Staatsbürgerkunde an der Datsche

Sachsen bekommt eine Sicherheitswacht. Auch PDS-Politiker wären gern dabei

Über 300 Sächsinnen und Sachsen würden gerne nachts durch Wohngebiete spazieren und abends in Parkanlagen und Datschenkolonien und im Bereich von Kinderspielplätzen herumstreunen. Das steht natürlich jedem frei, doch nur 60 Ausgewählte werden dabei eine dunkelgrüne Weste mit der Aufschrift "Sicherheitswacht" und dem sächsischen Staatswappen tragen. Und nur jene 60 werden für ihre Streifengänge zehn Mark die Stunde bekommen.

Aus den BewerberInnen, die sich bis zum 15. Januar bei vier ausgewählten Polizeidirektionen gemeldet haben, werden nämlich zunächst fünf Dutzend für das im April anlaufende Modellprojekt Sächsische Sicherheitswacht ausgewählt. Im Rahmen dieser institutionalisierten Bürgerwehr sollen sie - ausgerüstet mit Funkgerät und Gasspray - der Polizei helfen.

Das erscheint angesichts einer rückläufigen Kriminalitätsrate und einer gestiegenen Aufklärungsquote im Freistaat auf den ersten Blick überflüssig. Zumal die Polizei seit 1995 über 600 neue Planstellen hinzu gewinnen konnte. Das Ziel sei aber, so das sächsische Innenministerium, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erhöhen. Das freilich ist durch Stimmungsmache der Staatsregierung gegen Flüchtlinge im sächsischen Grenzgebiet erheblich erschüttert. Und so kommt Innenminister Hardraht (CDU) der Wahrheit schon näher, wenn er "eine stärkere Einbeziehung der Bevölkerung bei der Bewahrung von Sicherheit und Ordnung" fordert: Wenn BürgerInnen zu Kontrollmaßnahmen mit herangezogen werden, erleichtert das die Identifizierung mit Staat, die derzeit speziell im Osten abnimmt. Es geht nicht um Sicherheit, sondern um die Erziehung zum Staatsbürger.

"Aus einer Unkultur des Wegsehens muß eine Kultur der Mitverantwortung werden", umschrieb das der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) 1993, als er in seinem Freistaat den ersten Modellversuch einer Sicherheitswacht ins Leben rief. Stoibers Idee stieß damals auf herbe Kritik: "Wildwestpraktiken", "Sicherheit in den Händen von Laiendarstellern", "Bespitzelung nach Stasi-Manier" - so schimpften die Sozialdemokraten gegen die Pläne der CSU. Heute dagegen regt sich niemand mehr über die Bürgerwehr-Pläne auf. Auch in SPD-regierten Ländern macht man mittlerweile Bürgerinnen und Bürger zu Kontrolleuren. In Brandenburg wurde 1995 ein Modellversuch "Sicherheitspartner" eingeleitet. Die ausgewählten Bürger sollen wie die bayerischen und sächsischen Sicherheitswächter in Laubenkolonien, Parks und vor Ladenzeilen Präsenz zeigen. Dabei nehmen die Brandenburger Hilfspolizisten allerdings keine hoheitlichen Aufgaben wahr. Das ist in Bayern und künftig auch in Sachsen anders: Dort dürfen die Hilfssheriffs Personenbefragungen und Identitätsfeststellungen durchführen und Platzverweise aussprechen.

Auch die PDS hält sich mit Kritik zurück. Die Mitglieder der sächsischen Landtagsfraktion sind durchaus geteilter Meinung. Von einigen Presseerklärungen abgesehen, haben die Sozialisten deshalb auch nichts unternommen. Die GenossInnen in den vier Städten, in denen der Modellversuch starten soll, erfuhren nur aus der Presse von dem Vorhaben. Aktiv wurden die PDS-VertreterInnen in Leipzig, Görlitz, Pirna und Weißwasser jedoch nicht. Vielleicht liegt das auch daran, daß sie sich selbst nicht so ganz sicher sind, wie sie zu dem Vorhaben stehen sollen. Schließlich fordert auch die PDS-Fraktion im sächsischen Landtag in einem Diskussionspapier, durch "ständigen Kontakt" der Polizei zu "Anwohnern und Personal von Geschäften, städtischen und privaten Einrichtungen" Informationen zu sammeln, die die Polizei in die Lage versetzen sollen, "entsprechend notwendige Maßnahmen veranlassen zu können". Für die ehemalige PDS-Vizechefin Angela Marquardt Grund genug, ihrer eigenen Partei vorzuwerfen, sie sei der CDU gelegentlich sogar voraus, was die Übernahme des New Yorker Polizeimodells "Null Toleranz" betrifft (Jungle World, Nr. 49/97).

Kein Wunder, daß PDS-Vertreter in den vier betroffenen Städten auf Nachfrage der Jungle World nur vorsichtig Ablehnung äußerten. In Pirna erklärte ein Mitglied des Kreisvorstandes, man könne jetzt noch kein Urteil über die Sicherheitswacht fällen. Es bleibe abzuwarten, "wie das praktisch läuft". Zwar lehnt der Innenpolitische Sprecher der PDS-Landtagsfraktion in Sachsen, Michael Friedrich, das Modell der Sicherheitswacht grundsätzlich ab - sie gaukle Sicherheit nur vor und stelle zudem eine Gefährdung für die Bürgerpolizisten selbst dar. Doch schon Landtagsmitglied Christine Ostrowski hält es für "falsch, die Pläne für die Einbeziehung von Bürgern in die Bewahrung der öffentlichen Sicherheit von vornherein als untauglich zu kritisieren". Gerade die PDS habe sich stets dafür eingesetzt, "positive Erfahrungen aus der DDR zu bewahren", erklärte die Dresdner Stadtvorsitzende. Bekanntlich hätten "die Freiwilligen Helfer der Volkspolizei über eine gute Akzeptanz in der Bevölkerung verfügt".

Interessant wird sein, wer in Sachsen neben dem rechten PDS-Flügel noch besondere Akzeptanz für die Hilfspolizei zeigen wird. Denn im Unterschied zur Sicherheitswacht in Bayern werden die BewerberInnen nicht durch den Verfassungsschutz geprüft, um etwa eine Unterwanderung durch Rechtsextremisten zu verhindern. In Sachsen wird die "persönliche Zuverlässigkeit" durch einen Blick ins polizeiliche Führungszeugnis festgestellt. Dabei ist bekannt, daß nicht nur militärische Strukturen, sondern auch polizeiliche anziehend auf rechtsextreme Männer wirken. Das ist besonders deutlich geworden beim Vorgängermodell der Sicherheitswacht, der Berliner Freiwilligen Polizeireserve, die immer wieder wegen rechtsradikaler Unterwanderung für Schlagzeilen gesorgt hat.