Machtkampf in Srpska

Verfassungsgericht stoppt Plavsić, aber letzten Endes kann die Präsidentin nur mit militärischer Gewalt entmachtet werden

Das Verfassungsgericht der bosnischen Serbenrepublik hat letzte Woche entschieden, daß die Auflösung des Parlaments durch die Präsidentin Biljana Plavsic« nicht rechtens war. Dies ist ein Erfolg für die Karadzùic«-Partei SDS, die ihre Hochburg in Pale und in den ländlichen Gegenden Srpskas hat, und eine Niederlage für die gemäßigten Kräfte in Banja Luka, dem Amtssitz von Plavsic«. In dieser Region hatte bei den Wahlen im letzten Herbst die linke Partei "Allianz für Frieden und Fortschritt", ein Ableger von Milosevic«s Sozialisten, die SDS überrundet.

Das Urteil traf am Wochenende auf internationale Kritik: Nato-Generalsekretär Solana bezeichnete die Entscheidung als gesetzwidrig. Der Beauftragte für den zivilen Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina, Carlos Westendorp, die USA und einige westliche Diplomaten meinten, die Richter seien von Anhängern Karadzùic«s eingeschüchtert worden. Bereits am Freitag unterzeichneten ein Nato-Vertreter und der Chef der Sonderpolizei der bosnischen Serben, Saric, nach Angaben eines Sprechers der Sfor-Truppe ein Abkommen, das die Befugnisse der Sonderpolizei maßgeblich einschränkt. Die Polizei dürfe mutmaßliche Kriegsverbrecher nicht schützen, sagte ein SFOR-Sprecher. Nach eigenen Angaben sollen die SFOR-Truppen das Kommando über die Polizeieinheiten übernommen haben. Sie wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.

Bei den Präsidentschaftswahlen am 14. September letzten Jahres war Plavsic« noch von der SDS nominiert worden und hatte mit 64,9 Prozent einen glänzenden Sieg errungen, auf dem zweiten Platz war mit 16,7 Prozent Milosevic«s Kandidat Zivkio Radisic« gelandet. Vom Westen wurde Plavsic« ursprünglich als Marionette Karadzùic«s eingeschätzt, und in der Tat hatte sie sich in den letzten Jahren als prononcierte Vertreterin des serbischen Nationalismus zu erkennen gegeben.

Daß sie das offensichtlich nicht war, zeigte sich spektakulär erst im Juni diesen Jahres, als die Präsidentin bei einer Zwischenlandung in Belgrad für einige Stunden festgenommen wurde. Über die Hintergründe dieser Nacht-und-Nebel-Aktion gibt es zwei Versionen: Die einen behaupten - so etwa das Belgrader Oppositionsblatt Nasa Borba mit Hinweis auf interne Quellen aus dem SDS-Hauptausschuß -, daß Karadzùic« selber die Aktion initiiert habe, um Plavsic« "zu beruhigen"; in dieser Lesart war es zwischen Plavsic« und Karadzùic« zum Bruch gekommen, weil sie einem Parlamentsbeschluß von Jahresanfang, der eine engere Föderierung zwischen der Republik Srpska und dem serbischen Mutterland vorsah, die Unterschrift verweigert hatte.

Die andere Interpretation der Verhaftung war, daß sie von Plavsic« selbst vorgetäuscht worden ist, um alle Welt dazu zu bringen, über diesen Coup zu sprechen - und nicht über den interessanten Umstand, daß Plavsic«s Flugzeug aus London gekommen war. Dort hatte sie mit der britischen Regierung Gespräche geführt, über deren Inhalt nie etwas bekannt geworden ist. Immerhin waren es auch britische SAS-Elitesoldaten, die kurz darauf mit der Aktion "Tango" auf die Jagd nach mutmaßlichen Kriegsverbrechern gingen und dabei einen Serben erschossen. Als Frau Plavsic« dann auch noch im Spiegel ankündigte, als "letztes Mittel" Polizei und Militär zur Verhaftung Karadzùic«s einzusetzen, war die Geduld der Parteiführung am Ende - am 20. Juli wurde sie aus der SDS ausgeschlossen. Am Wochenende gab sie die Gründung einer eigenen Partei bekannt, der Serbisch-Nationalen Union. Diese wolle ehemalige Karadzùic«-Anhänger aufnehmen, die sich mittlerweile von ihm abgewandt hätten.

