Alternative Lebensformen

Dieter ist da

Immer wenn es nichts mehr zu tun gibt, geht man abhängen im Supermolli. Obwohl: Die meisten gehen hin und meinen das auch so. Die Rede war hier schon mal von dieser Kneipe, Konzertdingsbums und Hinterhofsiewissenschon. Damals hieß es, hier bekomme jeder eine Chance, V-Mann und Autonomer würden sich hier verabreden. Die V-Männer sind weg, die Autonomen sind verschwunden.

Es spielte eine Band, die statt E-Gitarre einen Kontrabaß hatte. So etwas Verrücktes. Im Hof trafen sich die Leute, die das nicht gutheißen - auftreten so ganz ohne E-Gitarre. Nun gut. Sie standen rum, tranken Bier, rauchten Zigaretten, unterhielten sich über Zugunglücke, neue Tattoos oder den Kosovo. Kurz gesagt: Der Abend drohte im Nichts zu enden.

Dann tauchte aber dieser Hillibilly, dieser Kunzelmann auf. Völlig verschollen und jetzt nahm niemand Notiz von ihm. Ich aber war plötzlich hellwach. So ein Haudegen aber auch! Daß sich keiner unter, na sagen wir mal, 35 Jahre für ihn interessiert, ist ja verständlich. Aber für den Rest: hochinteressant! Ich hatte ihn kurz vor seinem Ausstieg noch gesehen, in der Uni, wo er ohne Punkt und Komma von Untergrundgruppen geredet hat und daß er gar nicht hier sein dürfte. Die Leute waren alle zwar so um die 25, an der Uni gehen die Uhren aber anders. Neben mir saß ein Schnösel Marke schick und klug, aber immer schon unglücklich, der es seinen Freunden wohl so richtig zeigen wollte und crossovermäßig die Sechziger und Siebziger aufarbeitete. Zu mir meinte er damals, als Kunzelmann sich erstmal eine Zigarette klarmachte: "Ey, guck mal, Horst Mahler hat jetzt 'ne eigene Homepage. Kraß, ey!" Ich grinste, aber nicht wirklich.

Und jetzt treibt sich Kunzelmann samt Anhang im Supermolli rum. Sucht der neue Freunde? Und wieso gerade hier und warum trägt er jetzt Mützen wie dieser, na wie heißt er noch? Dieser Oldie, äh Bote, äh übergeschnappt. Egal. Ich guck ihn an, er guckt mich an. Ich gucke interessiert. Er, als wäre ich Gerichtsdiener. Mich verläßt der Mut.

Das Konzert ist vorbei, ich nehm mir ein Taxi und denk an die wirklich fetten Brillengläser von Kunzelmann. Der Taxifahrer will quatschen, kann er von mir aus auch machen, fängt an zu erzählen, ich sag ihm auch noch unnötigerweise das mit Kunzelmann, er kommt so richtig in Fahrt, erzählt Stories über Sommer und Kaufhäuser. Dann fall ich quasi aus dem Taxi, er will noch einen trinken gehen, "Nee!", mein ich, will ihn dann aber doch nicht so herzlos gehen lassen und sage ihm, daß er irgendwie aussieht wie dieser tote Häftling, wie hieß er noch? Ich ruf ihm nach "Nie wieder Stammheim!", er biegt aber schon um die Ecke. Ich geh dann doch noch in den Umsteiger und - wen treff ich? Manne Krug und Herbie Grönemeyer, Arm in Arm und blau wie die Fische ...