Stuttgart macht Putz

Ein städtischer Förderverein organisiert eine kollektive Kehrwoche - und Innenminister Kanther sorgt mit der "Aktion Sicherheitsnetz" für eine saubere Fußgängerzone

Die große Party steigt am 28. März. Bis dann nämlich soll Stuttgart sauber sein. Ultimativ. Zumindest für einen Tag sollen keine zerknüllten Zigarettenschachteln mehr die Fußgängerzone verunstalten und keine leeren Bierdosen neben überfüllten Mülleimern für Aufregung sorgen. Denn vom 23. bis zum 28. des Monats will der Förderverein Sicheres und Sauberes Stuttgart dem Dreck in der Schwabenmetropole den Kampf ansagen. Zum Abschluß darf dann auf dem Marktplatz gefeiert werden.

"Let's Putz" nennt der von Oberbürgermeister Wolfgang Schuster ins Leben gerufene Verein die 250 000 Mark teure kollektive Putzorgie, mit der man "mit vielen Firmen, Vereinen, Verbänden, Gruppen, Behörden, aber auch Einzelpersonen die Landeshauptstadt noch schöner machen" will. Tausende sollen demnach ausschwärmen, um die Straßen und Plätze in ihren Stadtteilen auf Vordermann zu bringen. Ein verfrühter Aprilscherz? Im Gegenteil: Gar zu einem Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde will es der Förderverein mit seiner "großen Kehrwoche" bringen, wie Eric Schendelarz von der eigens eingerichteten Hotline Let's Putz informiert.

"Besen und Säcke stellt die Stadt Stuttgart." Doch die Aktion in der als sauberste Stadt Deutschlands bekannten Metropole scheint weniger, wie man vermuten könnte, dem schwäbischen Reinlichkeitsgebot geschuldet. Schließlich ist Sauberkeit "der kleine Zwilling der Sicherheit", wie Bürgermeister Schuster weiß. Folglich kümmert sich der Verein nicht nur um blitzblanke Fußgängerzonen und ordentlich gekehrte Bürgersteige. "Wir wollen ein vielfältiges Netzwerk zu bürgerschaftlichem Engagement schaffen", erläutert Schuster. Schon jetzt gebe es eine neue Qualität der Sicherheitspartnerschaft zwischen Polizei und Stadt.

Wie diese neue Vertrautheit aussieht, konkretisierte Brigitte Haußmann-Rudolf, die Geschäftsführerin des Fördervereins, im Gespräch mit der Jungle World: "Wir sind auch im Rahmen der kommunalen Kriminalprävention tätig." Angelehnt an US-amerikanische Konzepte, mit denen man gesetzeswidrige Handlungen im Vorfeld bekämpfen will, wurden im vergangenen Jahr in allen 23 Stuttgarter Stadtteilen sogenannte Sicherheitsbeiräte geschaffen. Dort treffen sich Vertreter und Vertreterinnen von Schulen, Vereinen, Kirchen sowie interessierte Bürger und Bürgerinnen und - last not least - Beamte der Schutz- und Kriminalpolizei, um gemeinsam ihre Probleme mit der alltäglichen Unsicherheit auf Stuttgarts Straßen zu erörtern. Um hier, jenseits von bürokratisch aufwendigen Maßnahmen, schnell und unkonventionell zur Tat schreiten zu können, steht der Förderverein zur Verfügung.

Man unterstütze beispielsweise auch die Obdachlosenzeitung Trottoir, berichtet Haußmann-Rudolf. Und, weil eben Sicherheit und Sauberkeit nicht voneinander zu trennen sind, auch die Aktion Let's Putz. Mit dem vergangenen Woche in Stuttgart gestarteten Modellversuch "Aktion Sicherheitsnetz" allerdings will sie die große Kehrwoche und die weiteren Aktivitäten ihres Vereins nicht in Verbindung bringen. Explizit legt sie großen Wert darauf, daß die große Reinemache nichts mit jenem Sauberkeitsbegriff deutscher Ordnungspolitiker zu tun habe, die leicht "Müll" in den Zusammenhang mit Menschen bringen. Auch im Polizeipräsidium geht man auf Abstand. Behördensprecher Hermann Karpf: "Man kann nicht alles in einen Sack schütten, den dann zubinden und draufschlagen."

Dennoch: Die Betonung sauberer Innenstädte ebenso wie die Bürger-Einbindung gehören zu den zentralen Bestandteilen des "Zero Tolerance"-Programmes des ehemaligen New Yorker Polizeipräsidenten William Bratton, an das die Aktion Sicherheitsnetz angelehnt ist.

