Wie haltbar ist Antimilitarismus?

Ein Gespräch mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Ludger Volmer über die Haltung seiner Partei zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr

Sie haben am vergangenen Freitag nicht gegen den unbefristeten Einsatz deutscher Soldaten in Bosnien gestimmt - warum?

Ich habe mich der Stimme enthalten. Denn auf der einen Seite finde ich, daß eine internationale Sicherheitskomponente zur Begleitung des zivilen Wiederaufbaus noch auf längere Zeit unabdingbar ist. Auf der anderen Seite ist der Bosnieneinsatz zumindest rechtlich eine friedenserzwingende Maßnahme auf der Basis von Kapitel 7 der Uno-Charta, durchgeführt von der Nato, einer Militärorganisation. Wir lehnen eine solche Mandatierung im Prinzip ab. Und da unseres Erachtens auch eine friedenserhaltende Maßnahme nach Kapitel 6 der Uno-Charta, durchgeführt von Blauhelmen, die jetzige Aufgabe leisten könnte, stimmten einige Abgeordnete der Grünen, darunter ich, nicht für die Vorlage der Regierung.

Unser Protest richtet sich nicht gegen diejenigen, die sich, in welcher Mission auch immer, in Bosnien-Herzegowina für die Friedenssicherung sehr engagieren. Er richtet sich gegen die Politik der Bundesregierung. Wir haben den Äußerungen des Verteidigungsministers Rühe in den letzten Tagen entnommen, daß dieser auch bereit wäre, ohne ein Uno-Mandat militärisch einzugreifen

...das hat Ihr Fraktionschef Fischer auch angedeutet.

Ich halte diese Position nicht für tragfähig. Es gibt keine völkerrechtliche Grundlage für ein militärisches Eingreifen auf einem anderen Territorium, es sei denn ein Uno-Mandat oder die eigene Verteidigungsnotwendigkeit. Auch wenn die Politik von Milosevic verbrecherisch ist - das entbindet die internationale Staatengemeinschaft nicht von der Rechtsförmigkeit des eigenen Handelns.

1995 wurde schon mal über den Sfor-Einsatz der Bundeswehr abgestimmt, auch mit einem vorherigen ablehnenden Parteitagsbeschluß der Grünen. Damals waren Sie noch strikt gegen jede Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Aktionen. Haben Sie Ihre Meinung geändert?

Wir meinen nach wie vor, daß Deutschland andere Einheiten für internationale Krisenbewältigung zur Verfügung stellen sollte, und auch die präventive Politik so gestärkt werden muß, daß es nicht zu solchen Eskalationen kommt. Auf dieser Ebene werfen wir der Bundesregierung massive Versäumnisse vor. Wir attestieren ihr geradezu, nicht den Willen zu haben, etwa die OSZE auszubauen und eigenständige Peacekeeping-Einheiten aufzubauen, die abseits der Bundeswehr zu Verfügung gestellt werden können.

Andererseits sehen wir realistisch, daß ein Abzug der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina die Gefahr birgt, daß dort sofort wieder bewaffnete Kämpfe aufflammen und es erneut zum Morden kommt. Dieser Verantwortung muß sich auch der Pazifismus stellen. Daraus ziehen wir die Konsequenz zu sagen: Wir sind zwar für einen anderen Einsatz. Aber die Alternative zu dem Einsatz, den wir wünschen, ist nicht etwa der Abzug, sondern die Tolerierung des jetzigen Einsatzes.

Sie sprechen immer von "wir". Die Grünen insgesamt können damit nicht gemeint sein. Im Gegenteil: Man hat den Eindruck, mit einem Außenminister Fischer würde Deutschland schneller - gegebenenfalls auch ohne Uno-Mandat - im Kosovo eingreifen als mit dem jetzigen Außenminister Kinkel.

