Vom Schwarzen September zum Deutschen Herbst

Nach dem Olympia-Attentat auf israelische Sportler in München 1972 fand die Rote Armee Fraktion nur lobende Töne für das palästinensische Terrorkommando

"Die Aktion des Schwarzen September in München" sei ein völlig genügender Untertitel, fanden die Herausgeber der "Texte der RAF", eines Buches, das lange Zeit nur unter den Ladentischen einiger Buchhandlungen zu finden war. Die Aktion, von der da in dem über 600 Seiten dicken Buch die Rede war, ohne daß man der Klientel weiter erläutern mußte, daß es sich um den in München begangenen Mordanschlag eines palästinensischen Kommandos auf die israelische Olympiamannschaft 1972 handelte, wurde von den Theoretikern der Rote Armee Fraktion (RAF) unter der Hauptüberschrift "Den antiimperialistischen Kampf führen! Die Rote Armee aufbauen!" bejubelt. "Die Aktion des Schwarzen September in München", dichtete die RAF darin, "hat das Wesen imperialistischer Herrschaft und des antiimperialistischen Kampfes auf eine Weise durchschaubar und erkenntlich gemacht wie noch keine revolutionäre Aktion in Westdeutschland und Westberlin."

Das Lob der nicht nur sprachgewaltigen Genossen fiel eindeutig aus, schließlich galt die Aktion unter anderem "Israels Nazi-Faschismus", beziehungsweise dem "Moshe-Dayan-Faschismus", womit der damalige israelischeVerteidigungsminister gemeint war, der der Gemeinde als "Himmler Israels" vorgestellt wurde. Kritik an den arabischen Genossen wollte die RAF nur andeuten: "Daß es noch besser gewesen wäre, Genscher als Geisel zu nehmen, weiß der Schwarze September selbst. Auf dem ungeheuer hohen Niveau von marxistischer Theorie und revolutionärer Praxis, das der Schwarze September hat, braucht man ihm das nicht zu sagen." Die revolutionäre Praxis, die das Kommando da auf ungeheuer hohem Niveau hatte walten lassen, indem es israelische Sportler schlicht abschlachtete, ist für die RAF über jede Kritik erhaben. Am Mord "gibt es nichts mißzuverstehen." Daß es Morde gab, liegt in der Natur der Sache, aber: "Sie wollten nicht töten."

Die Schuld an dem Massaker hat die RAF in nicht mehr zu verbrämendem Antisemitismus klar ausgemacht: "Israel vergießt Krokodilstränen. Es hat seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden." Gleichwohl traut sich die RAF noch, sich als die guten Deutschen zu präsentieren: "Entsetzt war das imperialistische Ausland", heißt es über die internationalen Pressestimmen, "nur über die Unfähigkeit der Deutschen, wieder einmal nicht nur die Kommunisten, sondern die Juden gleich mit liquidiert zu haben."

Damit ist die bis heute nicht geklärte Frage gemeint, wer die acht der elf umgekommenen israelischen Sportler erschossen hat. Daß das Kommando, als es am 5. September 1972 in das Haus der israelischen Gewichtheber und Ringer eindrang, drei Sportler erschoß, ist bekannt und wird nur von der RAF verschwiegen. Als aber das Kommando nach langen Verhandlungen mit dem damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck abzog, um dort bereitgestellte Hubschrauber zu besteigen, eröffnete die bayerische Polizei das Feuer. Dabei kamen acht israelische Sportler und fünf palästinensische Terroristen um. Nach Informationen, die im Juni 1992 auftauchten, kamen die Sportler im Kugelhagel durch Geschosse aus deutschen Polizeiwaffen ums Leben. Akten, die das belegen könnten, und die erst zwanzig Jahre nach dem Attentat für die Öffentlichkeit zugänglich geworden wären, wurden am 5. September 1992, also exakt zwanzig Jahre nach der Erschießung der Geiseln und der Terroristen, von der damaligen bayerischen Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner vernichtet. Den Anspruch der Anwälte der Angehörigen, die auf Schadensersatz klagten, Akteneinsicht zu erhalten, nannte Frau Berghofer-Weichner "kurios", wie könne man nur zwanzig Jahre danach so etwas wieder aufrollen wollen.

Mit Kleinkram wie Aktenstudium hielt sich die RAF bei ihrer Lobhudelei des Mordkommandos nicht auf. "Wer hat das Massaker in Fürstenfeldbruck gewollt?", wird gefragt, und damit man nicht auf falsche Gedanken kommt, wird geantwortet: "Idiotisch zu glauben, die Revolutionäre hätten es gewollt." Daß die als Revolutionäre vorgestellten Mörder beim Eindringen des Hauses drei Sportler mit Maschinenpistolen niedermetzelten, paßt nicht in die Argumentation und wird verschwiegen. Erkenntnisse aber, daß die zum Lob des Judenmords bereite RAF, die 1972 noch im Aufbau war und deren Hauptbetätigung damals in der Befreiung der eigenen Genossen aus bundesdeutschen Haftanstalten bestand, logistisch mit dem Kommando "Schwarzer September" zu schaffen hatte, gibt es bis zum heutigen Tage keine.

Bemerkenswert freilich ist, daß die restliche radikale Linke der damaligen BRD dem Antisemitismus der RAF kaum nachstand. Unmittelbar im Anschluß an die Olympischen Spiele 1972, nachdem die Generalunion Palästinensischer Studenten und die Generalunion Palästinensischer Arbeiter verboten wurden, kam es in Deutschland zum großen Aufschwung der sogenannten Palästina-Solidarität. Die Studentenausschüsse veranstalteten eine bundesweite Solidaritätswoche, die rührigsten in Frankfurt/Main, Bonn, Dortmund und in Heidelberg. "Sie haben", formulierte die RAF in ihrem Text über die arabischen Völker, "die Revolutionäre als Helden gefeiert, ihr Wille zu kämpfen, ist ungeheuer ermutigt worden". Eine "ungeheure" Ermutigung, so muß man wohl heute formulieren, die auch der RAF und anderen galt.