"Schwarzbuch"-Präsentation

Gruselshow

Tiefempfundene Reue über begangenes Unrecht kann, darüber legen einige der bewegendsten Prosastücke des christlichen Abendlandes Zeugnis ab, zur soliden Grundlage eines fortan rechtschaffenen Lebens geraten. "Als Courtois etwas über sein Leben erzählt, wird verständlich, warum er sich mit solcher Leidenschaft für makaber klingende Thesen schlägt Ö", notiert beeindruckt die Korrespondentin der SZ über den Hamburger Auftakt von Courtois' Deutschlandtournee, ausgerichtet vom dankbaren Piper-Verlag, der sich nicht zu Unrecht Hoffnung macht, die Verkaufszahlen des Goldhagen-Verlegers Siedler zu übertreffen. Courtois nämlich präsentiert sich als reuiger Täter. Er "arbeitet sich an seiner eigenen kommunistischen Vergangenheit ab. 'Ich bin ein Mensch von links und war lange militant. Ich habe die kleine rote Mao-Bibel verkauft und Molotow-Cocktails auf eine Polizeiwache geworfen.'" (SZ)

Tiefempfundene Reue kann auch anstecken, kann bußfertige Nachahmer finden, von denen so etwas gar nicht verlangt wird. Z. B. Lothar Bisky: Der PDS-Vorsitzende fühlt sich aufgefordert, Abbitte "für das von der SED bei der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 begangene Unrecht" zu leisten, und damit eine Verantwortung auf sich zu nehmen, von der er "persönlich sich frei fühlen könnte." (FAZ) Welche Buße haben da erst die zu gewärtigen, die einen Tag nach Courtois' Hamburger Bekenntnis sich erdreisteten, die Berliner Fortsetzung der Prozession zum Teil handfest zu stören? Sie hatten nicht die Staatsgewalt mit Molotow-Cocktails herausgefordert, sie waren nur so unverschämt, lautstark auf dem Weiterleben des zum Exorzismus freigegebenen Kommunismus zu bestehen, und sie stellten die von den meisten Anwesenden als närrisch, wenn nicht gar gemeingefährlich bewertete Frage: "Wer zählt die Opfer des Kapitalismus?" Für einen am 1. Mai auf Berliner Polizisten geworfenen Stein gibt es nach derzeitigem juristischem Tarif anderthalb Jahre ohne Bewährung - egal, ob nun perfide Staatsfeindschaft oder banaler Alkoholrausch den Wurf motivierten. Gilt schon die Berliner 1. Mai-Randale als "bürgerkriegsähnlich", war die Störung der Courtoisschen Gruselshow für den Tagesspiegel bereits ein "kleiner Bürgerkrieg": "Nachwuchskommunisten gegen bekehrte Altlinke und ohnehin überzeugte Anti-Kommunisten."

Was also könnte die Buße für die Frevler sein? Die "bekehrten Altlinken" sind inzwischen qua Bekehrung fein raus, laut Tagesspiegel durfte sich ihr Auftritt auf die Rolle der "Raus, raus" skandierenden Statisten beschränken. Auch von Bisky verlangt man nur, daß er dafür sorge, die PDS bleibe so etwas wie eine "Bewahranstalt für die von der Geschichte Ausgemusterten". (FAZ) Wenn die Störer sich nach den zu erwartenden Anklagen wegen "Hausfriedensbruch" etc. bußfertig anstellen, dürfte die Strafe für die "fanatischen Schüler und Studenten" (Tsp), die "Jeunesse dorée der postkommunistischen Nostalgie" (taz) nicht allzu hart ausfallen. Vielleicht ein wenig gemeinnützige Arbeit in Form von zerknirschten Selbstbezichtigungen: "Ich war ein stalinistisches Scheusal."

Sollten sie sympathischerweise unbelehrbar bleiben, müßten sie auch zur Kenntnis nehmen, daß die Opfer des Kapitalismus durchaus gezählt werden. Statistiken aller Art geben Auskunft über die Leichenberge von Hunger, Krieg, heilbaren Krankheiten, die Opfer von Lohnarbeit, Wohnungsnot und anderen Alltäglichkeiten. Nur gelten diese Toten und Verletzten als so naturgegeben wie der Kapitalismus. Den Schein des solcherart Selbstverständlichen zu demontieren ist eine Voraussetzung der aktuell unwahrscheinlichen Möglichkeit, den Verfechtern des demokratisch legitimierten Elends ihre blutige Gesamtrechnung um die Ohren zu hauen.