Die Waschkraft der Werbung

"Mein Shampoo schmeckt besser als Deins!" Was bringt vergleichende Werbung? Die Standortpolitik der Kreativbranche.

Wie eine bezaubernde Donquichotterie aus einer anderen Zeit mutet heute jenes Flugblatt an, mit dem die Subversive Aktion 1964, am Vorabend der Studentenbewegung, den "Kongreß der deutschen Werbeleiter und Werbeberater" in Stuttgart zu sprengen und die Werber zur Umkehr zu bewegen hoffte. Unter der Überschrift "Aufruf an die Seelenmasseure" hieß es dort: "IHR suggeriert den Leuten die Bedürfnisse, die sie nicht haben. (Ö) Ihr habt die Lüge 'consumo ergo sum' zur Wahrheit inthronisiert! Deshalb seid IHR DIE PREDIGER DER UNTERDRÜCKUNG! WIR fordern euch auf: Hört auf mit der totalen Manipulation des Menschen! (Ö) Hört auf, die Menschen als eine knetbare Masse zu betrachten, die dumpf Euren eingehämmerten Befehlen gehorcht!"

Auch wenn in einer "Nachbemerkung" eingeräumt wird, "selbstverständlich" wisse man, "daß die repressive Werbeindustrie auch nur ein Glied des repressiven Ganzen ist und nur zusammen mit dem Ganzen liquidiert werden" könne, ist doch die für die folgenden Jahrzehnte virulente Haltung der Linken trefflich auf den Punkt gebracht, wonach die damals noch in den Kinderschuhen steckende Werbebranche Schaltstelle und ideologisches Zentrum des Warenfetisch und der Bewußtseinsindustrie sei. Der Ruf der Branche war, gelinde gesagt, beschissen. Selbst der Altmeister der Betriebswirtschaftslehre, Erich Gutenberg, konnte sich 1965 ein entschiedenes Statement nicht verkneifen: "Daß diese Konkurrenzwerbung nicht frei ist von Exzessen, die aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ästhetischen Gründen abzulehnen sind, lehrt die tägliche Erfahrung."

Die Zeiten haben sich geändert und der Ruf der Branche allemal: Jeder zweite Abiturient, der heute nicht "Journalist" werden will, möchte mal "irgend etwas mit Werbung" machen; sie gilt der "realistischen Jugend" als letzte Bastion der "Kreativität", wo auch noch die Kohle stimmt.

Die Ressentiments haben sich verflüchtigt, selbst in linken Kreisen beschränkt sich die Kritik an der Werbung meist darauf, daß sie einfach nicht "gut gemacht" sei und es ihr insbesondere in Deutschland an Originalität mangele. Man ist schon dankbar, wenn man nicht komplett für dumm verkauft wird, und die Werbung bedient diese Zerfallserscheinungen, indem sie zunehmend unernst, mitunter selbstironisch daherkommt.

Als "everybody's darling" unterläuft Werbung jede Kritik, indem sie nicht mehr nur auf Persuasion setzt, sondern auf Komplizenschaft mit denjenigen, die Werbung grundsätzlich ablehnen. So ist für jeden etwas dabei, und wenn einem dennoch einmal eine Kampagne annervt, gehört man einfach nicht zur Zielgruppe - so einfach ist das heute.

Allerdings stimmt es, daß sich die deutsche Werbung im internationalen Vergleich durch extreme Spießigkeit und Ideenarmut auszeichnet, weshalb die Branche auch regelmäßig leer ausgeht, wenn in Cannes die Preise für die besten, i.e. originellsten Werbefilme verliehen werden. Die Macher reden sich dann gern darauf hinaus, daß sie ja gern würden, wenn man sie ließe, aber die Kunden es nicht anders wollten. Und das vielleicht nicht ohne Grund: Laut Statistik werden originelle Werbungen zwar durchaus von den Rezipienten geschätzt - auf den Verkauf des Produkts wirkt sich dies in der Regel nicht aus. Die deutsche Werbung ähnelt durchaus dem deutschen Fußball: uninspiriert, nicht schön anzusehen, dafür ökonomisch effektiv.

Als ein weiterer Grund, warum Werbung hierzulande oft "aus ästhetischen Gründen abzulehnen" ist, wurden bisher immer die engen rechtlichen Rahmenbedingungen angeführt, die vergleichende Werbung schon dann als "unlauteren Wettbewerb" untersagten, wenn auch nur implizit, aber erkennbar auf ein bestimmtes Konkurrenzprodukt angespielt wurde. Die für die deutsche Werbung typischen geisttötenden Formulierungen wie "herkömmliches Waschmittel" oder "manch andere Tabs" waren direkte Folge dieser Regelung. Das Argument, rechtliche Bestimmungen behinderten die Kreativität, könnte in Zukunft wegfallen - oder auch nicht. Zumindest existiert seit kurzem eine neue EU-Richtlinie, derzufolge vergleichende Werbung ab sofort auch in Deutschland zugelassen ist.

