Frostige Atmosphäre

Schröder in Israel, Netanjahu in Deutschland - Szenen einer gestörten Beziehung

Anläßlich der jüngsten Besuchsdiplomatie zwischen Bonn und Jerusalem mag sich mancher an bessere Zeiten der deutsch-israelischen Beziehungen erinnern: "Wir Deutschen nehmen an Israel vor allem Anteil, weil uns das Schicksal Ihres Staates und Volkes zutiefst betrifft", hatte Richard von Weizsäcker bei der ersten Visite eines Bundespräsidenten in Israel 1985 gesagt. Und: "Wir Deutschen haben ein tiefes Verständnis für Israels Verlangen nach endgültiger Sicherheit."

Ob Netanjahu in den letzten Wochen von "Anteilnahme" und "tiefem Verständnis" für Israel auch bei Bundeskanzler Kohl und seinem Herausforderer Gerhard Schröder etwas gespürt hat? Schröder benutzte seinen Israel-Besuch Ende März nicht nur, um den deutschen Grünen die Leviten zu lesen, wie es der Spiegel nahelegte. Die Hamburger Meinungsmacher unterschlugen den "outburst" (Jerusalem Post), mit dem der Sozialdemokrat Israel die Schuld am Stillstand des Friedensprozesses gab. Schröders Rechtfertigung: "Deutsche haben das Recht, Israel zu kritisieren, ohne als anti-israelisch bezeichnet zu werden."

Auch drei Wochen zuvor, bei Netanjahus Staatsbesuch in Deutschland, war das Klima kühl. Das offizielle Kommuniqué faßt zusammen: "Deutschland betrachtet die besonderen Beziehungen zu Israel als gesichert und wird sich finanziell an der Unterstützung der palästinensischen Gebiete durch die Europäische Union beteiligen." Treueschwüre an die Adresse Israels, Geld für die Palästinenser? Das erinnert an den umtriebigen Ehegatten, der seine Spielgefährtin mit Geschenken beglückt und seine Frau kurz hält - und die Verstörte dann mit dem Hinweis tröstet, gerade seine Zugeknöpftheit sei ein Beweis ihrer "besonderen Beziehungen", seiner unverbrüchlichen Liebe.

Trotz der regen Besuchsdiplomatie - Schröders Israel-Visite war seine erste Auslandsreise als Bundesratspräsident, der Besuch Netanjahus bei Kohl war bereits der zweite innerhalb von drei Monaten - bleibt die öffentliche Meinung in Deutschland ablehnend. Je aufgeregter sich die hiesigen Medien an den Pannen des Mossad ergötzen und in den Untiefen von "Bibi-Gate" waten, desto auffälliger schweigen sie über das "Iran-Gate" des BND und die Verstrickung der CDU in die Schmiergeld-Connection von Elf-Aquitaine. Und passend zum 50. Jubiläum des israelischen Staates wird extensiv über jüdische Extremisten und Fundamentalisten berichtet - die Kibbuzim jedoch, die immerhin die Geschichte des Jubilars viel nachhaltiger geprägt haben und weiterhin prägen, werden ignoriert. "Der Staat Israel ist ein Vorbild für alle Völker", sagte Adenauer auf seiner Reise durch den jüdischen Staat im Jahre 1966. "Ich hatte vorgehabt, ein Tagebuch zu führen, was aber nutzlos wäre, denn meine Eindrücke sind so nachhaltig, daß ich sie immer im Gedächtnis behalten werde." Vieles in Israel mag heute anders sein, manches schlechter - aber daß Adenauers Begeisterung so vollständig durch Kohls Kühle und Schröders Chuzpe ersetzt ist, verwundert dann doch. Last not least: Haben die beiden Wahlkämpfer registriert, daß der angeblich so starrköpfige Netanjahu angeboten hat, die Sicherheitszone im Südlibanon aufzugeben?

