Genosse Großmaul

Die junge Welt ist eine Zeitung, die unsereiner nur noch, und wenn es gar nicht anders geht, mit dem Schürhaken anfaßt. Seit die Becker und Koschmieder die Blattpolitik bestimmen, wird mal dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen, mal Ignatz Bubis als Nutznießer des Holocaust hingestellt, mal den Judenhassern aus Gollwitz zugute gehalten, sie besäßen keine ordentliche Kneipe und könnten deshalb nicht anders. Es überraschte uns deshalb nicht, daß der Deutsche Presserat das Blatt wegen einer "Verletzung der Menschenwürde der Opfer des Holocaust" rügte. Erstaunlich allerdings, welchem Autor diese Verletzung angelastet wird: dem Hannah-Arendt-Herausgeber Klaus Bittermann. Dieser hat sich in eine unangenehm ambivalente Haltung geflüchtet. Zwar äußerte er als einziger jW-Autor öffentlich sein Mißbehagen an der Gollwitz-Sympathie der jungen Welt, fand diese aber wieder nicht so gravierend, seine Arbeit für die nationalbolschewistische Zeitung einzustellen.

Anlaß der Rüge ist selbstverständlich nicht diese Ambivalenz und auch nicht die neue Ausrichtung der jW, sondern eine Attacke Bittermanns gegen den völkischen Tilman Zülch (17.7.). In ihr heißt es: "Aber wie die Genozid-Dinge so liegen, ist es da nicht etwas übermotiviert, 'deutsches Versagen' anzuprangern, bloß weil ein paar Juden davongekommen sind?" - Das ist gewiß "Humor quasi von der Brechstange" (Bittermann). Und es ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen, daß der Autor hier - wie Zülch selbst - die Opfer "instrumentalisiert" (Presserat). Aber viel schwerer wiegt doch, wo er das tut. Just darauf geht der Presserat nicht ein.

Wo Bittermann schreibt, wurde nicht zuletzt am 21.11. deutlich, als er von jW-Popredakteur Christof Meueler verteidigt wurde. Anderen seien nur "die notorischen teilweisen Probleme mit der Wahrheit" vorgehalten worden, klagte Meueler, ihnen aber nicht die teilweise notorischen Probleme mit der deutschen Sprache, sondern "spätstalinistische Gedankenverbrechen". Wenn es so wäre! "Die Verhöhnung der Holocaust-Opfer" gehöre bei Zülch "zum Tagesgeschäft", formulierte Meueler in einem Blatt, das kaum eine Gelegenheit ausläßt, solch ein Tagesgeschäft zu dem seinen zu machen. Bittermanns Kolumne sei nicht nur "bundesweit beliebt", ihr Autor, "der im Kampf gegen Dummheit und Versagen unermüdliche Genosse Klaus Bittermann", habe sich eben deswegen Zülch gewidmet, weil der "den Zivilisationsbruch Auschwitz in Permanenz verharmlost". Nein, mitgefangen, mitgehangen, Genosse Bittermann. Und was Meueler betrifft, sollte man ihm für diese Parteirede dankbar sein: Kein noch so kluger Artikel von Günther Jacob könnte klarer machen als sie, was für Groß-Meueler die gewöhnlichen Popper doch sind.