Dienstag, 17.07.2018 / 16:57 Uhr

Who is Mister Prigov? -- Pussy Riot, die zweite Generation

Von
Ewgeniy Kasakow

Bei der Aktion der vier Mitglieder der Polit-Punk-Gruppe Pussy-Riot beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft in Moskau haben sich aufmerksame Beobachter gefragt: Warum hieß die Performance auf Russisch „Milizionär steigt ins Spiel ein“, gibt es doch in Russland seit 2011 keine Milizionäre, sondern, wie im freien Westen, nur noch Polizisten? Die Aktion war an Dmitri Alexandrowitsch Prigow (1940-2007) erinnern, dessen Tod sich an jenem Sonntag zum elften mal jährte.

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Bild:
youtube

Der Dichter und Performancekünstler war einer der Gründer des „Moskauer Konzeptualismus“. Sein wohl bekanntestes Werk war ein Gedichtzyklus über den „Milizionär“. Der sowjetische Ordnungshüter wurde unter seinem Feder zu einer mythologischen Gestalt:

„Auf seinem Posten steht der Milizionär
Bis weit nach Wnukowo läßt er die Blicke schweifen
Nach Westen und nach Osten blickt der Milizionär
Dahinter ist es nur noch wüst und leer
Doch auf die Mitte mit dem Milizionär
Eröffnet sich der Blick von allen Seiten
Von allen Seiten blickt man auf den Milizionär
Von Osten blickt man auf den Milizionär
Von Süden blickt man auf den Milizionär
Vom Meer blickt man auf den Milizionär
Vom Himmel blickt man auf den Milizionär
Und aus der Erde auch
… Denn er versteckt sich nicht“

(Dmitri Prigow, Milizionär und die anderen. Gedichte und Alphabete. Leipzig, 1992. S. 13.)

Kurz vor seinem Tod plante Prigow noch gemeinsame Aktionen mit der Künstlergruppe Woina („Krieg“), von der sich später die Pussy Riot-Gruppe abspaltete.
Prigow vermied stets Frontalangriffe und direkte politische Forderungen – er galt  als Meister der Dekonstruktion. Prigows Strategie war postmodern, während seine Schüler von Woina und Pussy Riot den Kurs auf die Rückkehr zu der brachialen Provokation der 60er Jahre setzten. Die im Westen seit 1968 bereits unendliche Male durchgeführten Aktionen von Pussy Riot verfehlten in von der Polit-Paranoia geprägtes Russland der Jahre 2011-2012 nicht ihre Wirkung: Die Aktionskünstlerinnen wurden von ihren Feinden und Unterstützern ernst genommen. Das hat allerdings auch die Erwartungen gesteigert. Aber überbieten ließ sich der Tanz in der Kathedrale bisher nicht.

Die WM-Aktion zeigt Neuerungen im Konzept von Pussy Riot. Die bunten Strickmasken sind verschwunden. Ebenfalls gelockert scheint der feministische Grundkonsens. Neben Olga Kuratschewa, Olga Pachtusowa und Weronika (Nika) Nikulschina, nahm diesmal auch ein Mann an der Aktion teil, und zwar kein geringer als Pyotr Verzilov, Ehemann von Pussy-Riot-Gründungsmitglied Nadeschda Tolokonnikowa. Verzilov war noch im Oktober 2012 von Pussy Riot, einschließlich seiner Ehefrau, dafür kritisiert worden, den feministischen und „antihierarchischen“ Punk-Projekt durch sein „Manager-Gehabe“ zu vereinnahmen. Einen Pussy-Riot-Manager, Producer oder Art-Director könne es gar nicht geben, so der Statement von Tolokonnikowa und ihre Mitstreiterin Marija Aljochina von damals.

Inzwischen profitieren Tolokonnikowa und Verzilov von dem Ruhm der Pussy-Riot-Performances. Pussy Riot ist eine Marke  geworden. Versuche, sie der Vermarktung zu entziehen, sind bisher gescheitert. Viele halten Verzilov für den eigentliche Organisator der internationalen Aufmerksamkeit für den Pussy-Riot-Prozess von 2012.

Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina haben den Medienprojekt „Mediazona“ gestartet, als dessen Herausgeber Verzilov agiert. Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Kritik von Polizei-, Jusitz- und Strafvollzugsbehörden. Zudem schreibt das Ehepaar regelmäßig im ebenso angesehenen, wie regierungskritischen Gesellschaftsmagazin Snob, Verzilov trifft sich mit Madonna und Yoko Ono, war aber schon häufiger bei Events gesehen, wo loyale Show-Biz-Stars und Politiker vom Kaliber des Kulturministers Wladimir Medinski anwesend waren.

Die drei Aktivistinnen, die an der WM-Aktion teilgenommen haben, sind bisher in verschiedenen oppositionellen Kontexten in Erscheinung getreten. Olga Pachtusowa engagierte sich für die Gruppe Nasch Gorod („Unsere Stadt“) im Rahmen der Proteste gegen die Abholzung des Chimki-Waldes und unterstützte den Wahlkampf der unabhängigen Kadidatin Ewgenija Tschirikowa  um den Bezirksbürgermeisterposten. Olga Kuratchaewa arbeitete für die BBC und Radio Liberty, sowie für die NGO Memorial. Daneben war sie in der Organisation des LGBT-Filmfestivals „Bok o bok“ („Seite an Seite“) involviert. Weronika Nikulschina, die bisher nur als Modell und Stand-Up-Comedian aktiv war, bekam als erste von den Perfomance-Teilnehmern ihre „administrative Strafe“ – 15 Tage Haft.