Freispruch für das Dorf

In Frankfurt/Oder soll die rassistische Brandstiftung von Dolgenbrodt verhandelt werden. Vor Gericht stehen fünf Männer, die als Einzeltäter gehandelt haben sollen

Wenn am Freitag vor dem Landgericht Frankfurt / Oder der Prozeß gegen drei anständige Dolgenbrodter Bürger und zwei nicht ganz so anständige Nazis aus Königs Wusterhausen beginnt, geht es einmal mehr um das Ansehen Deutschlands und weniger um die Aufklärung eines ziemlich normalen deutschen Vorgangs. Herauskommen soll und wird vermutlich, daß es fünf Einzeltäter waren und nicht alle Dolgenbrodter Bürgerinnen und Bürger, die gemeinschaftlich handelten, um die Unterbringung von 86 Flüchtlingen in ihrem Dorf zu verhindern.

Als am 1. November 1992 im idyllischen Dolgenbrodt in der Nähe der brandenburgischen Kleinstadt Königs Wusterhausen das Haus abbrannte, in dem einen Tag später die Flüchtlinge untergebracht werden sollten, hätte dieser Brand, bei dem keine Menschenleben unmittelbar gefährdet waren, im deutschen Pogrom-Herbst 1992 auch gut unter "Ferner liefen" verbucht werden können. Aber es kam anders, denn die Dorfbevölkerung freute sich ein bißchen zu laut, die damalige Bürgermeisterin Ute Preißler erklärte: "Wir waren nicht traurig, daß damit das Problem zunächst gelöst war."

Vor dem Brandanschlag war auf einer Dorfversammlung in der Ortskneipe der Satz: "Am besten, das Haus würde abbrennen" mit Applaus quittiert worden. Schnell wurden Gerüchte laut, die Dorfbewohner selbst hätten einen Brandstifter dafür bezahlt, ihnen die Dreckarbeit abzunehmen.

Einer der Brandstifter, Silvio Jakowski, damals 18 Jahre alt, wurde festgenommen und verbrachte elf Monate in Untersuchungshaft. Dann wurde er freigesprochen, aus Mangel an Beweisen. "Ein ganzes Dorf wartete auf den Brand", äußerte schon 1994 der Richter am Landgericht Potsdam, nur beweisen konnte er es nicht. Das lag nicht zuletzt daran, daß die Staatsanwaltschaft in der brandenburgischen Landeshauptstadt die belastenden Beweise "nicht ausreichend gewürdigt" hatte, wie es der Bundesgerichtshof in seiner Aufhebung des Freispruchs formulierte. Das Verfahren wurde von Potsdam nach Frankfurt / Oder verlegt, im zweiten Anlauf wurde Jakowski 1995 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Unterdessen wollen die Gerüchte nicht verstummen, die Dolgenbrodter hätten den Anschlag finanziert. Die wiederum begriffen, daß man in einer solchen Situation besser den Mund hält, wenn man sich nicht um Kopf und Kragen reden will. Doch das war nicht immer einfach: Susanna Oste zum Beispiel, die Frau des im kommenden Prozeß Hauptangeklagten Thomas Oste, hätte die Aussage gegen Jakowski schlicht verweigern können, wenn sie befürchtet hätte, ihren Mann zu belasten. Weil sie aber damit rechnen mußte, daß eine Aussageverweigerung einen noch stärkeren Verdacht auf ihren Mann lenken könnte, log sie und wurde des Meineids angeklagt. Das Vorgehen der nun zuständigen Staatsanwältin Petra Marx löste in Brandenburg Verwunderung aus. Dabei tat sie nur das Naheliegende, nachdem ihr die Widersprüche in den Aussagen der Dorfbewohner aufgefallen waren. Eine Reihe von Ermittlungsverfahren wegen Meineids und uneidlicher Falschaussage folgten.

Nach dem Anschlag wurden auch noch ominöse Grundstücksgeschäfte in und um Dolgenbrodt bekannt: Kurz vor der Währungsunion 1990 veräußerte die Gemeinde eine Reihe von Grundstücken noch in DDR-Mark zu Tiefstpreisen, womit die Alteingesessenen, viele von ihnen ehemalige SED-Kader, ihre Pfründe sichern wollten. Zimperlich war man hier noch nie. Die Dorfgemeinschaft hatte es schon während der Bodenreform 1945/46 fertiggebracht, eine Nazi-Enteignung zu legalisieren.

