»Kriegstypische Entgleisungen«

Ein griechisches Gericht hat Deutschland zu 60 Millionen Mark Schmerzensgeld verurteilt - bereits im Oktober letzten Jahres. Ein Vertreter der Bundesregierung war zu dem Prozeß nicht erschienen. 300 Hinterbliebene des Opfer eines SS-Massakers in der nahe Delphi gelegenen Ortschaft Distomon hatten geklagt. Am 10. Juni 1944 hatte die 4. SS-Panzergrenadierdivision alle Einwohner Distomons ermordet, deren sie habhaft werden konnte. Das jüngste der 218 Opfer war ein zwei Monate alter Säugling, das älteste eine 85jährige Frau. Eine "Sühnemaßnahme" für einen Partisanenüberfall. Entschädigungsforderungen für dieses Massaker, so der Bonner Standpunkt, hätten mehr als 50 Jahre nach Kriegsende "ihre Berechtigung verloren". Entsprechend erschienen auch am vergangenen Wochenende weder Vertreter der geladenen deutschen Parteien noch Vertreter der deutschen Botschaft in Delphi. Dort trafen sich Historiker und Völkerrechtler, um über griechische Reparationsansprüche aus der Zeit der dreieinhalbjährigen Besatzung zu diskutieren. Der deutsche Botschafter fühlte sich immerhin bemüßigt, ein Fax zu schicken. "Die Haltung der Bundesrepublik ist bekannt; sie hat sich nicht geändert".

Wenn die Deutschen sich nicht zu uns bemühen, dann gehen wir nach Deutschland, dachten sich vier Hinterbliebene und klagen jetzt vor deutschen Gerichten. Vergangene Woche wies allerdings das Oberlandesgericht Köln ihre Klage zurück und schloß sich damit dem Urteil des Landgerichts Bonn an. Dieses hatte festgestellt, die Massaker seien zwar völkerrechtswidrige Vergeltung, die "in keiner Weise gerechtfertigt und entschuldigt werden kann". Dennoch seien dies "gewissermaßen kriegstypische Entgleisungen menschlichen Verhaltens" gewesen. Einzelne hätten keine Ersatzansprüche. Die Kläger kündigten Revision vor dem Bundesgerichtshof an.