Zehn Jahre Heß-Rummel

Mit einer breiten Kampagne gegen die JN wollen Linke den Rechten ihren Feiertag versauen

Jahr für Jahr zelebriert die Neonaziszene den Todestag des ehemaligen Hitlerstellvertreters Rudolf Heß mit Aufmärschen und mit Angriffen gegen Linke und AusländerInnen. Dieses Jahr jährt sich am 17. August der Selbstmord von Heß im Alliierten Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau zum zehnten Mal. Es ist also wieder einmal mit Aktivitäten der militanten Naziszene zu rechnen. Doch ebenso traditionell wie die Heß-Gedenkveranstaltungen sind inzwischen antifaschistische Gegenaktionen. Die führten allerdings nicht immer zum Erfolg. So gelang es den Nazis 1991 in Bayreuth, 1992 in Rudolstadt, 1993 in Fulda und 1996 in Worms und Merseburg, relativ ungestört ihre Aufmärsche durchzuführen. Um in diesem Jahr selbst in der Offensive zu sein, haben Antifa-Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet eine Kampagne vorbereitet, bestehend aus mehreren Demonstrationen, Aktionen und Info-Veranstaltungen. Dazu haben sich die beiden überregionalen Antifa-Strukturen, das Bundesweite Antifatreffen (BAT) und die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) zusammengetan.

Anders als so oft, haben sich die Antifas diesmal vorgenommen, die ...ffentlichkeit miteinzubeziehen, um dem Mythos sich bekriegender Jugendbanden entgegenzuwirken, der antifaschistische Aktionen entpolitisiert und den militanten Rechtsextremismus verharmlost. So wird es vor der ersten Demonstration, die am 9. August in Quedlinburg stattfindet, mehrere Info-Veranstaltungen in der Region geben. In Quedlinburg soll sich der Protest hauptsächlich gegen den Nazikader Steffen Hupka richten, der im Ostharz in der Naziszene die Fäden in der Hand hält. Hupka ist Mitglied des Bundesvorstands der Jungen Nationaldemokraten (JN) und einer der Erfinder des "Zellenkonzeptes", das seit einiger Zeit von Neonazis als neue Organisationsstruktur neben der zentral wirkenden JN aufgebaut wird. Dieses Konzept ist vor allem darauf ausgelegt, eine breite Basis in zahlreichen Kleingruppen anzusammeln. Diese Kleingruppen sind meist als von einander unabhängige "Kameradschaften" getarnt, aber untereinander in hohem Maße vernetzt.

Hupka, der auch die Strategiezeitung Umbruch herausgibt, spielt sowohl bei der JN als auch in der Kameradschaftsstruktur eine entscheidende Rolle. Dazu ist er Mitglied der Kaderorganisation Sozialrevolutionäre Arbeiterfront (SrA), die von Kennern der Szene als Nachfolgeorganisation der verbotenen Nationalistischen Front (NF) bezeichnet wird. Die SrA steht ideologisch für einen nationalen Antikapitalismus sowie haßerfüllten Antisemitismus und ist in einem streng abgeschotteten, höchst hierarchischen Zellensystem organisiert. In und um Quedlinburg führt Hupka bereits seit Ende 1993 Regie. Seitdem ist die Region im Ostharz zu einer braunen Hochburg geworden. Mehrere lokale Organisationen und Gruppen haben sich gebildet, immer wieder kommt es zu Übergriffen. Steffen Hupka wirkt aber nicht nur in der ostdeutschen Provinz. Er war auch Anmelder der Kundgebung gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" in München, an der rund 5000 RechtsextremistInnen teilnahmen - eine der größten Naziveranstaltungen in der BRD-Geschichte.

Den Abschluß der Antifa-Kampagne bildet eine bundesweite Demonstration am 17. August in Nürnberg. Die AntifaschistInnen aus Nürnberg haben im Rahmen der Aktionswochen einen eigenen Schwerpunkt gelegt. Sie wollen auf die spezifische Situation in ihrer Stadt aufmerksam machen. Dort haben sich die Neonazis offenbar zum Ziel gesetzt, einen ganzen Stadtteil, die Nordstadt, für sich einzunehmen. Wer nicht in ihr Weltbild paßt, wird bedroht. Mit Fadenkreuzen und Parolen wie "Ab heute wird zurückgeschlagen" versahen die Faschos Häuser, in denen vermeintlich Antifa-AktivistInnen wohnen. Die Nazis selbst leben in der Nürnberger Nordstadt nicht in deutschen Klein- und Großfamilien, wie es von ordentlichen Faschisten zu erwarten wäre, sondern zunehmend in Wohngemeinschaften. Mehrere Kneipen dienen ihnen als regelmäßige Treffpunkte. Im Bamberger Hofbräuhaus etwa veranstalteten Nazis aus dem ganzen Bundesgebiet am 6. Juni dieses Jahres einen "Liederabend", bei dem mehrere Männer in SA-Uniform erschienen, den Hitlergruß zeigten und ausländerfeindliche und antisemitische Lieder sangen. Kommentar der Kneipenwirtin: "Das sind doch alles ordentliche Jungs." Zudem tauchen in der Nordstadt regelmäßig Flugblätter der Nazis in den Hausbriefkästen auf, an Schulen werden Aufkleber verteilt.

Die Nürnberger Antifas sind trotz der rechten Hegemonie in der Nordstadt zuversichtlich, auch mit der diesjährigen Kampagne Erfolge verzeichnen zu können. Bereits 1994 war es gelungen, die Schließung eines JN-Schulungszentrums in der Nordstadt zu erzwingen. In Nürnberg beginnt die Kampagne, die das Motto "Schluß mit dem Naziterror!" trägt, am 8. August mit einer Veranstaltung zur "Fortführung der NS-Justiz in der BRD".