Sparen für den Bürgerkrieg

Kurzer Prozeß: Das verschärfte Asylbewerberleistungsgesetz könnte noch in diesen Tagen verabschiedet werden

Dem SPD-Märchen vom besonders humanitären Engagement für Bürgerkriegsflüchtlinge geht eine kleine Geschichte voraus. Und die ist schnell erzählt. Wenn schon politisch Verfolgten kein umfassendes Recht auf Asyl mehr eingeräumt werden könne, so tönte die Mehrheit der deutschen Sozialdemokraten Anfang der neunziger Jahre, dann sollte wenigstens Bürgerkriegsflüchtlingen ein gesicherter Aufenthaltsstatus gewährt werden. In den Mittelpunkt der parlamentarischen Schachereien um die Einschränkungen des Artikel 16 stellten sie folgerichtig Bosnien-Flüchtlinge, die seit Beginn der jugoslawischen Kriege zu Zehntausenden in die BRD geflohen waren. Humanitär orientiert sei man ja noch immer, hieß es bei den Sozis. Nur: Jeder könne nun mal nach dem Ende des Kalten Krieges auch nicht mehr aufgenommen werden.

Die designierte Innenministerin im Schattenkabinett Gerhard Schröders, Herta Däubler-Gmelin, verkaufte den asylpolitischen Bankrott so an die Parteilinke: Nur wenn im Gegenzug Kriegsflüchtlingen weitgehende Sicherheiten eingeräumt würden, beteuerte sie immer wieder, werde man den Grundgesetzänderungen zustimmen. Im Sommer 1993 votierten die SPD-Abgeordneten im Bundestag für die faktischen Abschaffung des Asylrechts, wie es im Artikel 16 festgeschrieben war. Der Status von Kriegsflüchtlingen hat sich seitdem sukzessive der Vogelfreiheit angenähert.

Mit dem Abschied vom Asylrecht verknüpfte die SPD den tatkräftigen Einstieg in den Sozialabbau für die hier lebenden Flüchtlinge. Es begann die Erfolgsgeschichte flüchtlingsfeindlicher SPD-Politik. Das damals ausgehandelte Gesetz ist inzwischen einmal geändert worden, eine zweite Novellierung scheiterte Ende März erst am Protest von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Flüchtlingsorganisationen.

Einen weiteren Änderungsversuch starten die Parlamentarier nun am Mittwoch dieser Woche. Das Objekt der Revidierbegierde nennt sich Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und verdreht im Titel - wie jedes gute Gesetz - Ursache und Wirkung. "Leistungskürzungsgesetz" käme der Sache näher, ging es doch von Beginn an darum, Flüchtlingen die Lebensgrundlagen zu streichen. So wurde 1993 zunächst festgeschrieben, die medizinischen Leistungen von Bürgerkriegsflüchtlingen und geduldeten Asylbewerbern auf ein Minimum zu reduzieren. Vor zwei Jahren dann, bei der ersten Novellierung des Gesetzes, zockten die asylpolitisch längst zur Großen Koalition mutierten Partner den Betroffen ein Fünftel ihrer Sozialhilfe ab. Ohnehin schon weit unter dem Regelsatz für Inhaber deutscher Pässe gelegen, zahlen die Behörden Flüchtlingen den Rest inzwischen vorzugweise in Sachleistungen aus.

War es bis zum Frühling noch der Berliner Innensenat des Ex-Generals Jörg Schönbohm (CDU), der das Tempo für Leistungskürzungen bei Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen via Bundesrat vorgab, überholten die niedersächsischen Sozialdemokraten den Hardliner nach dem Scheitern der letzten Beratungen. Die neueste Offensive zum Sozialabbau kommt direkt aus Schröders Innenministerium. Unter Federführung Niedersachsens und in Abstimmung mit dem Bonner Innen- und Gesundheitsministerium haben sich die Berliner Vorkämpfer seit März sachdienlich den Vorschlägen Hannovers unterworfen. Die von Schönbohm Anfang Februar ausgegebene Marschroute gilt jedoch ebenso unter SPD-Ägide: "Diese Gruppen werden nicht mehr durchgefüttert!" Dritter im Bunde der staatlichen Leistungsverweigerer ist das bei Abschiebungen seit Jahren führende Bayern, was dessen Defizite bei den Vorschlägen für Sozialkürzungen im Ländervergleich wieder wettmacht - Innenminister Günther Beckstein (CSU) darf bei den Verschärfungen selbstverständlich mitmischen.

