Germanendominas, tiefenhermeneutisch

Frauen sind die besseren Krieger - Ellen de Visser liest die Schriften der NS-Propagandistin Sophie Rogge-Börner

Zwar hat sich die Täterforschung als Disziplin innerhalb der Faschismusforschung längst etabliert, dennoch ist nach Ansicht vieler Historiker, Soziologen und Politologen nach wie vor gültig, was Klaus Theweleit 1977 behauptete, "daß über den Faschismus die Faschisten bisher zuwenig befragt worden sind, aber die, die ihn angeblich durchschaut haben, zuviel". Deshalb werden Zeitzeugen befragt oder Dokumente gesichtet, die die Biografien rekonstruieren können. Wissenslücken, die mit politisch-ökonomischen Theorieansätzen nicht zu schließen waren, will eine mit den Subjekten beschäftigte Wissenschaft füllen.

Tatsächlich gelungen ist dies nicht zuletzt den in jüngerer Zeit erschienenen feministisch orientierten Studien. So schrieben Gudrun Schwarz über KZ-Aufseherinnen, Brigitte Scheiger über NS-Bürokratinnen, Claudia Koonz über "Mütter im Vaterland" und revidierten damit, allerdings in unterschiedlichen Graden, die These von Opferrolle deutscher Frauen im NS-Staat.

Ellen de Vissers psychoanalytisch-tiefenhermeneutische Studie zur deutschen Kriegspropaganda von und für Frauen, 1995 als Dissertation vorgelegt, jetzt unter dem wuchtigen Titel "Frau und Krieg" als Buch (mit dem Untertitel "Weibliche Kriegsästhetik, weiblicher Rassismus und Antisemitismus") erschienen, knüpft an diese und andere Arbeiten zur (Mit-)Täterinnenschaft an. Kriegspropaganda ist eine Männerdomäne, an der Frauen aber durchaus Anteil hatten. Sowohl vor wie während des Nationalsozialismus erscheinen in hohen Auflagen von Autorinnen verfaßte trivialliterarische Propagandaschriften (Kampflyrik, Heldendichtung etc.) sowie direkte Kriegspropaganda (z.B. in den von der NS-Frauenschaft herausgegebenen Kriegsjahrbüchern). Frauen werden in diesen Texten nicht nur für kriegswichtige Leistungen an der Heimatfront mobilisiert - sei es als Gebärerin zukünftiger Soldaten oder als Krankenschwester -, sondern auch, wie in den Romanen der Germanenkultlerin Sophie Rogge-Börner, als Kriegerinnen agitiert.

Ellen de Vissers Interesse konzentriert sich denn auch im wesentlichen auf die Biografie und Schriften der Nazi-Feministin Sophie Rogge-Börner. Ohne Zweifel war die 1878 als Tochter eines Leutnants geborene, mit einem SS-Mann verheiratete Akademikerin, die ihr Leben auf die "Wiedergewinnung der deutschen Freiheit und auf völkische und rassische Erneuerung der Deutschen" ausgerichtet hatte, eine lupenreine Nationalsozialistin.

Warum aber, will die Tiefenhermeneutik wissen, waren die ideologischen Fundamente des Nationalsozialismus - Rassismus und Antisemitismus - für Frauen wie Sophie Rogge-Börner so attraktiv? Was faszinierte sie am deutschen Vernichtungskrieg, und was könnte "uns" heute an den Texten dieser Frauen faszinieren, fragt de Visser so unspezifisch als möglich. Die Antworten sucht sie in dem 1938 erschienenen Buch "Die innere Gestalt der nordischen Frau", in dem Rogge-Börner eine mythenimmanente, mit rassistischen Kommentaren versehene Neuinterpretation der Islandsaga und der "Edda" versucht. Methodisch vergleichbar mit Johann Jakob Bachofen, begriff die Alt-Skandinavistin Rogge-Börner den Mythos als verdrängte Realgeschichte, die mythischen Gestalten als historische Figuren. Die Grandiosität der "freien, kriegerischen und rassebewußten Germanin" (Rogge -Börner) waren ihr Beweis für die privilegierte Stellung der Frau in einer noch "unvermischten" nordischen Kultur. Erst die "verhängnisvolle Rassenvermischung" habe die "Ausstoßung der weiblich eigenständigen Kräfte aus der Führung des Volksschicksals" bewirkt und damit deren Wehrhaftigkeit geschwächt. Denn Frauen seien, so führen es die Germanendominas der Rogge-Börner vor, aufgrund ihrer kontrollierten Triebstruktur die kultivierteren, gezielt destruktiveren Krieger.

Täterforschung muß sich nicht zwangsläufig einfühlsam auf den Täter beziehnen. Goldhagen wurde für seine kultur-soziologische Studie über die antisemitischen Deutschen mit allen möglichen Vorwürfen konfrontiert; daß sie zu einfühlsam sei, wollte aber niemand behaupten. Die Tiefenhermeneutik allerdings will einen Prozeß des "szenischen Verstehens" (Alfred Lorenzer) initiieren, der die Distanz zum Täter aufgibt, um die von ihm angebotenen Erklärungsmuster nachvollziehbar zu machen. So schlägt de Visser vor, die völkische Ideologie, der Rogge-Börner anhing, als Ausdruck ihrer berechtigten, jedoch fehlgeleiteten Emanzipationswünsche zu verstehen. "Verstehen und Begreifen hat den unbewußten Charakter von Kontrolle und Macht über das, was man begreifen will", schreibt Braining in "Antisemitismus und Psychoanalyse". "Antisemitismus und Massenvernichtung verstehen zu wollen, ist eine Form der Angstbewältigung, als ob durch Begreifen Leid und Bedrohung gebannt werden könnten. Im magischen Denken bedeutet dies, durch Verstehen Leid verhindern zu können. Das kann zum Ausgangspunkt einer Ideologie werden". De Vissers Arbeit sagt weniger über die "Faszination" am Faschismus aus als über die Faszination seiner tiefenhermeneutischen Bewältigung.

Ellen de Visser: Frau und Krieg. Weibliche Kriegsästhetik, weiblicher Rassismus und Antisemitismus. Westfälisches Dampfboot, Münster 1997, 334 S.