Die!Claims!abstecken!

Die Innen!Stadt!Aktion! - eine erfolgreiche Kampagne für die Zivilgesellschaft. Oder ein praktischer Ansatz für eine neue linke Theoriedebatte? Ein Gespräch mit Stefan Berger und Bernd Jaeger von der Berliner Vorbereitungsgruppe

Wie ist die Resonanz auf eure Innenstadtaktionen ausgefallen? Seht ihr sie als Erfolg an?

Bernd Jaeger: Die Frage ist natürlich zunächst, was der Maßstab für Erfolg ist: die Menge der Aktivierten, oder die Art, wie sich die Aktionen medial niederschlagen? Das ist schwierig zu beurteilen. Es waren zwar nicht allzu viele Leute dabei, aber bei den meisten Aktionen wäre das auch gar nicht sinnvoll gewesen. Wir wollten mit den Innenstadtaktionen vor allem erreichen, daß verschiedene Themen im Wissenschaftsbetrieb wie auch im kulturlinken sowie im linken Spektrum lanciert werden können.

Damit wird das Schwergewicht auf die symbolische Aktion, auf eine Vermittlung in andere Bereiche gelegt - und nicht auf einen direkten Eingriff. Das kann ja eigentlich nicht die Intention einer radikalen Politik oder Anti-Politik sein.

Jaeger: Gegen die aktuelle Form von Imagepolitik - Sicherheit als Dienstleistung - müssen wir auch auf der symbolischen Ebene vorgehen. Das andere ist eine Frage von Kräfteverhältnissen. Die Innenstadtaktion ist auch eine Reaktion auf die Zersplitterung der verschiedenen Gruppierungen, sie ist keine Ein-Punkt-Geschichte wie beispielsweise die Stoppt-Castor-Bewegung. Und dadurch wird es natürlich schwerer, ganz konkrete, nicht-symbolische Aktionen zu entwickeln.

Stefan Berger: Uns ist es zunächst wichtig, einen Diskurs zu etablieren. Auch in der linken Szene sind die Zusammenhänge zwischen einem aggressiven Neoliberalismus, der Politik der Inneren Sicherheit bzw. Ausgrenzung und der Stadtentwicklung häufig unterbelichtet. Es werden immer nur Einzelpunkte angegriffen, wie z.B. Schönbohm mit seiner Ausgrenzungspolitik. Kaum gesehen wird hingegen, daß es sich um ein Politikmodell handelt, das die gesamten Gesellschaft umfaßt. Dafür ist es notwendig, unseren Diskurs zu etablieren, bevor eine breitere Mobilisierung möglich ist.

Aber ist das, was als Stärke formuliert wird, nicht zugleich eine Schwäche: daß der eigentliche Charakter gar nicht mehr zu erkennen ist und die Aktionen als eine Art kultureller Event unter vielen anderen funktionieren, dessen Effekte ganz einfach und pluralistisch verpuffen.

Berger: Das ist natürlich die Gefahr. Deshalb haben wir auch versucht, bei den Aktionen immer Informationen zu verbreiten - über Flyer, Redebeiträge usw. Das heißt, es war immer eine Mischung aus Happening und der Vermittlung politischer Inhalte.

Was haben dann die Inhalte ausgemacht? Die Besetzung des öffentlichen Raumes impliziert doch letzten Endes die Rettung der bürgerlichen Liberalität und den Rekurs auf die staatsbürgerlichen Rechte als übergreifendes Moment.

Berger: Diese Kritik wurde oft an uns herangetragen, sie beruht aber zumindest zum Teil auf Mißverständnissen. Wir benutzen den Begriff "öffentlicher Raum" nicht. Der Ansatzpunkt ist eben nicht: Bewahrung des öffentlichen Raums vor der Privatisierung. Wir denken, daß sich in den Innenstädten verschiedene gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse überlagern und unterschiedliche Gruppen unterschiedlich davon betroffen sind. Z.B. die MigrantInnen haben gar keine Staatsbürgerrechte.

Dennoch bleibt die Frage: Wenn es so verschiedene Gruppen wie Migranten, Obdachlose, Mieter etc. angesprochen sind, was ist dann als Gemeinsames zu benennen? Das kann doch im Grunde nur eine Form abstrakter Gleichheit sein, die auf den reichlich strapazierten Begriff der Zivilgesellschaft hinausläuft.