Traut man einem Szenario, das der zuständige Referent im niedersächsischen Innenministerium gegenüber Jungle World bestätigte, dürfte das parlamentarische Prozedere zur neuerlichen Leistungskürzungswelle bis Freitag abgeschlossen sein. Der Bundestag wird sich wie beim gescheiterten Anlauf im März am Mittwoch in erster Lesung mit den Änderungsvorschlägen Niedersachsen befassen. Nach zweiter und dritter Lesung am Donnerstag lehnt die SPD das Gesetz ab und erbringt ihren Kritikern den Beweis dafür, daß sie sich immer gegen die flüchtlingsfeindliche Regelungen gestellt habe. Geht alles nach den Plänen der Dreiländerallianz, stimmt am Freitag schließlich eine Mehrheit der SPD-regierten Bundesländer dem Vorhaben im Bundesrat doch noch zu - innerhalb von 48 Stunden wäre der Gesetzentwurf durch. Fünf Jahre nach seiner Einführung könnten die Sozialdemokraten von sich behaupten, die Freiräume, die das AsylbLG von Anfang an ließ, voll ausgenutzt zu haben - zuungunsten der Flüchtlinge.

Die Neufassung zwänge die beiden größten Flüchtlingsgruppen zur Ausreise: Menschen aus dem Kosovo sowie aus Bosnien würden sämtliche Leistungen gestrichen - bei anhaltendem Arbeitsverbot. Einzige Hinwendung an die Flüchtlinge: Die Novelle soll erst Anfang 1999 in Kraft treten, für Ausreisen vor allem in den serbischen Teil Bosniens blieben noch einige Monate Verschnaufpause. Die SPD-Länder, zeigt sich, übernehmen in ihren bundespolitischen Streichungsentwürfen die Lage-Einschätzungen des Auswärtigen Amtes, das für Ende des Jahres eine nachhaltige Veränderung der Situation in Bosnien prognostiziert: Darin wird allen 180 000 noch in der BRD lebenden Bosnien-Flüchtlingen eine Rückkehrmöglichkeit unterstellt. 70 000 ausreisepflichtige Kosovo-Albaner wären ebenfalls von den Streichungen betroffen. Die Folgen des Gesetzes sind in den vergangenen Monaten hinlänglich beschrieben worden: Streichung der nur noch 2,60 Mark pro Tag betragenden Sozialhilfegeldleistung, der Essenspakte, der Kleidung, der Kostenübernahme für Sammelunterkünfte, der Krankenbehandlung. Hunger und Obdachlosigkeit stehen am Ende der Kette.

Einem Bericht der taz zufolge will die Regierungskoalition die niedersächsischen Vorschläge nochmals überbieten. Als Schreckenssignal, um "der weit verbreiteten Schleusertätigkeit entgegenzuwirken", zitiert die Zeitung ein internes Papier, werde an einem Entwurf gearbeitet, der künftig auch vorgeblich illegal eingereiste Flüchtlinge von den Sozialleistungen ausschließen soll. Der Kreis der 250 000 Betroffenen würde sich erheblich ausweiten. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hatte noch im Februar kritisiert, daß "gerade Personen, die vor einer drohenden Verletzung ihres Leibes oder Lebens flüchten", regelmäßig daran scheiterten, "die Voraussetzungen für eine legale Einreise in ein schutzbietendes Land zu erfüllen". Daher verbiete die Genfer Flüchtlingskonvention ausdrücklich, Strafen wegen illegaler Einreise zu verhängen. Nichts anderes aber soll das AsylbLG nach diesen Vorschlägen künftig regeln.

Ein Abstimmungserfolg für den Entwurf aus Hannover käme einem Kanthersieg der Landsmannschaft von Kanzlerkandidat Schröder gleich. Wie beiläufig ließ der Niedersachse am Rande des Jelzin-Besuchs vergangene Woche eine Bemerkung fallen, die erklären könnte, wohin die eingesparten Sozialhilfesätze für Kosovo-Flüchtlinge demnächst fließen sollen. Zurück in den Kosovo nämlich. Schenkt man Schröders Äußerungen über Innovationen etwas Beachtung, steht dahinter durchaus ein Modell. Getreu dem Leitmotiv sozialdemokratischer Entwicklungshilfepolitik der siebziger Jahre, wonach die Fluchtursachen nicht hier, sondern nur in den Herkunftsländern gelöst werden könnten, machte Schröder damit den bislang weitestgehenden Vorschlag für eine innovative Reinvestition der gesparten Gelder: Ein Nato-Einsatz direkt in der Provinz, und zwar ohne Mandat des Uno-Sicherheitsrats, könnte die Flüchtlingsbewegungen in Richtung Deutschland am effektivsten stoppen.

Das zu fordern hat sich bislang nicht einmal Volker Rühe getraut. Da prescht der Kanzlerkandidat einmal mehr vor. Sozialhilfe von Flüchtlingen streichen, hilft Bürgerkriege stoppen - mit deutschem Militärengagement. Die sozialdemokratische Erfolgsgeschichte geht weiter: Sparen für den Bürgerkrieg.