Die Wiederholung als Farce?

Eine studentische Initiative will das Berliner Sozialbündnis wiederbeleben

"Wir wollen uns nicht länger gegeneinander ausspielen lassen", erklärte die im Dezember 1997 gegründete "Initiative für ein Sozialbündnis Berlin". Sie war während des Streiks der Studierenden an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) zunächst als Arbeitsgruppe gebildet worden, die über eine ausreichende Grundsicherung und eine Umverteilung von oben nach unten diskutierte. Sie lud VertreterInnen von Gewerkschaften und sozialen Projekten ein: Ein übergreifendes Bündnis gegen Sozialabbau sollte her. Anlaß war laut Rainer Wahls, studentischer Vertreter im Akademischen Senat der HU, "einfach das Wissen, daß du alleine scheiterst". Wahls engagiert sich nicht nur bei den aktuellen Uni-Streiks, er hatte sich vorher schon für den Zusammenschluß von Berliner Kinderläden eingesetzt und zahlreiche Demonstrationen organisiert, "aber seit den Streiks haben die Kitas keine Chance mehr, in die Presse zu kommen".

Noch bevor man sich auf gemeinsame Forderungen geeinigt hatte, organisierte die Initiative am 12. Dezember eine Demonstration unter dem Motto "Gemeinsam gegen Sozial- und Bildungsabbau" - die programmatische Unklarheit war dann auch auf der Demonstration spürbar. Mit großen Worten forderte Gewerkschaftsvertreter Gert Julius (DGB) auf der Demo kleine Schritte: "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!" Mit Che für das Grundgesetz und das deutsche Volk? "Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit", erklärte Julius und forderte, auch die Formulierung "jeder Deutsche hat das Recht auf Arbeit" in die Verfassung aufzunehmen. Das Gebot "Eigentum verpflichtet" werde in Bonn mit Füßen getreten, empörte er sich weiter. Gegen die Streichungsorgien helfe nur eines: "Wir, das Volk, mischen uns ein. Wir brauchen eine Regierung, die das Volk als Partner betrachtet." Einige seiner neuen KampfgenossInnen schienen das anders zu sehen, etliche Pfiffe begleiteten seine Rede.

Anlaß der Demonstration war die Verabschiedung des Haushaltes für 1998 im Berliner Landesparlament. Wie auch in den vergangenen Jahren sind im Sozial- und Bildungsbereich erhebliche Kürzungen vorgesehen, zur Zeit sind vor allem die freien Träger der Kindertagesstätten (Kitas) betroffen. Über 10 000 Menschen nahmen an der Demo teil, Studierende, SchülerInnen, GewerkschafterInnen und Mitglieder von sozialen Projekten. Traktoren der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität begleiteten den Protestzug, der friedlich durch die Einkaufsmeile Friedrichstraße zog.

Die Idee eines Bündnisses gegen Sozialabbau ist nicht neu. Bereits aus den letzten Studiprotesten war im Herbst 1995 das "Berliner Bündnis gegen Sozialkürzungen und Ausgrenzung" hervorgegangen, das sich im Mai 1997 nach längerem Siechtum wieder auflöste. Ausgangspunkt war damals eine Veranstaltungsreihe linker Gruppen zum Thema außerparlamentarischer Widerstand. Inspiriert durch die Streiks im Nachbarland sollten "französische Verhältnisse" auch in Berlin entstehen. Doch davon blieb das Sozialbündnis weit entfernt, obwohl es zunächst drei beachtliche Demonstrationen auf die Beine stellte. Die erste fand bei klirrender Kälte im Dezember 1995 statt und mobilisierte 10 000 Menschen, im März 1996 gingen gar über 35 000 Personen auf die Straße.

Das Sozialbündnis wurde über Berlin hinaus bekannt, auch in anderen Städten bildeten sich ähnliche Zusammenschlüsse. Aus dem Protest wurde jedoch kein dauerhafter Widerstand. Aktionstage im Mai 1996, die vor allem von sozialen Projekten getragen werden sollten, gerieten zum Flop. Die Massen verschwanden ebenso plötzlich, wie sie aufgetaucht waren. Die Studierenden organisierten im Sommer 1996 schließlich wieder ihre eigenen "Montagsdemos", das Sozialbündnis orientierte sich immer mehr an den Gewerkschaften, eine eigenständige Kraft entwickelte sich nicht. "In unserem Bündnis", hieß es stets auf den Flugblättern, "treten SchülerInnen gegen Arbeitsplatzabbau, Lohnabhängige gegen Einsparungen im Bildungs- und Kulturbereich, Flüchtlinge und MigrantInnen gegen Ausgrenzung von Behinderten, Studierende gegen Lohnverzicht, Erwerbslose für den Erhalt der sozialen Projekte, SozialhilfeempfängerInnen gegen den Tiergartentunnel und Hauptstadtwahn sowie Behinderte gegen Mietwucher und für Hausbesetzungen ein." Das Versprechen wurde kaum eingelöst, vor allem Flüchtlings-, Obdachlosen- und Erwerbsloseninitiativen fehlten weitgehend. Außerdem wandte sich das Bündnis gegen Haushaltskürzungen - da diese jedoch durch Demonstrationen nicht zu verhindern waren, verlor es schnell an Schwung. Die Große Koalition von CDU und SPD wurde kritisiert, doch eine andere Perspektive als das Warten auf den Regierungswechsel hatte das Bündnis nicht zu bieten.

Die Gründe für das Scheitern des Bündnisses wurden seither kaum diskutiert. Einzige Ausnahme war ein Artikel in der Zeitschrift Arranca!. "Die Idee war gut, die Welt noch nicht so weit", lauteten Titel und Fazit. Dies betreffe zum Beispiel den Kampf gegen nationalistische Ansätze, wie sie im Standortdenken der Gewerkschaften zu finden seien oder bei elitären Bestrebungen der Studierenden. Im Sommer, als noch keine studentische Protestbewegung in Sicht war, schrieb Arranca!: "In der gegenwärtigen Situation der Lethargie und der Dominanz konservativer, neoliberaler und rassistischer Diskurse ist es wichtig, daß überhaupt erst einmal eine linksdominierte Bewegung entsteht, in der soziale Interessen artikuliert und aktiv vertreten werden können, auch als Voraussetzung dafür, daß die radikalere Linke sich artikulieren kann und mit weitergehenden Inhalten überhaupt gehört wird."

Daß die Welt heute wesentlich weiter wäre als 1995, ist nicht zu erkennen. "Die Wiederholung als Farce" kommentieren denn auch böse Zungen die Bestrebungen, das gescheiterte Sozialbündnis wiederzubeleben. Selbst Forderungen wie die von 1995 nach einer sozialen Grundsicherung von 1 500 Mark plus Miete, einem Bleiberecht für alle und einem Nulltarif im Öffentlichen Nahverkehr müssen erst wieder erarbeitet werden. Auf der Demonstration am 12. Dezember, so Michael Hammerbacher, Aktivist des ehemaligen Sozialbündnisses, fehlten die Flüchtlings- und Behinderteninitiativen, die Frauenprojekte und die linken Gruppen, die gegen das "Prinzip Schönbohm" kämpfen: Die Verdrängung und Repression gegen alle, die nicht in das Bild des zukünftigen Regierungssitzes passen.

Den vom 8. bis 11. Januar geplanten studentischen Kongreß "Bildung und Gesellschaft" will die Gründungsinitiative nutzen, um dem"Berliner Sozialbündnis" doch noch etwas Leben einzuhauchen.