Flirten mit Le Pen und Co.

Die bürgerliche Rechte Frankreichs erwägt Bündnisse mit dem Front National

Das Rennen um Mandate hat in Frankreich wieder begonnen - aber wie wird sich die bürgerliche Rechte verhalten? Die Wahl der Regionalparlamente am 15. sowie der Departementsräte am 22. März sind ein erster Gradmesser für die Bewegungen in der politischen Landschaft seit dem Wahlsieg der rosa-rot-grünen Linkskoalition im Mai / Juni 1997. Es zeichnet sich ab, daß die Regierungskoalition sich weiterhin in einer politischen Hochphase befindet und die Nase gegenüber der Rechtsopposition deutlich vorn behält. 40 bis 42 Prozent werden der "pluralen Linken", die in der Mehrzahl der Regionen mit Einheitslisten antritt, derzeit prognostiziert, gegenüber rund 35 für die bürgerlichen Parteien sowie 14 bis 16 Prozent für den neofaschistischen Front National. In mehreren Regionen wird im übrigen mit Sitzen für die (meist trotzkistische) radikale Linke gerechnet, der landesweit vier Prozent vorhergesagt werden, während sie 1992 nur 1,1 Prozent erhielt - für die Regionalwahlen gilt, anders als auf nationaler Ebene, das Verhältniswahlrecht mit einer Fünf-Prozent-Hürde ähnlich dem deutschen System.

Zum entscheidenden Einsatz bei den Regionalwahlen - was ihre Bedeutung für die nationale politische Ebene betrifft - wird daher weniger der Ausgang des Rennens zwischen den beiden großen politischen Blöcken auf der Linken und auf der Rechten werden, das bereits entschieden scheint. Viel bedeutender ist die sich abzeichnende Umgruppierung auf dem rechten Flügel des politischen Spektrums. "Der Wahlkampf für die Regionalwahlen fokussiert sich seit einigen Tagen auf die Frage möglicher lokaler Bündnisse zwischen der Rechten und dem Front National, um die Präsidentschaft mehrer Regionen zu halten", stellte Le Monde am 7. März fest.

Den bürgerlich-konservativen Parteien RPR und UDF ist es bis zur Stunde nicht gelungen und wird es in absehbarer Zeit nicht gelingen, aus dem Dilemma herauszukommen, welches der Ausgang der Parlamentswahlen vom Mai / Juni 1997 für sie eröffnet hat. Damals hatte die extreme Rechte zum ersten Mal sichtbar ihr Ziel erreicht, das konservativ-liberale Lager in die Enge zu treiben. Die systematische Aufrechterhaltung der (meist aussichtslosen) rechtsextremen Kandidaturen in den Stichwahlen des zweiten Wahlgangs ließ RPR und UDF, je nach Schätzung, zwischen 30 und 40 Sitze im Parlament verlieren - die linke Mehrheit wäre, angesichts eines Vorsprungs von 60 Sitzen gegenüber der Opposition, bei 30 Mandaten mehr für die Rechte dahin gewesen.

Das konservativ-liberale Parteienbündnis UDF - Bündnispartner des neogaullistischen RPR - trieb diese Frage seit der Wahlniederlage im Frühsommer 1997 um. "Jeder unserer beiden Präsidentschaftsanwärter für die Zukunft, (der radikale Marktliberale) Alain Madelin und (der Christdemokrat) Fran ç ois Bayrou, ist dabei, sich zu fragen, wer es wagen wird, den ersten Schritt auf Le Pen zu zu machen. Ihre Rechnung ist einfach: Um zu gewinnen, muß man die 15 Prozent Stimmen des FN abholen - so, wie Fran ç ois Mitterrand dereinst das Stimmenpotential der KP anbaggerte." Diese Lagebeschreibung stammt vom ehemaligen liberalen Kulturminister Philippe Douste-Blazy - selbst ein Gegner von Abkommen mit dem FN - und wurde von der Wochenzeitung Le Canard encha"né im Dezember zitiert.

Den Anfang hatte zu jener Zeit gerade ein ehemaliger Minister von Alain Juppé gemacht, der frühere Landwirtschaftsminister Philippe Vasseur, der dem Figaro-Magazine im Dezember erklärt hatte, er würde "die Stimmen von (Regional-) Abgeordneten des FN nicht zurückweisen", um sich zum Präsidenten der Region Nord-Pas de Calais wählen zu lassen. Am 3. Dezember hatte er den Worten bereits Taten vorausgehen lassen und in Paris eine diskrete Unterredung mit Jean-Marie Le Chevallier, dem damals einzigen FN-Abgeordneten im Parlament (dem das Mandat inzwischen vom Verfassungsgericht aberkannt worden ist), gehabt. In derselben Woche sprach sich Madelin für eine notwendige "Debatte" mit der Le-Pen-Partei aus.

