Kosovo-Konflikt weitet sich aus

Präventiver Angriff

Ibrahim Rugova, selbsternannter Präsident der Kosovo-Albaner, weigerte sich bislang, die Kämpfer offiziell überhaupt zur Kenntnis zu nehmen: Die Befreiungsbewegung Kosova (UCK), wiederholte Rugova bei jedem Anlaß, sei nur eine Schöpfung des serbischen Geheimdienstes, dessen Ziel es sei, "den legitimen aIbanischen Widerstand gegen die serbische Unterdrückung" zu diskreditieren.

Nun - nach über drei Monate anhaltenden Kämpfe zwischen UCK und serbischen Spezialeinheiten - kommt auch er nicht mehr umhin, die Existenz der bewaffneten Separatisten zu bestätigen: Erstmals präsentierte sich am Wochenende ein Sprecher der Skipetaren-Guerilla, die bislang keinerlei öffentliche Erklärungen abgegeben hatte, der Öffentlichkeit. Und sogleich wurde die Kosovo-Exilregierung mit Sitz in Bonn aufgefordert, die monatlich von den im Ausland lebenden Kosovo-Albanern erhobenen Steuern direkt an die UCK weiterzuleiten. Aber das dürfte sie ohnehin schon tun.

Seit Mitte Mai steigt die Zahl der bewaffneten UCKler fast stündlich. Die nordalbanischen Grenzorte, wo in den vergangenen Wochen über 10 000 Kosovo-Albaner Zuflucht gesucht haben, quellen Presseberichten zufolge vor Waffen über. In Ausbildungslagern werden die männlichen Flüchtlinge militärisch geschult, um danach in die umkämpfte Provinz zurückzukehren. Die miserabel ausgerüstete albanische Grenzpolizei scheint überfordert, Übertritte in beide Richtungen können nicht verhindert werden.

Kritiker des vergangenen Mittwoch beschlossenen Nato-Einsatzes bemängeln denn auch, daß der Westen mit der Stationierung von Nato-Soldaten entlang der albanischen Grenze lediglich das Geschäft des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic betreibe; seien die Grenzen durch Nato-Truppen geschützt, müßten diese auch den Waffenschmuggel unterbinden - Milosevic könnte sich ins Fäustchen lachen.

War es bis vor zwei Wochen noch allen voran der deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe, der vor solch "symbolischen Handlungen" gewarnt hatte, ist diese Position innerhalb der Nato inzwischen Konsens. Zum Abschluß ihrer Verteidigungsministertagung in Brüssel letzte Woche übernahm Generalsekretär Javier Solana Rühes Position im Wortlaut. Auch bei der Formulierung der westlichen Interessen hielt er sich an die deutschen Vorgaben: Es gelte, den bevorstehenden Flüchtlingsstrom nach Mittel- und Nordeuropa zu unterbinden. Das verabschiedete Maßnahmenpaket geht entsprechend weit über einen Grenzsicherungseinsatz hinaus. Als Optionen stehen sowohl Luftangriffe auf serbische Ziele im Kosovo, die Einrichtung einer Flugverbotszone und ein militärisch durchgesetztes Verbot der Stationierung von Panzern und Artillerie offen. Und bereits am Sonntag startete das Bündnis Manöver in AIbanien und Mazedonien - unter Beteiligung von vier deutschen Tornado-Kampfjets.

Flankiert werden die militärischen Maßnahmen von Sanktionen der Balkan-Kontaktgruppe. Auf ihrer Tagung in London beschlossen die Außenminister der USA, Rußlands, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs und Italiens, den gerade erst aufgehobenen Investitionsstopp gegen Serbien wieder einzuführen. Obwohl die Aufforderung an Milosevic, seine Einheiten zurückzuziehen, unterstützt wurde, schloß sich Rußland den neuen Sanktionen nicht an.

Die Frage jedoch, ob Rußand Nato-Angriffe auf jugoslawisches Territorium durch ein Veto im Uno-Sicherheitsrat scheitern läßt, könnte sich schon bald als rhetorische erweisen. Der britische Außenminister Robin Cook kündigte bereits an, ein Mandat des Sicherheitsrates sei zwar "hilfreich und nützlich", aber nicht unbedingt notwendig. Auch ein Sprecher der US-Regierung erklärte, daß die bereits verkündeten UN-Resolutionen ausreichen würden, um jede Militäraktion durchzuführen.

Milosevic indes nahm die anhaltenden Grenzübertritte zum Anlaß, einen rund 170 Kilometer langen Streifen entlang der Westgrenze des Kosovo verminen zu lassen; in einem Gebiet, das von serbischen Angriffen bisher ausgenommen war. Diese Gegend könnte nun als Pufferzone nach Albanien dienen, was auch von europäischen Militärs als "militärisch sinnvoll" erachtet wird. Die UCK könnte den Kosovo so künftig nicht mehr mit Waffen und Kämpfern überschütten.

Doch die UCK hat sich darauf bereits eingestellt. Nach vereinzelten Meldungen der Vorwoche, die das Übergreifen der Kämpfe an die Südgrenze des Kosovo zu Mazedonien zum Inhalt hatten, ist eines seit dem vergangenen Samstag sicher: Waffen und Kämpfer der UCK kommen nicht nur über Albanien in den Kosovo, sondern auch über Mazedonien. Das von unterschiedlichen Balkan-Strategen immer wieder beschworene Szenario von einem Übergreifen des Konflikts auf die Nachbarrepublik ist bereits Realität.