Strategen unter sich

Nach dem Castor-Skandal setzt die Anti-AKW-Bewegung auf Aktion, die Grünen auf ein Ausstiegsgesetz

Was folgt auf einen Skandal? Normalität - das hoffen zumindest die Manager der AKW-Betreiber, die am Montag dieser Woche nach einer gemeinsamen Strategie suchten, den Vertrauensverlust wieder wettzumachen. Die Zeit drängt. Bleibt der Transportstopp bestehen, müßte im Frühjahr 1999 das AKW in Stade abgeschaltet werden, die Zwischenlagerkapazitäten in dem Kraftwerk sind dann erschöpft.

Eine Strategie haben sich auch die Grünen überlegt, wie sie die Stimmung gegen die Atomenergie nutzen könnten, ohne den Koalitionspartner in spe zu verprellen. Das Zauberwort heißt: Atomausstiegsgesetz. Am vergangenen Freitag legte das hessische Umweltministerium einen Gesetzentwurf vor, der es möglich machen soll, innerhalb von fünf Jahren aus der Atomenergienutzung auszusteigen. Ein Festhalten an der Forderung nach sofortigem Ausstieg hätte Entschädigungsforderungen in zweistelliger Milliardenhöhe zur Folge gehabt, so der grüne Rainer Baake. "Das könnte die Koalition in die Luft sprengen."

Auch die Anti-AKW-Bewegung wollte ihre Chance nicht verschlafen und berief für das vergangene Wochenende eine Sonderkonferenz in Marburg ein. Die Vorschläge der Grünen waren für die 120 Delegierten aus deutschen und französischen Anti-AKW-Initiativen nichts als "Ausstiegsverzögerungspläne" und "Dealen mit Leben und Gesundheit der Menschen". Aus der Abneigung gegenüber parlamentarischem Gekungel, dem Kniefall vor Gerhard Schröders SPD und der schon vor jeglichen Verhandlungen schwachen Position vieler institutioneller Umweltverbände machten die AKW-GegnerInnen keinen Hehl.

Nur eineinhalb Stunden hielt sich die kurzfristig eingeladene Konferenz damit auf, eine klare Trennungslinie zu ziehen. "An jedem Tag AKW-Betrieb kann der Super-Gau eintreten, wird im sogenannten Normalbetrieb die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel gesetzt, droht der Tod durch Uranabbau und die Verbreitung vom Bombenmaterial", heißt es in der abschließenden Erklärung.

Von den Parlamenten sei nichts zu erwarten, so der Tenor in der Debatte. Alle solche Hoffnungen hätten sich in der Vergangenheit immer zerschlagen. Der Widerstand von unten aber habe seine Wirkung gezeigt, unabhängig davon, wer gerade an der Macht gewesen sei. "Wir werden uns mit aller Kraft dagegen stellen, wenn Parteien bereit sind, mit dem Leben und der Gesundheit von Menschen zu schachern, um regierungsfähig zu werden", hieß es, und immer wieder: "Wir fordern die Stillegung aller Atomanlagen sofort, ohne jeden Aufschub". Beifälliges Klopfen, Klatschen, Hundegebell im Saal - die Bewegung war sich einig.

Weniger harmonisch wie die Festlegung auf die konsequente Sofort-Stillegungs-Position gestaltete sich die Planung eigener Aktionen. Der Skandal um die strahlenden Castoren drängt zur Zeit die Atomlobby - im Jargon der Atomkonferenz: die "Atommafia" - in die Defensive. Daher sollte als zweiter Schwerpunkt der Konferenz geklärt werden, welche Aktionen dieses Schwäche nutzen könnten, um die Richtung der öffentlichen Diskussion zu ändern: Weg von der Forderung nach "besseren" Atommüllbehälter, hin zum sofortigen Ausstieg aus der Atomenergienutzung.

Allein der Ablauf der Diskussion geriet dabei zur Marter: Samstag sechs Stunden sowie Sonntag noch einige Stunden im überhitzten Plenumsraum. Lange Redelisten, viele warben darum, daß doch der eigene Standpunkt zum Mittelpunkt bundesweiter Aktionen werden sollte. Und einige Male tauchte auch der Dauerbrenner der Anti-AKW-Bewegung auf: Gewaltlose, gewaltfreie oder auch sabotierende Aktion? Dezentrale oder zentrale Aktionen?

Eine Einigung kam erst zustande, als Übermüdung den Diskussionsehrgeiz bremste. Die Beschlüsse lauten: Die Vorbereitungen, den ersten wieder rollenden Castor schon vorher zu stoppen oder spätestens dann anzugreifen, wenn er losfährt, sollen sofort anlaufen.

Am 12. September, zwei Wochen vor der Bundestagswahl, sollen an vier Standorten große und vielfältige Aktionen laufen: An der Urananreicherungsanlage in Gronau, dem Startpunkt der Uranverarbeitungskette. An einem AKW, wahrscheinlich Stade. An einem Zwischenlager, wahrscheinlich Greifswald, und an der Grenze nahe Saarbrücken als symbolische Aktion: "Wir üben, damit nix mehr rausfährt".