Berger: Die amerikanische Feministin Iris Marion Young hat den Begriff "oppressive city" geprägt, und dagegen soll sich der Kampf richten: Formierung der Eingegrenzten, Rausschmiß der Ausgegrenzten, Machtlosigkeit durch Verweigerung von Staatsbürgerrechten, Etablierung des dominanten bürgerlichen Lebensmodells, Diskriminierung der davon Abweichenden usw. Das stellt die Klammer dar, und diese Prozesse äußern und verdichten sich zur Zeit besonders stark in den innerstädtischen Räumen.

Aber das charakterisiert doch genau das Projekt der "Zivilgesellschaft" - aus verschiedenen NGOs und den "Betroffenen" wird ein politisch diffus definiertes Projekt zusammengezimmert.

Jaeger: So diffus ist es nun wieder nicht. Es sind natürlich unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Einzelinteressen, die sich in einem Projekt - die Folgen der politischen und sozialen Umstrukturierung anzugreifen - zusammenfinden. Die Ausformulierung durch die jeweiligen Gruppen ist ein anderer Schritt. Und man kann auch nicht alle an den Innenstadtaktionen beteiligten Gruppen als NGOs begreifen.

Berger: Die Prozesse, die wir angreifen, sind ohne die Veränderungen in der Ökonomie, ohne den veränderten Kapitalismus gar nicht denkbar. Von daher ist das auf jeden Fall ein anti-kapitalistischer Widerstand, der sich an einem bestimmten Fokus aufzieht: der Überlagerung aus aggressivem Neoliberalismus, einer Politik, die als zentrales Dispositiv nur noch die Innere Sicherheit hat, letztlich also versucht, eine neue moralische Ordnung aufzubauen - mit neuen Konformitätsstandards. Das ist eine neue gesellschaftliche Struktur, die zentral mit der Umstrukturierung der Ökonomie verknüpft ist. Die wird gerade in den neuen städtischen Räumen so sichtbar, daß sie auch angreifbar wird. Das ist meiner Ansicht nach der Vorteil unserer Herangehensweise: Wir gehen von etwas konkret Erfahrbarem aus und können dann das Abstrakte des Prozesses sozusagen hinterherliefern.

Durch die Umstrukturierung der Räume wird aber auch ein gewisses Sicherheitsbedürfnis erfüllt - das von ordentlichen Staatsbürgern.

Jaeger: Dieses Bedürfnis wird zuerst einmal produziert - so weit, daß jetzt z.B. die Bahn in ihrer 3-S-Broschüre Service-Sicherheit-Sauberkeit selber ausdrückt: Na, so unsicher sind die Bahnhöfe ja gar nicht, aber sie werden als unsicher empfunden, und deshalb geben wir Ihnen mehr Sicherheit. Was aber offensichtlich eher dazu dient, Nicht-Kunden rauszutreiben.

Man könnte diese Politik doch auch als eine Verschiebung begreifen. Die generalisierte Unsicherheit - beispielsweise in den prekären Arbeitsverhältnissen - wird auf den städtischen Raum projiziert, wo das Sicherheitsbedürfnis scheinbar erfüllt wird.

Jaeger: Das sowieso. Es wird aber auch zur "Säuberung" des städtischen Raums instrumentalisiert. Interessant war bei den Aktionen jedenfalls folgendes: Einerseits gehen wir davon aus, daß die Mehrheit der Bevölkerung diesen Sicherheitsdiskurs stützt oder zumindest nicht dagegen rebelliert. Das zeigt sich auch daran, daß inzwischen mit permanenter Überwachung geworben werden kann - eine deutliche Verschiebung gegenüber den achtziger Jahren. Andererseits hat sich bei den aktuellen Aktionen gezeigt, daß dieses Law-and-Order-Denken bei den Leuten noch nicht verfestigt ist. Ich jedenfalls habe den Eindruck, daß sich zunehmend eine Art diffuses Unwohlsein gegenüber dem Inneren-Sicherheits-Wahn breitmacht, das aber noch nicht wirklich formuliert ist.

Rennt ihr damit nicht offene Türen ein? Ich denke zum Beispiel an die Polemik im Tagesspiegel gegen das Zero-Tolerance-Konzept: Es sei ineffektiv, nur eine PR-Kampagne der Polizei etc.

Berger: Da ist es für uns zentral, den Zusammenhang zu den ökonomischen Veränderungen herzustellen. Es ist eben nicht irgendein durchgeknallter Innensenator, der ein New York-Modell pusht, sondern ein politisches Modell wird im Moment dominant.

