Das Cricket der Frauen hat sich zu einem globalen Sport entwickelt

Erste Cricket-WM der Frauen: Immerhin wurde niemand gelyncht

Vor rund 50 Jahren fand die erste Cricket-Weltmeisterschaft der Frauen statt.

Eigentlich hatte der 20. Juni 1973 ein historischer Tag für die Cricketwelt werden sollen, doch das Wetter über Südengland hatte andere Pläne. Neuseeland und Jamaika hätten an diesem Tag in Kew im Südwesten Londons das Eröffnungsspiel der ersten Weltmeisterschaft der Frauen im Cricket bestreiten sollen. Aufgrund anhaltenden Regens musste das Spiel jedoch abgesagt werden. So trafen die Neuseeländerinnen drei Tage später in St Albans, nördlich von London, auf Trinidad und ­Tobago und gewannen das Spiel locker mit 136 Runs. Da aber gleichzeitig in Hove, einem Nachbarort von Brighton, England sich mit dem Team International XI maß, blieb den Neuseeländerinnen die Ehre des Eröffnungsspiels der ersten Weltmeisterschaft überhaupt versagt.

Zudem gelang der neuseeländischen Bowlerin Glenys Page zwar ein five-wicket haul (fünf Wickets in einem Innings), aber da das kurz zuvor schon der Australierin Tina McPherson gelungen war, wird sie als erste Spielerin geführt, der diese Leistung bei einem eintägigen Länderspiel, einem One Day International (ODI), der Frauen gelang. Verdient hätten den Eintrag in die Geschichtsbücher beide. Immerhin dauerte es danach bis 1982, bis es überhaupt wieder einer Spielerin gelang, fünf Wickets in einem Spieldurchgang zu nehmen.

Dass es überhaupt einen Wo­men’s World Cup geben konnte, und das sogar zwei Jahre bevor die Männer erstmals bei einer Weltmeisterschaft aufeinandertrafen, ist zu nicht unwesentlichen Teilen dem Geschäftsmann Jack Hayward zu verdanken, der das Unterfangen mit 40.000 Pfund – etwa 480.000 Pfund in heutigem Geldwert – unterstützte und damit erst ermöglichte.

Der »Evening Standard« konzentrierte sich 1973 bei der Partie England gegen Trinidad und Tobago vor allem darauf, dass drei der 16 englischen Spielerinnen verheiratet waren.

Trotzdem waren noch etliche Hürden zu überwinden. Zunächst einmal bedurfte es eines Formats, das es erlaubt, eine Weltmeisterschaft zu veranstalten. Traditionell wurde Cricket mit einer unbegrenzten Zahl von Wurfdurchgängen (overs) gespielt. Bis zu fünf Tage pro Partie konnte das dauern, in Ausnahmefällen sogar länger. Das bis heute längste Match der Geschichte wurde 1939 von den Männerteams Australiens und Englands bestritten, es dauerte zwölf Tage. Für ein Turnierformat mit straffem Zeitplan, bei dem jeder Tag Geld kostet und überdies aufgrund des englischen Sommers jederzeit Unterbrechungen wegen Regens drohen, war dieses sogenannte Test Cricket selbstverständlich keine Option.

Die Idee eines Cricketformats mit einer begrenzten Zahl von Overs gab es schon mindestens seit den fünf­ziger Jahren. Es galt jedoch lange als eine minderwertige Spielart, da sie weniger Widerstandsfähigkeit und Ausdauer verlangte, und blieb daher auf nationale Wettbewerbe beschränkt.

Das änderte sich im Januar 1971. Englands Auswahl kämpfte bei einer Tour durch Australien, auch wenn dort Sommer war, mit dem schlechten Wetter, und so entschieden die beiden Verbände, eines der geplanten Testspiele zu verkürzen, indem die Zahl der Overs so begrenzt wurde, dass das Spiel nicht länger als einen Tag dauern konnte. Das One Day ­International war geboren.

Heutzutage werden ODIs über 50 Overs gespielt; Anfang der siebziger Jahre hatte sich jedoch noch kein Standard durchgesetzt. In Melbourne 1971 wurde über nur 40 Overs gespielt, die Frauen beim World Cup spielten über 60 Overs, also eineinhalb Mal so lange wie die Männer – und das damals sogar noch im knielangen Rock statt in Hosen.

Auch das Fehlen qualifizierter Unparteiischer erwies sich als Pro­blem. Es gab schlicht nicht genügend weibliche umpires, also Schiedsrichter, mit internationaler Erfahrung, um bis zu drei Matches gleichzeitig zu bespielen. Gerade zu Beginn des Turniers häuften sich die Fehlentscheidungen. Im Laufe der vier Wochen hatten sich die umpires jedoch ein dickes Fell zugelegt, hieß es hinterher von zuständigen englischen Women’s Cricket Association, die es als Erfolg bewertete, dass »immerhin niemand gelyncht« wurde.

