Das kleine Wunder bleibt klein

Helmut Pohl wurde begnadigt. Die Aussichten auf vorzeitige Entlassung für andere angebliche "RAF-Hardliner" werden schlechter

Früher war er gefürchtet und gehaßt: Helmut Pohl. Dem Verfassungsschutz und seinen treuen Medien galt er, neben Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, als einer der "Köpfe der RAF", ein "Hardliner erster Güte". Ein Bild, das ein 1993 in der taz veröffentlichter Text zu bestätigen schien, in dem Pohl - enttäuscht darüber, daß die von ihm unterstützte Aufgabe des bewaffneten Kampfes durch die RAF keine Entwicklung in Gang gesetzt hatte - formulierte: "Ich mache diese Aussagen, die ich in den letzten Jahren gemacht habe, heute nicht mehr. Und die Möglichkeiten, die in der Zäsur gesteckt haben, dürften vorbei sein. Und deswegen werde ich einen Teufel tun und den bewaffneten Kampf absagen." Jetzt ist Helmut Pohl entlassen worden, begnadigt durch den Bundespräsidenten, und kaum eine Zeitung hat versäumt, darauf hinzuweisen, daß der Begnadigte sich schon frühzeitig von der RAF "losgesagt" habe.

Das kleine Wunder, wie der "Hardliner" zum "Softie" wurde, ist um so bemerkenswerter, als Helmut Pohl seine Position in den Jahren 1990 bis 1998 wohl wenig verändert haben dürfte. Sowohl der unerbittliche, zu keiner Selbstkritik bereite "Terrorist", als auch der "reuige" Bekehrte sind fiktive Gestalten, wie die Medien sie für ihre Berichterstattung brauchen. Die "Lossagung" von der RAF haben die Medien in dem Interview mit Pohl, das 1996 von mir für konkret geführt wurde, aus folgender Kritik an der RAF gelesen: "Aber diese Papiere der RAF (nach 1992; O.T.) und was als 'Selbstkritik' lief, das war doch keine wirkliche Kritik. Das war die 80er Jahre umbiegen oder einmal durch die Waschanlage und die Kiste umspritzen. Die sogenannte 'neue Politik' der RAF hatte nur versucht, eine Variante 'revolutionärer' Politik im alten Grundschema zu machen, die Reproduktion desselben, aber sozusagen diesmal ganz richtig. Und so eine Abwandlung des alten Grundkonzepts reicht nicht hin. In diesem Zusammenhang: Ich finde es auch nötig, daß die Illegalen ihre Auflösung als RAF erklären. Das wollen auch andere Gefangene ausdrücklich, daß es hier gesagt wird. Und dann muß man sehen, was sich entwickelt. (...) Wenn man sich das heute anschaut, dann muß man sagen: Statt einer Transformierung der RAF und der notwendigen politischen Entscheidung in der Gefangenenfrage für alle Gefangenen, ist eine Spaltung gekommen, die über die Reduzierung auf einige wenige Gefangene und die entsprechende 'Hardliner'-Propaganda das zu dieser Zeit aktuelle Gefangenenproblem 'erledigt', und es den Staatsapparaten ermöglicht hat, an uns übriggebliebenen Gefangenen doch noch zu versuchen, was sie 20 Jahre lang mit allen Gefangenen vorhatten."

Gleichzeitig mit konkret hatte damals der Spiegel beantragt, ein Interview mit einem anderen angeblichen "Hardliner", Christian Klar, führen zu dürfen, und die Zeit wollte mit Brigitte Mohnhaupt reden. Klar und Mohnhaupt mußten schweigen - denn sie sitzen in Bayern und Baden-Württemberg und dürfen keine Interviews geben. Pohl, der in Hessen einsaß, bekam immerhin diese kleine Chance. "Hardliner" bleibt, wer durch einen bösen Zufall in einem CDU/CSU-regierten Bundesland in Haft ist.

Helmut Pohl, inzwischen schwerkrank, ist nun draußen. Daß ihn eine Begnadigung nach draußen gebracht hat, ist bitter, ein letzter Triumph des starken Staates über die Staatsfeinde Nr. eins. Die Aussichten für die, die "Hardliner" bleiben müssen, werden so immer schlechter: Sie müssen mindestens 24 Jahre oder sogar 26 Jahre einsitzen.

Es sei denn, es geschieht ein weiteres, diesmal nicht ganz so kleines Wunder: Es formiert sich aus alten und neuen Linken, Alt-68ern und BürgerrechtlerInnen eine Initiative, die sich wirkungsvoll für eine Freilassung der RAF-Gefangenen und für freies Geleit der Mitglieder der aufgelösten RAF einsetzt. Anlaß und Gründe gäbe es dafür genug - die Entlassung der meisten RAF-Mitglieder wäre überdies sogar nach einer ganz schlichten Anwendung geltender Gesetze möglich.