In der Tat gibt es in der Partei einige Leute, die nie einen Hehl daraus gemacht haben, daß sie für jede Form des militärischen Eingreifens zu haben wären, wenn es sich politisch irgendwie begründen ließe. Diese Freundinnen und Freunde begeben sich auf sehr dünnes Eis. Bisher haben sie dabei gegen die Programmaussagen der Partei verstoßen, jetzt sind sie auch dabei, die völkerrechtlichen Grundlagen des Handelns zur Disposition zu stellen. Setzt sich diese Haltung durch, dann verwischen sich die Unterschiede zu der konservativen Politik so stark, daß die Grünen keine eigenständigen Gestaltungsvorschläge mehr hätten und sich folglich aus der Außenpolitik verabschieden würden.

Sie haben auf dem Parteitag in Magdeburg den knapp abgelehnten Kompromiß mitgetragen, der eine Zustimmung zum Sfor-Einsatz erlaubte. Damit haben Sie doch selbst Rückendeckung für Fischer und andere geschaffen, die jetzt noch viel weiter gehen.

Nein. In Magdeburg lief der Kompromiß darauf hinaus zu sagen, wir sind im Prinzip gegen friedenserzwingende Einsätze. Im konkreten Fall Bosnien-Herzegowina, definiert als Einzelfall, nicht als Präzedenzfall, muß aber als Gewissensentscheidung der einzelnen Abgeordneten eine abweichende Haltung möglich sein, da die Maßnahme - zwar nicht de jure, aber de facto - eine friedenserhaltende Maßnahme geworden ist. Das hat dieser Kompromiß einräumen sollen. Das war aber wiederum keine Verpflichtung, so zu stimmen und erst recht keine generelle Öffnung Richtung friedenserzwingender Maßnahmen.

Aber der Kompromißvorschlag, der ja schließlich im Länderrat doch beschlossen wurde, war de facto nur ein Schritt unter vielen weg von den früheren radikalpazifistischen Positionen der Grünen.

Um das deutlich zu sagen, ich halte die radikalpazifistischen Positionen für genauso falsch wie die realpolitischen. Die ersten bieten keine Handlungsmöglichkeit außer prinzipieller Opposition und überlassen damit denen das Feld, die zumindest vorgeben, sie hätten Handlungsoptionen. Und die Realpolitik paßt sich bis zur Ununterscheidbarkeit an die herrschende Außenpolitik an. Ich finde, man muß einen Weg dazwischen wählen. Ich schlage dafür den Begriff des politischen Pazifismus vor.

Wie würde der Weg dazwischen im Kosovo aussehen?

Der Kosovo ist ein sehr heikles Problem. Ich glaube, die Diskussion darüber wird in Deutschland mit sehr großer Naivität geführt. Sicher ist, daß jedes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft ein Uno-Mandat benötigt. Ob man einem solchen Einsatz dann politisch zustimmt, ist eine zweite Frage. Wir haben da unsere Programmaussage, die dies verbietet, wenn es sich um einen friedenserzwingenden Einsatz nach Kapitel 7 handelt.

Zudem sehen wir, daß auf diplomatischer Ebene immer wieder über effektive Mittel diskutiert wird, die dann aber nicht genutzt werden. Beispielsweise wird gesagt, Serbien, das eindeutig eine verbrecherische Politik betreibt, ist zu 90 Prozent von russischen Erdöllieferungen abhängig. Da müßte man fragen, warum die Russen nicht den Ölhahn zudrehen, und man müßte den Westen fragen, warum er den Russen keine Kompensationszahlungen leistet. Damit ließe sich wahrscheinlich der Motor des Konflikts, die serbische Aggressivität, am besten drosseln.

Auf der anderen Seite muß der Westen genauso klar machen, daß es keine staatliche Unabhängigkeit für den Kosovo geben kann. Denn wenn man die nationalstaatliche Lösung von ethnischen Konfliken weiter verfolgt, wie man das leider in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Slowenien gemacht hat, dann wird dieser Prozeß nie enden. Denn es gibt noch viele Ethnien, die ihr Selbstbestimmungsrecht gern so interpretieren würden, daß sie einen eigenen Staat bekommen müßten. Dann würden die Grenzen in Europa neu gezogen, zumindest im süd-östlichen Raum, und das hätte unabsehbare Folgen.