Jaeger: Die zweite Ebene ist die mediale und symbolische Politik, die von oben betrieben wird - von den Kampagnen gegen die zigarettenverkaufenden VietnamesInnen bis zu den Video- und Imagekampagnen der Bahn. Eine solche Form der Imagepolitik ist dabei zentral, und durch die Produktion entsprechender Bilder wird Angst zumindest verstärkt. Wir gehen davon aus, daß wir einerseits auf der theoretischen Ebene dem etwas entgegensetzen müssen, aber auch, indem wir die Bilder umdrehen und für unsere Inhalte nutzen - was die klassische Linke etwas abschätzig als Symbol- oder Bildpolitik abklassifiziert.

Es ist doch aber kein Wunder, daß die Leute, die sich an diesem modernisierten Kapitalismusmodell eine goldene Nase verdienen, Angst bekommen, daß ihnen die ausgegrenzten Massen bei der nächstbesten Gelegenheit aufs Dach steigen. Es ist kein Wunder, daß sie dann Sicherheitsdienste anheuern, ihre Villen in Festungen verwandeln. Das ist ein materieller Prozeß, der ideologisch unterfüttert wird - von den sogenannten Sicherheitsexperten.

Jaeger: Klar werden diese Leute nicht grundlos paranoid. Vielmehr ist dieser Ausbau der "Inneren Sicherheit" erforderlich, um die gesellschaftliche Spaltung abzusichern. Deswegen betonen wir immer den Zusammenhang dieser Momente.

Es gibt doch auch eine andere Form der Aneignung des öffentlichen Raumes, die bei den Aktionen gar nicht auftauchte. Das alte linksradikale Motto aus Italien "Nehmen wir uns die Stadt" wird von den rechtsradikalen Gangs sehr wörtlich genommen. In diesem Falle wäre eine "Ausgrenzung" doch angebracht.

Jaeger: Das haben wir zumindest andiskutiert. Die anfänglich geplante Parole: "Die Stadt gehört allen" wurde deswegen von uns abgewandelt in: "Berlin - laut, billig, international", was mir sowieso besser gefällt.

Die Frage ist aber auch: Welche Art von Sicherheitsverständnis setzt sich durch? Momentan soll Sicherheit durch repressive Ausgrenzung geschaffen werden, Ausgrenzung der Gruppen, die aus dem neoliberal-kapitalistischen Modell rausfallen und weggedrängt und ausgegrenzt werden. Problematisch ist momentan, daß überhaupt nicht mehr diskutiert wird - und das gilt auch für das linksalternative Spektrum -, auf Kosten welcher Leute diese Art von Sicherheit denn geht.

Im linksalternativen Spektrum hat man doch schon sehr genau das eigene Sicherheitsbedürfnis artikuliert: Als die alternative Mittelschicht am Prenzlauer Berg gesagt hat: 1. Mai-Demo gut und schön, aber nicht durch unsern Kiez.

Jaeger: Oder wenn die Grünen Präventionsräte einführen wollen, um gemeinsam mit der Polizei Krisenverwaltung zu spielen. An diesem Punkt stecken unsere Diskussion aber noch in den Anfängen.

Es zeigt sich doch damit, daß die klassische Koalition - Ausgegrenzte und linksalternatives Spektrum gegen die Profiteure des Umbaus der Gesellschaft - aufgesprengt ist, wenn die linksalternative Klientel plötzlich zum Akteur dieses Sicherheitsdiskurses wird.

Berger: Ich denke, daß dann neue, nicht unbedingt bürgerliche Akteure entstehen, die sich zum Teil auch gegen diese alternativen Sicherheitsdiskurse wehren - wie im Hamburger Schanzenviertel die AfrikanerInnen.

Wenn die Zerfallsprozesse in der Gesellschaft schon soweit fortgeschritten sind, daß sich die sogenannte gesellschaftliche Elite zu Gangs mit bewaffneten Armen - Sicherheitsdienste sowie dem angeknabberten staatlichen Gewaltmonopol - werden, und unten in der Gesellschaft ähnliches quasi selbstorganisiert stattfindet; wenn dann gleichzeitig jeder Gedanke an eine gesellschaftliche Alternative fehlt: Bleibt dann etwas anderes, als in der gegenwärtigen Gesellschaft mehr oder weniger gewaltsam die eigenen Claims abzustecken, was den ganzen Katastrophenprozeß noch beschleunigt?

Jaeger: Ja, aber - stecken wir Claims ab?

.. vielleicht bei eurer Aktion im Grunewald, die gleich stattfinden soll ...

Berger: ... höchstens gegen die Claims der anderen.