Was das für die Zukunft bedeuten könnte, war Gegenstand eines studentisch organisierten Werbekongresses, der unter dem Motto "Mein Shampoo schmeckt besser als Deins!" am vergangenen Wochenende in der Berliner Hochschule der Künste stattfand - daß Studierende solche Kongresse heute nicht mehr zu stören versuchen, sondern selbst organisieren, mag, nebenbei bemerkt, als Beleg für die Eingangsthesen gewertet werden. Eine Hoffnung aber wäre, die Neuregelung führte dazu, daß endlich der exzessive Konkurrenzkapitalismus auch hierzulande seine angemessene symbolische Entsprechung in der Werbung findet und deren Unterhaltungswert gesteigert wird, wenn mit dem "Fallen der Abseitsregel", wie zwei Abgesandte der Agentur Ammirati Puris Lintas es nennen, ein Krieg aller gegen alle entfacht wird und dem allgemeinen Hauen und Stechen nichts mehr im Wege steht.

Hoffnungsfroh stimmende Vorbilder aus den USA sind etwa der überaus kurzweilige Schlagabtausch zwischen Coca-Cola und Pepsi, der inzwischen in der dritten Dekade tobt und dabei weder entschieden ist noch langweilig zu werden droht. Ebenso die süffisanten Sticheleien von Apple, zunächst gegen IBM - etwa in einem Spot von 1984, wo IBM als "Big brother" identifizierbar ist -, später gegen Microsoft, mit Anspielungen auf die desaströse Markteinführung von Windows 95. Jüngstes Beispiel ist der mit harten Bandagen geführte Krieg Nike versus adidas, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.

In den USA wurde vergleichende Werbung in den Siebzigern zugelassen, und zwar aus der interessanten Überlegung heraus, damit die darniederliegende Konjunktur anzukurbeln. Erstaunlicherweise hat das gegenseitige Schlechtmachen der Konkurrenzprodukte dort tatsächlich einen Aufschwung bewirkt, was nur die These stützt, daß wir es heute längst mit dem Typus des "zynischen Verbrauchers" zu tun haben, der eh weiß, was gespielt wird, aber dabei wenigstens gut unterhalten werden will.

Die meisten Referenten hingegen stellen eine ernüchternde Prognose für Deutschland, was mit den Einschränkungen der Brüsseler Neuregelung zusammenhängt. Vergleichende Werbung wird demnach nur erlaubt sein, wenn sie sich an bestimmte Voraussetzungen hält. "Hierzu zählt, daß der Vergleich nicht irreführend sein darf, daß nachprüfbare und typische Eigenschaften miteinander verglichen werden und daß der Mitbewerber nicht herabgesetzt oder verunglimpft werden darf", bescheidet der Bundesgerichtshof.

In der Praxis bedeutet dies, daß eine weitere rechtliche Grauzone geschaffen wird, über die sich insbesondere die Anwälte freuen dürfen. Ferner bedeutet es, daß Vergleiche allenfalls über den Preis und ähnlich langweilige, weil nachprüfbare Kriterien wie Lactosegehalt, Waschkraft und antibakterielle Wirkung angestellt werden dürfen. Ulrich Wiesendanger von der Agentur TBWA bezeichnet deshalb vergleichende Werbung als die "die größte Scheiße". Damit werde die Logik noch stärker als bisher Einzug halten, wo doch der Kaufakt nach Werbepapst Ogilvy "das größte Drama der Welt" sei und nach einer dramatisch-irrationalen oder auch "emotionalen" Inszenierung verlange. "Wir werden nur Äpfel mit Äpfeln vergleichen dürfen, ohne daß der eine grinst oder einen Bikini anhat", veranschaulicht ein anderer Redner.

Auch wenn man Werbetreibende nach wie vor nicht gerade zu den Sympathen unserer Zeit zählt, was sie ja auch nicht gerade sind, kann man ihnen das Bedauern über diese Einschränkungen doch aus ganzem Herzen nachempfinden. Die Aussicht auf eine allgemeine Trashisierung der Werbung, wo jedes Mittel recht ist, den Konkurrenten anzuschwärzen, muß einstweilen begraben werden. Statt dessen steht die allgemeine Waschmittelisierung zu befürchten, und das wird eine Gähn-Veranstaltung, von der wir uns heute noch überhaupt kein Bild machen.

Über ein Gegenszenario, wie es Stefan Baumann vom Hamburger Trendbüro entwirft, lohnt es sich, dennoch eine Weile nachzudenken: Im Zuge des Werteverlustes und der allgemeinen Orientierungslosigkeit böten lediglich die Marken-Images dem einzelnen noch Halt und Identifikation; sie prägten eine "Stellvertreter-Identität" aus. Weitergesponnen - und rigoros vergleichende Werbung vorausgesetzt- hieße das, wir könnten uns getrost im Sessel zurücklehnen und die "Image-Wars" am Bildschirm verfolgen. Wir könnten mitfiebern, unserer Marke die Daumen drücken und daraus gleichzeitig Schlüsse ziehen, wie unsere eigenen Aktien im relationalen Beziehungsgeflecht "Gesellschaft" stehen. Auch wenn das keine unbedingt berückende Zukunftsvision sein mag, wäre es doch wenigstens mal eine Alternative zum ewigen Fußball.