Vom Klassenkampf zum Bürgersinn

Der Fraktionschef der Hamburger Grünen geht mit einer Gemeinwohl-Offensive in den Wahlkampf

"Das Volk soll an Opfer gewöhnt werden, damit die Kapitalisten die Krise überstehen", trompete Wilfried Maier Anfang der siebziger Jahre, als er noch Mitglied des Zentralkomitees des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) und Chefredakteur des Zentralorgans Kommunistische Volkszeitung war. Heute ist Maier Fraktionsvorsitzender der Grün-Alternativen Liste Hamburg und hat den Kommunitarismus als das Werkzeug entdeckt, mit dem sich die Grünen noch besser als bisher als Superkonsolidierer des öffentlichen Haushalts profilieren können: Unter dem Etikett des Gemeinwohls und des Gemeinsinns soll unbezahlte Arbeit im Dienste der Öffentlichkeit zum Regelfall werden. In der grünen Zeitschrift Alternative Kommunalpolitik untersucht Maier den Nutzen des Kommunitarismus für die Sozial- und Kommunalpolitik der einstigen Alternativpartei.

Für Theoretiker des Kommunitarismus wie den US-amerikanischen Präsidentenberater Etzioni ist der "Wandel der Gesinnung" vorrangig. "Ohne gestärkte moralische Instanzen werden öffentliche Dienstleistungen überlastet und funktioniert der Markt nicht." Solche Sätze haben es dem früheren KBW-Strategen Maier angetan. Grüne Kommunalpolitik soll nicht mehr die "meist kurzlebige Protestinitiative" unterstützen, sondern vielmehr die - natürlich unentgeltliche - "Mitarbeit in Schulen und Kindergärten, in Bibliotheken, Sport- Freizeit- und Kultureinrichtungen bis zu Reinigungs- und ökologischen Renaturierungsmaßnahmen" fördern. "Im Gegensatz zum Liberalismus ist der Kommunitarismus der Traum vom Ende allen Schnorrertums," schwärmt der Kommunitarier Michael Walzer. Im Beruf weniger arbeiten für noch weniger Geld, in der Freizeit ganz ohne Bezahlung - so kann der kommunitaristische Traum Wirklichkeit werden.

Den grünen Kommunitarier vereint mit seinen amerikanischen Kollegen, daß er das Leben der Menschen von ihren sozialen und ökonomischen Grundlagen trennt. "Tatsächlich sind wir in der Arbeitswelt aber nicht frei, sondern abhängig," schreibt Maier und fährt fort: "Wirklich Freie und Gleiche sind wir nur als Bürgerinnen und Bürger."

Eine Veränderung der sozialen Lage der Menschen schließt Maier von vornherein aus. Aus dem Anstieg des Anteils der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung, insbesondere durch die Erwerbstätigkeit vieler Frauen, sowie aus der stark steigenden Arbeitsproduktivität folgert er die Notwendigkeit einer Umverteilung von Arbeit und Lohn unter den Erwerbstätigen. Die Entwicklung der Gewinnquote in den letzten Jahren, die steuerliche Entlastung von Unternehmergewinnen und Vermögen bei gleichzeitig steigendem Lohnsteueranteil existieren für Maier ebensowenig wie der Gedanke einer Umverteilung zu Lasten der Unternehmer oder anderer Spitzenverdiener.

Aber nicht nur die sozialen Gegensätze spielen keine Rolle mehr, auch die politischen Differenzen, etwa die zwischen politischen Parteien, verschwinden. Als einzigen Unterschied zwischen dem Ansatz der Grünen und demjenigen der Konservativen erkennt Maier, daß erstere "auf die Selbständigkeit der Bürger setzen, nicht primär um öffentliche Haushalte zu sanieren und Lohnnebenkosten zu senken". Das wird den Grünen wieder Lob von der CDU einbringen: Ob nun primär oder sekundär - wenn nur Haushaltskürzungen dabei herauskommen, wird man sich über diese Art von Selbständigkeit schon einig werden.

Für Maier ist in der Kommunalpolitik entscheidend, wie sich der Maßnahmenvollzug zwischen Verwaltung und Bürgern abspielt. Sein Erfolgskriterium einer Wahlperiode: "Wieviele Menschen nehmen am Ende neu an solchen Aktivitäten teil?" Ein solches Kriterium kennt wirklich keine Parteien mehr, sondern nur noch die Gemeinschaft.

In den USA hat der Kommunitarismus mit seinem Rekurs auf die Werte der "Communities" einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Ethnisierung jener sozialen Probleme geleistet, die aus der Verarmung immer größerer Kreise der Bevölkerung resultieren. Der Kommunitarier MacIntyre schreibt: "Der Staat muß in der Lage sein, sich der patriotischen Verehrung einer ausreichenden Zahl seiner Bürger zu versichern, um weiter effektiv funktionieren zu können." Diese Art von Gemeinsinn läßt auch hierzulande manches patriotische Herz höher schlagen. Die "Selbsthilfe" deutscher Bauarbeiter gegen ausländische Kollegen ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen Bürger ihre Angelegenheit in die eigenen Hände genommen haben.

"Das Volk soll an Opfer gewöhnt werden, damit die Kapitalisten die Krise überstehen", schrieb Maier einst als Chefredakteur der Kommunistischen Volkszeitung. Das gute Volk hat ihm diese Kritik an den bösen Kapitalisten nicht gedankt. Vielleicht ist das der Grund, warum Maier, was er damals kritisierte, heute zur Leitmaxime gemacht hat. Bei Verabreichung einer ausreichenden Dosis von Patriotismus und Gemeinsinn war dieses Volk schließlich schon mehrmals zu Opfern bereit.