Tijan Sila gewinnt den Ingeborg-Bachmann-Preis, Deichkind bringen eine neue Single raus

Im ICE nach Nirgendwo

Popkolumne. Deichkind, »Eric«, Tijan Sila.

»Könnt Ihr noch?« heißt die neueste Single von Deichkind. Ihr Electro-Boogie wirkt erfrischend wie ein gekühltes Zitronenstäbchen. Vor allem das Video zum Track, das an Herbie Hancocks »Rockit« sowie die Filme »Nummer 5 lebt« und »Max Headroom« erinnert, ist eine liebevolle Hommage an die Achtziger-Jahre-Cyborg-Filmkunst.

Es bietet einen interessanten Blick auf die jüngste Geschichte dessen, was als KI-Gespenst durch die Gazetten geistert: des Cyborgs neue Kleider. Rapper Kryptic Joe, sonst Deichkinds musikalischer Kopf, hat zusammen mit Chilly Gonzales und Rocko Schamoni eine Hommage an Deutschlands ICE gedropt: »I.C.E. 2«, nachdem Chilly Gonzales mit »I.C.E.« schon vor sechs Wochen seinen ersten Deutsch-Rap-Song herausgebracht hatte. Thank you for travelling with Deutsche Bahn!

Die achtziger Jahre leben auch in der herausragenden Netflix-Miniserie »Eric« wieder auf. Angesiedelt in New York City, mit einem coolen Soundtrack von 10cc über The Cure, Velvet Underground bis hin zu Bob Dylan. Benedict Cumberbatch fasziniert als Vincent, genialer Puppenspieler und Schöpfer einer berühmten Heile-Welt-TV-Puppenshow, der leider ein Alkoholproblem hat. Darunter leiden auch seine Frau und sein neunjähriger Sohn Edgar. Grauenvolle Streitigkeiten sind an der Tagesordnung.

Wie viel können wir uns eigentlich noch zumuten?

Doch eines Tages verschwindet Edgar auf dem Weg zur Schule und Vincent macht sich auf die Suche nach ihm. Immer begleitet von der titelgebenden Zwei-Meter-Fellmonsterpuppe Eric, die die inneren Dämonen Vincents symbolisiert. Im Vergleich zu Eric würde selbst Oskar aus der Mülltonne als Charmeur durchgehen. Dabei gelingt Drehbuchautorin Abi Morgan mit der Serie zugleich eine Kritik an Obdachlosigkeit, Gentrifizierung, Homophobie, Rassismus, Korruption innerhalb der Polizei, aber auch in der Politik sowie am Umgang mit Aids.

Um die inneren Dämonen geht es auch in dem großartigen Text »Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde« von Tijan Sila, für den der in Sarajevo geborene, in Kaiserslautern lebende Autor gerade mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.

Er und seine Eltern mussten während des Kriegs aus Jugoslawien fliehen. Die Eltern zerbrachen daran. Der Sohn muss um seine seelische Gesundheit ringen. Jurymitglied Brigitte Schwens-Harrant kommentierte: »Hier ist eine riesige Verrückung im Gange, und man fragt sich, wie das jemals heil werden kann.« Wie viel, siehe oben, können wir uns eigentlich noch zumuten?