Europas Zeitungen kommentieren Schröders Kanzlerkandidatur

Klonschaf Gerhard

Das linksliberale Algemeen Dagblad aus Rotterdam: "Ein Ende der Ära Kohl bedeutet hoffentlich nicht, daß Deutschland seine ausgesprochen proeuropäische Haltung aufgibt. Leider gibt es manchen Grund, um pessimistisch zu sein."

Das sozialdemokratische schwedische Aftonbladet: "Außenpolitisch würde sich mit einer SPD-Regierung wenig ändern. Nichts deutet darauf hin, daß Schröder die Europäische Währungsunion, der er zunächst skeptisch gegenüberstand, zu einem Wahlkampfthema machen will. Europa bleibt vorerst Kohls Domäne. Die Deutschen sind selbstbewußt und inzwischen auch schamlos die führende Macht in Europa. Mit Gerhard Schröder als Kanzler würde ein neuer Ton die Zusammenarbeit in der EU prägen. Auch hier ein bißchen mehr Pragmatismus und Wille zur Zusammenarbeit."

Die linksliberale Repubblica aus Rom: " Die Ära Kohl ist wirklich beendet. Der Untergang des Kanzlers ist keine Überraschung. Zumindest nicht für denjenigen, der sich daran erinnert, daß sich sein Stern schon Ende der achtziger Jahre verfinsterte. Es war seine meisterhafte Führung nach dem unvorhergesehenen Zusammenbruch des kommunistischen Deutschland - nicht mehr und nicht weniger -, die ihm den Erfolg gegen Lafontaine bei den Wahlen 1990 sicherte."

Le Monde, die unabhängige Tageszeitung aus Paris: "Helmut Kohls Vorteil ist, daß er die anderen Spitzenpolitiker der CDU, die ihn hätten überschatten können, einen nach dem anderen ins Abseits befördert hat. Seine Herrschaft über die Partei wird deshalb kaum in Frage gestellt."

Die linksliberale französische Libération: "Der Mann, der es wegen der Strenge und der Ausdauer seines Handelns am meisten verdient, mit der Einführung des Euro in Verbindung gebracht zu werden, könnte schon einige Wochen, bevor seine Schöpfung zum 1. Januar 1999 in Kraft tritt, verschwinden. Der deutsche Wohlstand hat Risse bekommen, und das erfüllt bei unseren Nachbarn beinahe den Tatbestand der Majestätsbeleidigung. Doch auch Schröders neue Popularität könnte sich schnell abnutzen, wenn er im herannahenden Wahlkampf aus jener programmatischen Konturlosigkeit herauskommen muß, die derzeit seine Stärke ausmacht."

Der in Wien erscheinende liberale Standard: "Die beste Hoffnung für eine Wende nach den September-Wahlen wäre es, wenn ein Wahlsieger Schröder all jene Reformvorhaben durchzieht, an denen die Regierung Kohl wegen des Widerstandes der Gewerkschaften und der SPD-Mehrheit im Bundesrat gescheitert ist. Schröder wäre der richtige Mann für einen solchen De-Gaulle-Effekt: Er ist überzeugter Pragmatiker ohne ideologische Berührungsängste. Ebenso wie er im Alleingang die Stahlwerke der Preussag im Wahlkampf nationalisierte, um sie vor dem Zugriff der bösen VA Stahl zu schützen, könnte er als Kanzler den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft einläuten. Schröder ist ein Mann voller Widersprüche. Das heißt nicht, daß der niedersächsische Ministerpräsident keine Grundsätze hat, auf die er bei Bedarf pocht. Doch diese Grundsätze sind, darin liegt eben seine unverkrampfte Spezialität, ebenfalls widersprüchlich. Schröders Bonus ist, daß alles an ihm authentisch wirkt: Der rechtsgestrickte Pragmatiker ebenso wie der linke Weltverbesserer. Gerhard Schröder sieht darin keinen Widerspruch."

Die linksliberale Wochenzeitung L'ƒvénement du Jeudi aus Paris: "Und wieder ein Tony Blair mehr, noch einer: Der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder liebt es, mit dem britischen Labour-Chef verglichen zu werden. Realismus, Pragmatismus, Modernität sind auch die Wahlkampfparolen dieses deutschen Newlook-Sozialisten, den die Mehrheit seiner Partei verdächtigt, eher den Bossen nahe zu sein als den Arbeitern. Keiner weiß so recht, für was der Premierminister ihrer Königlichen Hoheit steht. Aber es sieht so aus, als ob man in Europa nicht mehr Sozialist sein kann, ohne sich 'blairen' zu lassen. Nach dem Klonschaf Dolly sind die Briten jetzt dabei, ihren neuen sozialdemokratischen Klon zu exportieren."