Bereits im Oktober machten sich die Innenminister der unionsregierten Länder entsprechend für die Nutzung der "amerikanischen Erfahrungen des Community Policing" stark. Demnach soll "engste Verzahnung von polizeilicher und kommunaler Arbeit" und "bürgernahe Polizeiarbeit durch ständigen Bürgerkontakt" für die notwendige Prävention sorgen. Die öffentliche Ordnung müsse gegen "Alkoholismus-Szenen, Pennertum, aggressives Betteln, Unsauberkeit, Lärm" verteidigt werden, um "Milieus der Unordnung" zu vermeiden.

Folgerichtig zeigte die Stuttgarter Polizei beim Start des Modellversuches, was in Sicherheitskreisen gemeint ist, wenn von "Dreck" und "Sauberkeit" die Rede ist. Während Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU), dessen baden-württembergischer Länderkollege Thomas Schäuble (CDU) sowie Oberbürgermeister Schuster sogenannte einschlägige

U- Bahnhöfe abschritten, mußten sich zahlreiche vermeintliche Drogenkonsumenten und -konsumentinnen öffentlich einer Leibesvisitation unterziehen.

Hatten Junkies, Schwarze oder Obdachlose schon bisher in Stuttgarts Innenstadt wenig zu lachen, so werden sie sich wohl künftig dort kaum mehr bewegen können: Sechzig Beamte des Bundesgrenzschutzes sollen im Rahmen des Modellversuches ab sofort gemeinsam mit ihren Kollegen von der örtlichen Polizei zwischen Hauptbahnhof und Rotebühlplatz - einer Fläche von knapp zwei Quadratkilometern - eingesetzt werden. Innenminister Schäuble hat gleich noch sechzig Polizisten dazu versprochen. Polizeisprecher Hermann Karpf ist zufrieden: "Unsere Beamten haben jetzt einen größeren Spielraum. Sie müssen nicht nur in der City bleiben, sondern können ihre Einsätze auf die Stadtteile ausweiten." Dennoch blickt man selbst in seiner Behörde mit einer gewissen Skepsis auf das "Sicherheitsnetz". So begrüßt der Polizeipräsident Volker Haas die Aktion zwar "ohne Wenn und Aber", den Kollegen des Bundesgrenzschutzes müsse aber noch die Stuttgarter Linie erklärt werden. Und die zeichne sich dadurch aus, daß auch die Polizei ihr Handeln gegenüber dem Bürger zu legitimieren habe, offenbart Haas sein Mißtrauen gegenüber den Grenzschützern.

Daß nun ausgerechnet die baden-württembergische Hauptstadt in den Genuß kommt, nach Berlin zur zweiten Modellstadt für die Aktion Sicherheitsnetz zu avancieren, hat wenig mit der tatsächlichen Verbrechensentwicklung in Stuttgart zu tun - in der Kriminalitäts-Hitliste deutscher Großstädte steht die Schwabenmetropole nur auf Platz 28. Ausgangspunkt war vielmehr, wie Karpf erläutert, daß "hier die Vernetzung verschiedener Behörden, die mit der inneren Sicherheit zu tun haben, bereits weiter vorangeschritten ist als in anderen Großstädten". Schon heute arbeiten kommunale Institutionen wie Ordnungsamt, Sozialamt, Jugendamt, Ausländeramt sowie jene Sicherheitsbeiräte mit Polizei und Justiz in Stuttgart enger zusammen - wie es eben das Konzept der Community-Policing vorsieht. Probleme mit dem Datenschutz, so beruhigt Karpf, gebe es nicht.

Beim Förderverein Sicheres und Sauberes Stuttgart hat man derzeit andere Sorgen. Der Count-Down läuft. Nur noch wenige Tage bis zum Großputz. Einige Tausend Bürger und Bürgerinnen haben sich freiwillig gemeldet. Geschäftsführerin Haußmann-Rudolf ist zufrieden: "Mit einer solchen Begeisterung hätten wir nicht gerechnet." Nun müssen noch Besen, Plastiksäcke, Handschuhe und Vesper für alle organisiert werden. Die Stuttgarter Bank und der ihr nahestehende Haus- und Grundbesitzerverein haben schon mal einen 5 000-Mark-Scheck zur Unterstützung rübergeschoben. Schließlich, so Walter Schneider, der Vorstandsvorsitzende des Geldinstitutes, müßten Bürgersinn und Wir-Gefühl wieder stärker zu Bewußtsein gebracht werden.