Unterschlagen von der Pale-Fraktion wurden allerdings einige Gesichtspunkte, die der Verrats-These widersprechen: So lehnt Frau Plavsic« nach wie vor eine Auslieferung Karadzùic«s an das Tribunal in Den Haag ab, und die Briten haben nach ihrem Date in London nicht nur gegenüber den nationalistischen Hardlinern in Pale, sondern auch gegenüber den Fundamentalisten in Sarajevo die Zügel angezogen; spektakulär war etwa der Vorwurf von Außenminister Cook an die Adresse der Izetbegovic«-Regierung, internationale Hilfsgelder in großem Maße veruntreut, insbesondere in den muslimischen Geheimdienst investiert zu haben.

Beide Konfliktparteien werfen sich vor, aus niederen materiellen Motiven den Bruch provoziert zu haben. So wurde auch in der Westpresse der Hinweis Plavsic«s kolportiert, daß Karadzùic« und sein Freund Momcilo Krajisnik, Mitglied im gemeinsamen Staatspräsidium der Gesamtrepublik Bosnien-Herzegowina, über die Firmen "Select-Impex" und "Centrum" in kriminelle Geschäfte verwickelt seien. Weniger bekannt wurde hierzulande, daß - so die größte Belgrader Zeitung Vecerni Novosti - Plavsic« unmittelbar vor ihrem Englandflug fünf von angeblich versprochenen 30 Millionen Dollar auf ein Genfer Bankkonto bekommen haben soll.

Jenseits der Gerüchteküche und Verrat-Vorwürfe ist offensichtlich, daß beide Seiten um das Wohlergehen der bosnischen Serben bemüht sind, aber dazu eine unterschiedliche Strategie verfolgen: Die Präsidentin sieht in einer Entspannung der Lage zwischen den Bevölkerungsgruppen den besten Weg und will deswegen die Gesamtstaatlichkeit Bosnien-Herzegowinas stärken; die Pale-Fraktion hält das für gefährlich und will eine Herauslösung von Srpska aus der Gesamtrepublik und eine engere Anlehnung an Belgrad.

Letzten Endes wird der Konflikt mit militärischen Mitteln, zumindest mit militärischem Druck, entschieden werden - und nicht mit juristischen Finessen. Plavsic« wird geschützt von den Sfor-Einheiten; auf der anderen Seite hat sich die Militärführung - entgegen einer falschen westlichen Interpretation - eindeutig gegen sie positioniert.

Dieses Patt könnte durch zwei Faktoren aufgelöst werden: Wenn sich der frühere Armeechef Ratko Mladic« öffentlich hinter Plavsic« stellt, was, da er als Gefolgsmann von Milosevic« gilt, vermutlich seiner Überzeugung am ehesten entspricht. Mladic ist nach wie vor der beliebteste Prominente in Srpska und hat vor allem im Militär Einfluß. Auf der anderen Seite könnte die Stimmung gegen Plavsic« kippen, wenn sie tatsächlich eine Sfor-Aktion gegen Karadzùic« toleriert. Damit wäre, jenseits aller Parteiungen, eine Schmerzgrenze in der Bevölkerung überschritten. Selbst Predrag Radic, der ehemalige Bürgermeister von Banja Luka und scharfer Kritiker Pales, sagte nach der "Tango"-Kommandoaktion, dies sei eine "inhumane Geste, diesmal ausschließlich gegen das ganze serbische Volk gerichtet".