Doch am 5. Dezember wurde Jean-Marie Le Pen in München rückfällig und sprach einmal mehr, wie bereits 1987, vom Holocaust als "Detail der Geschichte des Zweiten Weltkrieges", was dem Front National erneut die politische Isolierung einbrachte. Auch innerhalb seiner Partei regten sich Stimmen gegen diese taktische Unklugheit, und der strategisch geschicktere Chefideologe der Partei - Bruno Mégret, der bereits überall als Nachfolger von Parteichef Le Pen gehandelt wird und kräftig an dessen Sessel sägt - ging öffentlich auf Distanz. "Diese Angelegenheit", erklärte er öffentlich, "hat vor zehn Jahren eine Polemik ausgelöst. Wir werden nicht wieder dasselbe Szenario beginnen. Es ist Zeit, von etwas anderem zu reden als vom Zweiten Weltkrieg." Und: "Ich bin mit ihm (Le Pen) über alle Fragen einverstanden, welche die Zukunft unseres Landes betreffen."

Für einige Wochen wurde es also ruhiger um den FN, und niemand wagte es, offen eine Annäherung zu propagieren. Im Laufe des Februar jedoch, mit dem Herannahen der Regionalwahlen, fielen bei so manchem die Hemmungen. So in der Region Picardie, vor den Toren des Großraums Paris: Über den dortigen UDF-Spitzenkandidaten Charles Baur äußerte sein eigener Parteifreund Fran ç ois-Michel Gonnot in Libération Mitte Februar: "Er hat eine sehr nachgiebige Position zum FN und hält sich alle Möglichkeiten offen." Im südfranzösischen Montpellier strengte der UDF-Kandidat für den Posten des Regionalpräsidenten, Jacques Blanc, eine Klage gegen seinen sozialistischen Gegenspieler an - dieser verbreitet landauf-landab öffentlich, Blanc habe ein Wahlabkommen mit dem FN-Generalsekretär Bruno Gollnisch unterzeichnet. Und während Philippe Vasseur in Frankreichs Nordregion seinen Vorstoß vom Vorjahr mehrfach bekräftigt hat und jüngst betonte, er nehme die Stimmen aller Regionalparlamentarier für die Wahl zum Präsidenten an und werde sodann "wie ein Landwirt hinter seinem Pflug hergehen, ohne sich umzudrehen", reisten mehrere ehemalige Ministerkollegen - Alain Madelin (Wirtschaft) und Charles Pasqua (Inneres) - zu seiner Unterstützung im Wahlkampf an.

Während auf regionaler Ebene die Mauer zwischen der "republikanischen Rechten" und den Neofaschisten vielerorts zunehmend brüchig zu werden begann, fuhren die nationalen RPR- und UDF-Spitzenpolitiker fort zu betonen, eine Allianz zwischen ihren Parteien und der extremen Rechten komme nicht in Frage. Man kann darin, dem sozialistischen Parlamentspräsidenten Laurent Fabius folgend, eine "Arbeitsteilung" sehen: Während die Parteispitzen sich die Hände in Unschuld waschen, überläßt man den örtlichen Politikern "die Umsetzung diskreter Abkommen".

Eine kleine Bombe explodierte unterdessen am 7. März: In einem Interview mit der (sehr rechtslastigen) Wirtschaftszeitschrift Valeurs actuelles erklärte der frühere RPR-Generalsekretär Jean-Fran ç ois Mancel, der nach der Wahlniederlage im Juni 1997 seinen Hut genommen hatte und bis dahin an führender Stelle die Abgrenzungspolitik gegenüber dem FN formuliert hatte, seinerseits seine Bereitschaft zu einem regionalen Bündnis mit dem FN. Mancel fügte vielsagend hinzu: "Andere, die es nicht nicht auszusprechen wagen, werden dazukommen. Es kommt ein Moment, wo man die Wahrheit sagen muß."

Eine erste Stunde der Wahrheit zeichnet sich für den 20. März ab: An jenem Freitag treten die frischgewählten Regionalparlamente zum ersten Mal zusammen und wählen ihre Präsidenten. Die Presse prognostiziert jedoch in mehreren Fällen eine "Politik des leeren Stuhls" seitens der Konservativen: Indem sie durch Abwesenheit die Beschlußunfähigkeit der Versammlung herbeiführen, könnten sie die heikle Frage der Mehrheitsbildung auf die Zeit nach den Kantonalwahlen vom 22. März verschieben.