruppen vor Ort, die mit den Opfern solidarisch sein wollen, beraten. Der vierte Bereich ist dann die Dokumentation der Angriffe und Öffentlichkeitsarbeit dazu. Die vorherrschende Meinung in der Bevölkerung in Brandenburg sieht so aus, daß den Opfern selbst die Schuld für die Angriffe zugeschrieben werden. Ihre bloße Anwesenheit, ihr bloßes Anderssein wird dann als Provokation empfunden. Nach dem Motto: Gäbe es keine Ausländer, gäbe es auch keinen Rechtsextremismus. Insofern werden die Opfer gewalttätiger Angriffe doppelt bestraft. Sie werden nach der Tat noch einmal stigmatisiert - von der Bevölkerung, von Behörden, von Ausländerämtern. Dem wollen wir etwas entgegensetzen.

Wie unterscheidet sich Eure Arbeit von der der Ausländerbeauftragten, die sich ja auch um die Opfer kümmert.

Zum Teil haben natürlich die Ausländerbeauftragten einzelne Opfer unterstützt. Insofern ist unsere Arbeit eine Ergänzung. Allerdings ist unser Ansatz umfassender. Wir beziehen uns nicht nur auf MigrantInnen, auch wenn sie in die Mehrzahl die Angegriffenen sind, sondern auf alle, die in das Feindbildschema der Nazis passen.

Und die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen? Oft wird von offizieller Seite eher vermieden, Partei für die Opfer zu ergreifen, sondern bestenfalls eine Art Neutralität gewahrt.

Konkret sieht es so aus, daß wir selber an die Opfer herantreten. Wir warten nicht darauf, daß die Leute vorbeikommen. Das wäre für AsylbewerberInnen auch gar nicht möglich, weil sie einen bestimmten Landkreis nicht verlassen dürfen. Und auch für deutsche Jugendliche ist es nicht zumutbar, von einer Ecke Brandenburgs zur nächsten zu fahren, um uns zu besuchen. Das heißt, wir recherchieren, wo etwas passiert ist, und besuchen dann die Opfer. In diesem Bereich arbeiten wir natürlich auch mit offiziellen Stellen zusammen, um erstmal einen Kontakt zu den Opfern herzustellen - insbesondere mit den Ausländerbeauftragten.

Wir haben auch mit anderen Behörden zu tun, beispielsweise wenn in einem bestimmten Landkreis MigrantInnen zusammengeschlagen wurden und dann gegen sie konkrete Morddrohungen von einer ganz bestimmten Gruppe von Rechten ausgesprochen wurden. In einem derartigen Fall setzen wir uns dafür ein, daß sie in Sicherheit gebracht werden, d.h., daß sie in ein anderes Asylbewerberheim umverteilt werden. Wir müssen dann mit den Ausländerbehörden Kontakt aufnehmen. Das ist nicht besonders einfach, weil einige Ausländerbehörden durchaus die Tendenz haben, das Problem Rechtsextremismus zu leugnen oder zu verharmlosen und sich nicht auf die Seite der Opfer stellen.

Es sind immer konkrete Fälle, die von Euch betreut werden. Welche Möglichkeiten der Intervention habt Ihr über die Betreung der einzelnen Opfer hinaus?

Ein polnischer Student der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder ist im letzten Herbst in der Innenstadt angegriffen und zusammengeschlagen worden. Dem gleichen Studenten wurde im März dieses Jahres vor seiner Wohnung von zwei Nazis aufgelauert. Sie haben ihm dann eine Gaspistole vor den Kopf gehalten und ihn dabei fotografiert. Anschließend haben sie ihm einen "Gruß von der Anti-Antifa" bestellt. Offenbar kannten sie ihn. Wir haben ihn juristisch beraten.

Diesen Fall wollen wir zugleich in den Zusammenhang mit der allgemeinen Einschüchterung und Bedrohung von polnischen Studenten oder anderen Menschen aus Polen in Frankfurt/Oder stellen. Wir versuchen zusammen mit Studenten, Initiativgruppen an der Universität einzurichten und die Umgangsweise mit dieser alltäglichen Bedrohung zum Thema zu machen. Die meisten gehen so damit um, daß sie versuchen, sich unsichtbar zu machen. D.h. zum Beispiel in der Straßenbahn in Frankfurt/Oder nicht polnisch zu sprechen.

Wir von der Opferberatungsstelle würden gerne mit ihnen diskutieren, wie man diese Situation so ändern könnte, daß sie mehr Selbstbewußtsein in solchen alltäglichen Situationen bekommen.

Werden sich die bevorstehenden Kommunalwahlen noch einmal verschärft auf das rassistische Klima auswirken?

Die Parolen der NPD und DVU treffen die rassistischen Ideen, die in der Bevölkerung ohnehin schon kursieren, und wirken als Verstärker. In einigen Orten wie in Fürstenwalde und Frankfurt/Oder kann man meiner Ansicht nach aber beobachten, daß die Neonaziorganisationen an ihre Klientel die Parole ausgegeben haben, sich momentan mit gewalttätigen Aktionen zurückzuhalten. Das heißt nicht, daß im ganzen Land die Zahl der Angriffe zurückgeht. Aber da, wo sich die NPD als wählbare Partei auch für ordnungsliebende Bürger darstellen will, versucht die NPD, die Schläger zu kontrollieren.

Aber die meisten Angriffe werden doch ohnehin nicht von organisierten Neonazis verübt?

Ja, und die neue Tendenz ist die, daß es sich zunehmend um "normale" Jugendliche handelt, die sich nicht mehr durch ihr Outfit - Bomberjacke, Docs etc. - zur rechten Szene oder zur Skinheadszene zurechnen. Diese 14- bis 16jährigen Jugendlichen sagen einfach nur noch von sich, daß sie rechts sind, und machen dann beim "Volkssport Ausländerklatschen" mit.

Opferberatungsstelle c/o Mobiles Beratungsteam, Trebusser Str. 55, 15517 Fürstenwalde, Tel.: 0171 / 193 56 69