Das Land, auf dem das Dorf liegt, gehörte bis zum April 1945 dem Großgrundbesitzer Heinrich Specht, der im "Nationalkomitee Freies Deutschland" gegen die Nazis Widerstand leistete. Wenige Wochen vor der Kapitulation wurde er während eines Verhörs von der Gestapo erschossen; er hatte zwei Deserteure versteckt. Nach der Ermordung Spechts war dessen Ehefrau Badana Specht nicht mehr sicher, weil sie Jüdin war. Ihr Sohn Eberhard war als "Halbjude" im November 1944 zur Zwangsarbeit auf dem Flughafen Zerbst und in einem Nebenlager des KZ Buchenwald verpflichtet worden und befand sich seit Februar 1945 auf der Flucht. Ohne den Schutz der privilegierten Ehe mit einem "arischen" Mann drohte Badana Specht noch in den letzten Kriegstagen der Tod. Deswegen täuschte sie einen Selbstmord vor und versteckte sich. Erst als am 27. April 1945 die Rote Armee in Dolgenbrodt einmarschierte, kehrten beide zurück.

Als es dann zu den Enteignungen der Großgrundbesitzer kam, enteigneten dieselben, die sich in den letzten Kriegstagen noch an der beweglichen Habe der Spechts bereichert hatten, als "Gemeinde-Kommission für Bodenreform" die Spechts ein zweites Mal. Trotz aller Interventionen höherer Stellen und trotz der Proteste von Familie Specht feierte am 1. Dezember 1945 das ganze Dorf, daß sich der Krieg doch noch gelohnt hatte. Selbstverständlich hatte man da schon vergessen, daß man in der NSDAP oder einer anderen Nazi-Organisation gewesen war, und vor allem, daß die Spechts die einzigen Dolgenbrodter waren, die Widerstand geleistet hatten.

Eberhard Specht, der nach S‹o Paulo emigriert war, nachdem seine Mutter im Sommer 1946 Selbstmord begangen hatte - sie war an der unheimlichen Dolgenbrodter Kontinuität verzweifelt -, stellte im September 1990 einen Rückübereignungsantrag, der bis heute verzögert wird. Zum Beispiel wird bestritten, der heute 81jährige Specht sei Nazi-Verfolgter gewesen. Außerdem seien die Grundstücke ja verkauft worden.

Nachdem die Dolgenbrodter und ihre Komplizen zunächst mühsam eine Mauer des Schweigens um eine Tat errichtet hatten, derer sich andernorts die Leute brüsten dürfen, ohne auch nur eine Geldstrafe fürchten zu müssen, sahen sie sich auf einmal einer Justiz gegenüber, die durch eine internationale Öffentlichkeit gedrängt wurde, ihr Desinteresse an einer Aufklärung durch vordergründige Aktivität wettzumachen.

So ist im nun beginnenden Prozeß gegen Thomas Oste, der dem Brandstifter das von den Honoratioren des Dorfes gestiftete Geld übergeben haben soll, Gerd G., einen der Hetzer aus dem damaligen Gemeinderat, Jürgen Sch., der zusammen mit seinem Sohn Marco die Brandsätze gebaut haben soll, sowie die zwei Nazis, die an der Brandstiftung unmittelbar beteiligt waren, der Hauptbelastungszeuge niemand anderes als Jakowski selbst. Staatsanwältin Marx hatte ihn nach seiner Verurteilung als Zeugen vorgeladen, weshalb er selbst mit Beugehaft und einer Anklage rechnen mußte. Jakowski, der es mittlerweile zum kleinen Bauunternehmer gebracht hat - mit Aufträgen aus Dolgenbrodt, versteht sich -, fürchtete, doch noch die Reststrafe absitzen zu müssen und packte Ende 1996 aus.

Die Einzeltäter waren gefunden, der Täterkreis sei "eng und klein" gewesen, ließ Marx verlauten und plädierte damit für einen Freispruch für Dolgenbrodt. Der Nazi Pierre S. (Name gekürzt 02.07.2008), der als Jakowskis Chauffeur fungiert hatte und ebenfalls wegen Meineid angeklagt und verurteilt wurde, sagte im Sommer 1997 vor Gericht, "halb Königs Wusterhausen" habe von der Sache gewußt: "Ich hatte Angst vor der Verantwortung, so viele Leute hinter Gitter zu bringen." Durch Einschränkung des Täterkreises auf die unmittelbar Beteiligten, die Ende Januar 1997 festgenommen wurden und zum Teil erst einige Wochen später gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt wurden, wird aus der Verschwörung der Honoratioren von Dolgenbrodt ein justitiabler Fall. Eberhard Specht, der in Brasilien auf eine Entscheidung über die Rückgabe wartet, kommentiert die Angelegenheit so schlicht wie einleuchtend: "In Dolgenbrodt hat sich nichts geändert." Der Prozeß, so ließe sich hinzufügen, wird auch nichts ändern.