Sie argumentieren, als würde die deutsche Außenpolitik lediglich humanitäre Interessen verfolgen und sei nur zu phantasielos, um auf so gute Ideen zu kommen. Aber gerade in Deutschland verfolgen viele die nationalstaatliche Lösung ethnischer Konflikte, siehe die deutsche Anerkennung Kroatiens. Der Bundesregierung geht es doch vor allem um sogenannte nationale Interessen. Dazu gehört, die Bundeswehr zu einer weltweit einsatzfähigen Armee zu machen. Deshalb auch der Ruf nach einem baldigen Einsatz.

Die Bundesregierung will militärische Machtprojektion betreiben, um eine Mittelmacht wie Frankreich oder England zu werden. Das ist nicht nur altmodisch gedacht, sondern provoziert den Rückfall in das militärische Gleichgewichtsdenken. Und das Militärische wird wieder als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln anerkannt.

Ihr Fraktionskollege, der außenpolitische Sprecher Gerd Poppe, spricht vom Beginn eines Völkermords im Kosovo. Und fordert mit diesem Hinweis die Vorbereitung eines militärischen Angriffs. Mir scheint, mit dem Begriff Völkermord ist man schnell zur Hand, um Militäreinsätze zu rechtfertigen.

Was die Serben im Kosovo treiben, ist verbrecherisch. Ob der Begriff des Völkermords zum jetzigen Zeitpunkt angemessen ist, bezweifle ich. Selbst wenn man von diesem Tatbestand ausgehen würde, dann wäre nach der herrschenden Rechtsauffassung nach der Völkermordkonvention von 1948 die Feststellung dieses Falles durch den Uno-Sicherheitsrat notwendig. Da kann nicht jeder Staat diesen Begriff heranziehen, um seine eigene Politik gegenüber einem anderen Staat zu legitimieren.

Zurück zu Ihrer Partei: 1993 waren die Grünen noch gegen Blauhelmeinsätze. 1995 nur noch gegen eine deutsche Beteiligung. 1998 sind Sie für eine deutsche Beteiligung, aber noch gegen friedenserzwingende Maßnahmen. Welche Haltbarkeit wird diese Position haben?

Es ist überhaupt nicht falsch, wenn sich Positionen verändern. Wenn sich die Welt verändert, müssen sich Positionen verändern, sonst erstarrt man in Dogmatismus und Handlungsunfähigkeit. Man muß darüber reden, ob sie sich im richtigen Tempo in die richtige Richtung verändern. Manche Entwicklungen finde ich da richtig, andere finde ich zu weitgehend.

Die Positionen der Grünen verändern sich doch immer in Richtung Regierungsfähigkeit. Zum Beispiel war Krista Sagers Argument für den Bosnieneinsatz der Bundeswehr auf dem Länderrat: "Wer in Bosnien nicht schwimmen kann, kann überhaupt nicht schwimmen." Mit Schwimmen war Regieren gemeint. Und wenn Sie diese Entwicklung langsamer vollziehen als andere, erfüllen Sie objektiv nur die Funktion, den linken Teil der Basis bei der Stange zu halten. Die Richtung der Entwicklung ändern Sie aber nicht.

Richtig ist, daß wir in der Regierung eine Politik machen müssen und internationale Maßnahmen mittragen müssen, die wir theoretisch nicht richtig finden. Auf der anderen Seite haben wir in der Regierung die Möglichkeit, auch parallele Prozesse einzuleiten, das heißt Funktionen entwickeln, die das traditionelle Militär aus der Regulierung internationaler Prozesse herausdrängen.

Ich halte es aber für peinlich und grüne Identität untergrabend, wenn zu einer Zeit, wo wir in sich zuspitzenden Debatten die Oppositionsrolle einnehmen müßten, mit dem Verweis auf die mögliche Regierungsbeteiligung das grüne Profil abgeschliffen wird. Wer, wenn nicht die Grünen, soll denn die ganzen Vorbehalte gegen die negativen Aspekte der internationalen Beziehungen aufrechterhalten.

In der Öffentlichkeit sind die Grünen doch in dem Punkt schon nicht mehr als Opposition präsent. Da ist Fischer präsent, und der treibt die Militarisierung der deutschen Außenpolitik voran.

Ohne Namen zu nennen: Ich finde die grünen Äußerungen, die in den letzten Wochen durch die Presse gegangen sind, nur peinlich.