Medien und Paralympics

No Sports

"Nicht nur Sport", so lautet eine der beliebtesten Aufforderungen, die sich Sportjournalisten anhören müssen. Sie sollen gefälligst nicht die Ereignisse, über die sie berichten, ernst nehmen, sondern etwas Nettes am Rande aufschreiben; man solle nicht auf Spitzenleistungen achten, sondern an die Verlierer denken, und man solle seine Aufmerksamkeit nicht nur zweibeinigen und zweiarmigen voll durchtrainierten Modellathleten widmen, sondern auch und möglichst häufig über Behindertensport berichten.

Zur Zeit finden im japanischen Nagano die Wintersport-Paralympics statt. 1 300 Behindertensportler aus 32 Ländern tragen ihre Wettkämpfe dort aus, wo wenige Wochen zu vor ihre nichtbehinderten Kollegen kämpften. Dieser Satz ist zwar wahr, stimmt aber hierzulande dennoch nicht.

Von 32 Ländern kann man in der hiesigen Berichterstattung 31 streichen. Das gilt auch für den durchaus willigen Journalisten, der sich vorgenommen hat, den Behindertensport genauso ernst zu nehmen, wie er auch sonst den Sport ernst nimmt. (Das darf der Sportjournalist natürlich nicht, hab' ich schon oben ausgeführt, tät' er aber gern, und wenn er schon die Fußballbundesliga nicht ernst nehmen darf, dann will er zumindest die Paralympics als sportliches Ereignis, das es zu analysieren gelte, wirklich ernst nehmen.)

Das eine Land, das übrig bleibt, ist Deutschland. Die Agenturmeldungen, die deutsche Redaktionen aus Nagano erreichen, sehen alle etwa so aus: Man erfährt, daß ein deutscher Athlet Dritter geworden ist, daß Deutschland nun in der Nationenwertung Platz zwei belegt und daß eine deutsche Athletin in den ersten zwei von vier Durchgängen auf Platz eins liegt, weswegen ihr deutscher Trainer damit rechnet, daß sie wohl auch gewinnen wird.

Im Behindertensport findet statt, was im übrigen Sport bislang nur als Tendenz erkennbar ist: Weltsport als nationales Ereignis. Wir kennen keine Olympiasieger mehr, wir kennen nur noch Deutsche.

Dem aufgeschlossenen Sportjournalisten bleibt nur eins: Nach Nagano fliegen und sich dann wundern, warum in der Heimat niemand die Beiträge haben möchte. Die Erklärung ist einfach: Der Sport wird nicht ernst genommen, sondern befriedigt reale oder vermeintliche Erwartungen des Publikums, das sich in Mitleid für einen einbeinigen Bobfahrer oder in Bewunderung für eine blinde Abfahrtsläuferin ergehen soll.

Die Ansprüche von Sportlern, die Bestleistung erzielen wollen, sich auf die Paralympics gezielt vorbereitet haben, die im entscheidenden Moment über sich hinaus wachsen oder denen in diesem Moment die Nerven versagen, zählen nichts.

Vom Sportjournalismus, der seinen Gegenstand ja nicht ernst nehmen darf, bleibt dann nur noch triefender Boulevardjournalismus übrig. Statt dessen wird das tiefe Bedürfnis herzensguter Menschen befriedigt, die "nicht nur Sport" lesen möchten.