Auch ausreichend Teams für ein Turnier zusammenzubekommen, war eine Herausforderung. Zwar gab es mit dem International Women’s Cricket Council bereits seit 1958 einen Weltverband, der erst 2005 mit dem bis dahin nur für die Männer zuständigen International Cricket Council (ICC) fusionierte, doch dessen damals neun Mitgliedsverbände scheiterten zum Teil schon daran, die ­Reisekosten aufzubringen. Hinzu kam, dass Südafrika während der Zeit der Apartheid aufgrund von Boykottmaßnahmen nicht teilnehmen durfte, weshalb das Feld der ersten Frauenweltmeisterschaft mit einem englischen U25-Team und einem in Windeseile aus der Taufe gehobenen best of the rest-Team namens Inter­national XI aufgefüllt wurde, so dass am Ende sieben Auswahlen antreten konnten.

Das mag vielleicht am Ende etwas improvisiert gewesen sein, dennoch war es eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, dass fünf Jahre später in Indien nur vier Nationen teilnahmen und erst 20 Jahre später, als das Turnier erneut in England Station machte, erstmals wieder mehr als fünf Teams, nämlich acht, in den Wettbewerb starteten.
Noch beachtlicher war die Leistung der vielen Ehrenamtlichen, die es erst ermöglichten, die Weltmeisterschaft zu veranstalten. Zu ihnen gehörten nicht zuletzt auch die Spielerinnen des englischen Teams, die eigenhändig Flugzettel verteilten und Plakate aufhängten. Kapitänin Rachel Heyhoe Flint schrieb ­sogar selbst Spielberichte für den Daily Telegraph.

Tatsächlich berichteten die meisten Tageszeitungen über das Turnier, wobei sich jedoch Umfang und Qualität der Berichterstattung oft in engen Grenzen hielten. Der Evening Standard zum Beispiel wusste von der Partie England gegen Trinidad und Tobago zu berichten, dass drei der 16 englischen Spielerinnen verheiratet waren, und interessierte sich offenbar mehr für die »ringing ­girlishness« (etwa: laut erschallende Mädchenhaftigkeit) der Spielerinnen als für das eigentliche Spiel.

Dass es dem ICC ernst ist mit der Entwicklung des Frauencrickets, zeigte es im Juli dieses Jahres, als es verkündete, dass von nun an die Preisgelder für Männer und Frauen bei den jeweiligen Weltmeisterschaften dieselbe Höhe haben werden

Bei all dem persönlichen Engagement der Engländerinnen war es im Grunde nur fair, dass sie am Ende den Titel holten und die nach ihrem Stifter benannte Jack Hayward Trophy in die Luft stemmen durften. Mit 92 Runs schlugen sie auf dem Edgbaston Cricket Ground zu Birmingham im letzten Spiel Aus­tralien. Der Spielplan sorgte dafür, dass es, obwohl im Ligasystem jeder gegen jeden gespielt wurde, ein echtes Endspiel war, dessen Siegerinnen auch den Gesamtsieg holen würden. Mehr Spannung war kaum möglich.

Der einzige Schönheitsfehler war, dass der englische Cricketverband der Männer dem Verband der Frauen untersagt hatte, das Spiel im prestigeträchtigen Lord’s Cricket Ground in London auszutragen. 1973 war etwas anderes wohl aber auch kaum zu ­erwarten gewesen – sechs Jahre bevor Margaret Thatcher Premierministerin wurde und nur zwei Jahre, nachdem die Uefa den englischen Fußballverband dazu gezwungen hatte, seine Vorbehalte gegen den Frauenfußball aufzugeben, der damals ebenfalls noch in einem eigenen Verband organisiert war.

Seither hat das Cricket der Frauen große Schritte gemacht, und das nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung. Inzwischen spielen 13 Frauennationalteams ODIs. Die Einführung des Twenty20 Cricket, das über nur 20 Overs geht, auf internationaler Ebene im August 2004 – und damit sechs Monate vor den Männern – löste einen weiteren Entwicklungsschub aus.

Seit 2018 gewährt das ICC allen seinen Mitgliedern automatisch das Recht, internationale Twenty20-Matches auszutragen. Derzeit befinden sich 64 Verbände auf der entsprechenden Rangliste, die genau wie jene für ODIs von Australien angeführt wird. Damit ist das Cricket der Frauen wie das der Männer inzwischen zu einem wirklich globalen Sport geworden, der auf allen Kontinenten betrieben wird. So finden sich unter den ersten Zwanzig unter anderem Papua-Neuguinea, die Vereinigten Arabischen Emirate und Namibia. Deutschland steht auf Platz 35, der österreichische Verband ist hinter Norwegen und Ghana Letzter.

Dass es dem ICC ernst ist mit der Entwicklung des Frauencrickets, zeigte es im Juli dieses Jahres, als es verkündete, dass von nun an die Preisgelder für Männer und Frauen bei den jeweiligen Weltmeisterschaften dieselbe Höhe haben werden, und das sowohl bei den ODIs als auch im Twenty20 und bei den Junior:in­nen. Damit ist Cricket 50 Jahre nach dem ersten World Cup, bei dem die Siegerinnen nicht mehr als ein Lächeln und eine nach einem Mann benannte Trophäe erhielten, auf einem Niveau der Gleichberechtigung angekommen, von dem in den meisten anderen Teamsportarten nicht einmal zu träumen ist.