"Lamers mahnt Israel" - so faßte die FAZ einen Tag vor Netanjahus Ankunft zusammen, was der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Gast zu sagen hatte. Insbesondere beschwerte sich Lamers, daß "eine Mitwirkung der Europäischen Union" am Nahost-Friedensprozeß "von Israel immer wieder brüsk zurückgewiesen worden war". Nun wird man sich über Netanjahus Anteil an der Blockade des Oslo-Fahrplanes lange streiten können - daß aber ausgerechnet die EU, die unter Führung Bonns den Frieden auf dem Balkan so glänzend gesichert hat, in Nahost den Karren aus dem Dreck ziehen könnte, darf bezweifelt werden. Kein Mensch hindert die Bundesregierung übrigens daran, sich durch die Isolierung des Hisbollah-Sponsors Iran zu exponieren und dadurch mehr Einfluß in der Region zu gewinnen.

Welche Rolle Weizsäckers "tiefes Verständnis für Israels Verlangen nach endgültiger Sicherheit" aus dem Jahre 1985 heute in Bonn noch spielt, zeigt eine weitere Bemerkung von Lamers: "Wie sich Israels Politik auf die gesamte Region auswirke, sei während der Irak-Krise deutlich geworden, als auch die gemäßigten Araber die Haltung des Westens als einseitig kritisierten, solange nicht auf Israel der gleiche Druck ausgeübt werde", zitiert die FAZ den Unionisten. Also "der gleiche Druck" auf Israel wie auf den Irak? Schon einmal hatte ein deutscher Politiker "selbst schuld" gehöhnt, als die Israelis über die Feindschaft arabischer Kreise klagten. Das war im Jahre 1991 der damalige Grünen-Sprecher Christian Ströbele gewesen - er hatte die Kriegsdrohungen Saddams als "die logische Folge der Politik Israels" bezeichnet. Ströbele allerdings, das ist der Unterschied, mußte danach zurücktreten.

Doch es geht nicht nur um Worte, es geht auch um Taten. So wurde Israel im Frühjahr 1996 von der Liste jener Länder gestrichen, die von Deutschland Entwicklungshilfe bekommen. Im November 1997 stimmte die Bundesrepublik erstmals einer UN-Entschließung gegen die israelische Siedlungspolitik zu. Am aufschlußreichsten ist vielleicht die Weigerung der Bundesregierung, die sogenannten Wiedergutmachungszahlungen an Israel zu leisten, die nach dem Beitritt der DDR fällig gewesen wären. 40 Jahre lang hatte Bonn - zu Recht! - kritisiert, daß die DDR sich nicht an den Reparationen für Israel beteiligte. Nachdem sich aber die letzte Ostberliner Regierung endlich zu dieser Verpflichtung bekannt hatte, wollte man nichts mehr davon wissen. Die Bundesrepublik übernahm die DDR, nicht aber deren Schulden gegenüber dem jüdischen Staat.

Wie dieses Beispiel zeigt, liegt der Hauptgrund für die Abkühlung des deutsch-israelischen Verhältnisses nicht im Nahen Osten, sondern in Europa. Die Wiedervereinigung und das Ende des Kalten Krieges haben die Bindung der Bundesrepublik an die USA gelockert - und damit auch die Bindung an Israel. "Das neue Deutschland bedarf der Vereinigten Staaten nicht mehr - und auch nicht jener jüdischen Instanz, die mit Rücksicht auf US-amerikanische Stimmungen gepflegt wurde", analysierte Dan Diner bereits 1991.

Ohne die politischen Bindungen des Atlantismus entwickeln die wirtschaftlichen Interessen ihr Eigenleben: Die deutschen Exportindustrien, insbesondere der Maschinenbau und die Großchemie, brauchen den arabischen Absatzraum und wollen deshalb die amerikanischen Sanktionen gegenüber Iran, Irak und Libyen nicht länger mittragen. In ihrem Auftrag reiste der FDP-Schattenaußenminister Jürgen Möllemann auf dem Höhepunkt der Irak-Krise Mitte Februar nach Teheran. Zurückgekehrt, griff er auf einer Sitzung des FDP-Vorstandes die USA wegen ihres angeblichen Kriegskurses an und beschuldigte sie, auch eine Attacke gegen Iran vorzubereiten. Die Absurdität blieb im Raum stehen, Möllemann wurde nicht zur Ordnung gerufen. Der Gerechtigkeit halber sei daran erinnert: Die FDP steht das Wasser bis zum Hals, Möllemann ist für manche Stimme gut. Und ob sich einer für Israel oder für den Iran in die Bresche wirft, ist vermutlich am Wahltag ganz egal.