»Ritter der Nation«

Nach dem Sieg über Deutschland: Bierseligkeit in Kroatiens Hauptstadt

Schon drei Tage vor dem alles entscheidenden Spiel gegen den Angstgegner Deutschland torkelten die Kroaten in die Besoffenheit nationaler Euphorie. Auf den Straßen Zagrebs gab es für Fußballfans kein Halten mehr. Auch nicht an roten Ampeln. Alle paar Minuten kam ein Konvoi mit Jubel-Kroaten vorbeigerast und animierte mit Fahnen die Passanten zu spontanen Freudenkundgebungen. Das Losungswort für ein friedliches Miteinander war an jenem Abend "Hrvatska", Kroatien.

Als Zentrum der Fußballfreude mußte der Jellasic-Platz herhalten. Da staksten Mädchen in Stöckelschuhen den Bierflaschen-Slalom, und die städtische Müllabfuhr machte Überstunden - der Wohlstand war ausgebrochen: Viele Müllautos hatten einen kleinen Fernseher dabei.

Weil der Krieg nicht allzu lange her ist und viele Kroaten Waffenbesitzer sind, krachten auch schon mal Schüsse durch die heiße Sommer-Luft. Alles natürlich unter den wohlwollenden Blicken der Polizei, die anscheinend nur ausgerückt war, um Besoffene von den Fahrbahnen zu sammeln.

Am Samstag erlebte die nationale Euphorie einen neuerlichen Höhepunkt. Vorsorglich hatten sich die ausländischen Gäste im Hotel Esplanade in die Bar verzogen und wagten es kaum, aus dem Haus zu gehen. In der 40. Minute - Christian Wörns hatte vom Schiedsrichter gerade die rote Karte bekommen -, war kein Halten mehr. Überall klirrten die Gläser: "Hravtska".

Auch Kroatiens Generalissimus-Präsident Franjo Tudjman hüstelte nach dem Spiel in Frankreich Bedeutungsvolles: Alle Spieler der kroatischen Nationalmannschaft wurden zu "Rittern der Nation" geschlagen. Oliver Bierhoff hatte es gewußt: Schon Tage vor dem Spiel gegen Kroatien warnte er, man müsse aufpassen, weil "die Kroaten sehr patriotisch" seien.

Selbst die romantische Hafenstadt Split verlor am Freitag abend viel von ihrer Flirtverträglichkeit. Coca-Cola nutzte das Sportereignis, um sich den Einstieg in den kroatischen Markt zu erleichtern. Eine österreichische Event-Agentur wurde angeheuert, um auf dem Hauptplatz der Stadt per Videowall das Spiel zu übertragen. Zu Beginn versammelten sich kaum 2 000 Menschen vor dem überdimensionalen Bildschirm, doch als die Deutschen nach dem Ausschluß von Wörns nur noch neun Feldspieler aufbieten konnten, schwoll der Zuschauerstrom rasch auf 5 000 an.

Kurz nach dem 2:0 kaperten rund 100 Kroaten den Brunnen am Hauptplatz und spielten den Wet-T-Shirt-Wettbewerb mit diversen Schönheiten der Stadt. Die Polizei von Split sah dem Treiben gelassen zu und freute sich über die deutsche Niederlage.

Sogar in jener Stadt Kroatiens, in der die Stimmung seit Ende des Krieges eher gedämpft ist, wurde freudvolle Randale gemacht. Im völlig zerbombten Vukovar flogen die Bierflaschen am Marktplatz bedenklich tief.

Daß gerade die Großmacht Deutschland vom Patenkind Kroatien ins Abseits geschossen wurde, erfreute auch anderswo in Europa. So etwa in Wien. Große Tageszeitungen Österreichs titelten am Sonntag mit den leicht begreiflichen Worten "... und tschüs". So begrüßte etwa der Barkeeper in einem Billiardcafé die hereinkommenden Gäste mit den Worten "Warum lächelst du nicht? Heute gibt's was zu feiern." Nach dem 1:0 war noch schwaches "Na, eben!" zu vernehmen, nach dem 2:0 hieß es schon wesentlich lauter "Jawoll!" und nach dem 3:0 verbrüderten und verschwisterten sich die jungen Menschen mit den Worten "Jetzt müssen's heimfahren, die Piefke!"

Ganz Wien war Zagreb. Wenn man schon selbst nach dem dritten Spiel gegen Italien die Koffer packen mußte, so wollte man zumindest einen anderen Außenseiter siegen sehen. Nicht nur die beachtliche kroatische Minderheit im Osten des Landes befand sich im Siegestaumel.

Kroatien verlor gar einen Einwohner an den König Fußball. In der Zagreber Innenstadt legte sich ein Fan derart ungünstig auf die Straße, daß er von einem Lastwagen überrollt wurde. Zwölf andere Menschen wurden verletzt. Aber das war an diesem Abend Nebensache.